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Was ist denn nun mit der adversen Selektion beim Crowdinvesting? “Diese Behauptung ist Quatsch”

Crowdinvesting funktioniert! Crowdinvesting funktioniert nicht! Pleiten und Insolvenzen von Firmen, die Geld von der Crowd eingesammelt haben, sorgen immer wieder für eine große Diskussion über das Finanzierungsmodell über die Masse. Ein neues Schlagwort dabei lautet: Adverse Selektion.
Was ist denn nun mit der adversen Selektion beim Crowdinvesting? “Diese Behauptung ist Quatsch”
Montag, 3. September 2018VonAlexander Hüsing

In der Szene wird derzeit – einmal wieder – lautstark über die noch junge Finanzierungsform Crowdinvesting diskutiert. Das Schlagwort ist dabei: Adverse Selektion. Ein Auslöser war die Insolvenz von Cringle, das keine weiteren Geldgeber gefunden hat. “Ich bin nicht überrascht, weil mit jedem VC, mit dem ich spreche: Keiner möchte in eine Firma investieren, die vorher Crowdinvesting gemacht hat”, sagte Szene-Experte Sven Schmidt kürzlich im ds-Podcast. Alle hätten Angst vor dem “negativen Signalling” und vor den regelmäßigen Reportings. “Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem Crowdinvesting ein Top-VC mit tiefen Taschen investiert, die ist nahezu Null, lautet Schmidts hartes Fazit.

Auch Filipp Piatov, zuletzt beim FinTech-Cookies, schlägt in diese Kerbe. “Im Gegensatz zu Investoren hat Companisto kein Geld verloren, oder? Klar, ist ein doofer PR-Effekt. Aber wohl eingepreist, wenn man sich an die Cringle-Pitchdecks erinnert. War damals bei der Konkurrenz (Cookies) und erinnere mich gut”, schreibt er auf Twitter. “Meine Betrachtung teilten auch sämtliche VCs, weshalb Cringle den Weg zu Companisto fand. Wo die Qualität der Pitchdecks den Hobby-Investoren nicht auffiel”, lautet seine Kritik am Crowdinvesting von Cringle. Über Companisto sammelte das junge Startup in zwei Runden insgesamt 1,26 Millionen Euro ein. Zuletzt Ende 2017, also gerade einmal vor acht Monaten.

“Wir bereiten Pionieren den Weg. Dazu prüfen wir sehr sorgfältig und gehen wie jeder VC bei der Finanzierung von Unternehmen Risiken ein. Selbst bei der Berücksichtigung vieler Indikatoren kann wirklich niemand in die Zukunft sehen und vorhersagen, wie sich so ein Unternehmen entwickelt oder welches sich am Ende im Markt durchsetzt”, sagt Companisto-Sprecher Roland Panter zur Kritik an Cringle. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht er zudem ausführlich über das Thema “Adverse Selektion”.

Crowdinvesting hat sich in den vergangenen Jahren zu einem spannenden Finanzierungskonzept für junge und vor allem etablierte Startups entwickelt. Wo steht die deutsche Crowdinvesting-Szene aktuell?
Als Crowdinvesting im Jahr 2012 gestartet ist, gab es eine deutliche Finanzierungslücke bei Frühphasenfinanzierungen. Heute gehört Crowdinvesting ganz selbstverständlich zur Finanzierungsklaviatur für Startups und Wachstumsunternehmen und nimmt in Deutschland eine wichtige Rolle ein.

Inwiefern?
Schauen wir nach Großbritannien, sehen wir, dass inzwischen 17 % des Venture Capital über Crowdinvesting aufgebracht wird. Tendenz stark zunehmend. Diese Entwicklung prognostizieren wir auch für Deutschland.

Wie soll das gelingen?
Wir haben zudem bei Companisto in einem aufwändigen regulatorischen Prozess mit den Eigenkaptal-Beteiligungen ein neues Investmentprodukt entwickelt. Investoren können demnächst direkt in das Eigenkapital von Unternehmen investieren und bekommen dafür echte GmbH-Anteile. Genauso, wie Business Angels und Venture Capital-Gesellschaften in der Regel investieren. Mit solchen Möglichkeiten wird auch die Attraktivität unseres Angebots weiter steigen, da wir damit unter anderem viele Anleger ansprechen, die beispielsweise nach Großbritannien abgewandert sind oder die anders als professionelle Business Angels in der Vergangenheit keine Möglichkeiten gefunden haben in spannende Wachstumsunternehmen zu investieren.

Auch die Crowd irrt manchmal. Auf Companisto sind Insolvenzen wie golf4you, Diversicon, Buddy Watcher, Homefort, poqit.berlin, TripRebel und noch einige andere vermerkt. Verträgt die junge Crowdinvesting-Szene so viele Pleiten?
Beim Irren hat die Crowd keinen Exklusivanspruch. Dieses Schicksal teilen alle Wagniskapitalgeber. Es heißt ja auch nicht umsonst Wagniskapital, schon der Begriff enthält per Definition auch die Chance zu scheitern. Natürlich ist das nicht das Ziel von Investoren, scheitern gehört aber zum Geschäft dazu. Aus diesem Grund prüfen wir sehr sorgfältig, wie wohl alle professionellen Investoren, welche Unternehmen auf die Companisto-Plattform kommen. Wir wissen außerdem, dass wir mit unserer Insolvenzquote im Rahmen des Branchendurchschnitts liegen. Man spricht ja immer davon, dass rund rund 30 % der über Venture Capital finanzierten Unternehmen auf der Strecke bleiben. Wenn wir uns das in totalen Zahlen anschauen stehen wir zum Ende des vergangenen Jahres mit rund 25 % Ausfällen – bei knapp 20 % Kapitalverlust – nicht so schlecht dar.

Auf der anderen Seiten scheiterten Startups wie Prelovee, 360Living und grün versichert schon beim Geldeinsammeln. Sprich: Die Finanzierung über die Crowd kam erst gar nicht zu Stande. Ist es schwieriger geworden Geld von der Crowd einzusammeln?
Ich würde behaupten, es war nie leicht Geld von der Crowd zu bekommen. Zunächst müssen Unternehmen überhaupt den Zugang zu einer Plattform erhalten. Bei Companisto prüfen wir über 2.000 Businesspläne und Pitchdecks pro Jahr, davon etwa 10 % intensiver. Am Ende schaffen es nur rund 20 Unternehmen pro Jahr auf die Plattform. Hier ist also schon per Definition eine gewollt große Hürde. Das ab und zu ein Startup nicht bis zur Investmentschwelle kommt – das sind in der Regel 100.000 Euro, die innerhalb von zwei Monaten eingesammelt werden müssen – zeigt aus unserer Sicht, dass unsere Investoren sehr wohl für sich prüfen und uns eben nicht blind nachlaufen, wie es manchmal behauptet wird. Das sind in der Regel Leute mit Investmenterfahrung, die sorgsam abwägen, wie auch unsere eigene Investorenbefragung gezeigt hat.

Im Zusammenhang mit Crowdinvesting sprechen der Seriengründer und Geldgeber Sven Schmidt sowie viele bekannte VCs oft von einer adversen Selektion. Gemeint ist damit, dass bei Crowdinvestingdiensten nur Startups landen, die anderswo kein Geld bekommen haben. Ist Crowdinvesting nur eine Resterampe?
Wir haben von dieser These der adversen Selektion gehört. Das ist ein Märchen.

Warum?
Einzelne Gründe dafür habe ich bereits erläutert. Das wir mit unseren Bewertungen nicht so falsch liegen, zeigt insbesondere unsere Co-Finanzierungsquote von rund 85 %. Das bedeutet hier gibt es im Umfeld der Finanzierung auf unserer Plattform Investments von Venture Capital-Gesellschaften, Business Angels, aber auch dem Instrumentarium der öffentlichen Hand. Alle diese Co-Investoren führen vor dem Investment eine Due Diligence durch, prüfen also sorgfältig und kommen zu vergleichbaren Ergebnissen. Was sich am Ende auch in der Insolvenzquote spiegelt.

Ein Negativbeispiel wäre für mich dann aber Cringle, das crowdfinanzierte FinTech schlitterte gerade in die Insolvenz.
Ja, aktuell macht die Insolvenz von Cringle die Runde. Ich bin erstaunt, dass manche Leute jetzt sagen, sie hätten es ja schon immer gewusst. Haben die eine Glaskugel? Oder einfach nur einen anderen Investmentfokus? Ich weiß es nicht. Wir bereiten Pionieren den Weg. Dazu prüfen wir sehr sorgfältig und gehen wie jeder VC bei der Finanzierung von Unternehmen Risiken ein. Selbst bei der Berücksichtigung vieler Indikatoren kann wirklich niemand in die Zukunft sehen und vorhersagen, wie sich so ein Unternehmen entwickelt oder welches sich am Ende im Markt durchsetzt. Man sollte sich meiner Meinung nach aber auch vor Augen führen, dass auch die hohe Publikumswirkung von Plattformfinanzierungen den Eindruck verfälscht.

Inwiefern?
Bei den VCs macht manches vorher hoch gelobte Startup klamm und heimlich zu und niemand kriegt es mit. Bei uns gibt es direkt einen Aufmacher mit entsprechender Überschrift – wie ja auch hier bei deutsche-startups.de. Da gibt es viele Beteiligte, das klickt einfach gut. Das ist ein Unterschied, dessen wir uns bewusst sind. Sind wir deshalb besser oder schlechter als andere Marktteilnehmer im Venture Capital Bereich? Ganz klar, nein.

Oftmals scheuen klassische Geldgeber auch Investments in Startups, die Geld von der Crowd aufgenommen haben. Seht ihr dieses Problem auch?
Versuchen wir das mal einzuordnen. Heißt das, dass Kapitalgeber sich aus individuellen Gründen gegen ein Investment oder eine Anschlussfinanzierung entscheiden? Dann passiert das jeden Tag und betrifft nicht exklusiv unsere Finanzierungsform. Schon gar nicht mit der Begründung, dass die Crowd ein schlechterer oder gar unberechenbarer Investor sei. Dafür gibt es bei Companisto sehr gute Verträge, die das Zusammenspiel zwischen Startup und Investoren regeln und die bereits für Anschlussfinanzierungen optimiert sind. Wir hören immer wieder, es sein die besten in der Branche. Die in der Frage aufgestellte Behauptung ist entsprechend Quatsch.

Dann entwirre diesen Quatsch bitte einmal!
In den bei uns finanzierten Startups sind namhafte Investoren, Business Angels und VCs investiert. Darunter sind große Namen der Branche wie Earlybird, HTGF, GSG, Freigeist Capital, Expon Capital, TA Ventures und Axel Springer. Daneben stehen namhafte Business Angels wie beispielsweise Christian Schultz, Tobias Engelhardt, Florian Heinemann, Philipp Klöckner, Christian Vollmann, Jan Henrick Büttner und andere. Schaue ich nur in unsere aktuellen Finanzierungsrunden, dann sind darin zu Hauf Beispiele für Co-Finanzierungen mit professionellen VCs. Bei der NDI AG sind das unter anderem HTGF und GUB. Bei Meine Spielzeugkiste sind Frank Thelen, Christian Vollmann, Jan Hinrichs und die VCs BonVenture und GSG mit dabei. iTravel kommt mit namhaften Business Angels wie Florian Heinemann, Christian Schultz und Thomas Döring und diversen VCs: Expon Capital, VCDE, Howzat Partners, TA Ventures. Das Berliner Startup Nepos hat Christian Vollmann, Florian Heinemann und Rolf Schrömgens mit an Bord, außerdem ProSiebenSat.1 Digital als Venture Capital-Geber. Und auch Pumperlgsund kommt mit prominenten Investoren: Jens Lehmann und Freigeist Capital. Bei Caterna ist Peppermint Ventures mit dabei. Die Behauptung in der Frage zeichnet sich also vor allem durch zwei Dinge aus: Vorurteile und verdammt schlechte Recherche. Da fehlt mir dann auch mal eine saubere journalistische Einordnung solcher Meinungen.

Wobei bei etlichen der genannten Unternehmen die VCs oder Business Angels an Bord waren, bevor das Startup Geld von der Crowd eingesammelt hat – etwa Meine Spielzeugkiste, iTravel und Pumperlgsund. Auf viele VCs macht es einen schlechten Eindruck, wenn zuvor – klassisch – finanzierte Startups sich plötzlich Geld von der Crowd holen wollen. Alles nur ein Image-Problem?
Das ist so nicht richtig. iTravel hat zum Beispiel während der aktiven Kampagne neue Deals mit VCs geschlossen. Es macht aus unserer Sicht aber auch keinen Unterschied, da auch bei anderer Reihenfolge eine Abstimmung mit den bestehenden Investoren besteht, diese also aktiv zustimmen. Aus unserer Sicht sind die der Frage zugrundelegenden Ressentiments noch aus der Anfangszeit des Crowdinvestings. Bei professionellen VCs ist das unserer Erfahrung nach kein Thema mehr.

Und wo sind die großen Crowdinvesting-Erfolge in Deutschland – und welche Rendite sprang für die Geldgeber dabei raus?
Es gibt diese Erfolge. Doxter, das erste überhaupt auf Companisto finanzierte Startup ist so ein Erfolg, bei dem unsere Investoren in diesem Jahr noch mal einen ordentlichen Nachschlag erhalten haben. Eine Anekdote am Rande. Wir haben Doxter finanziert, obwohl das Unternehmen mit VCs in Verhandlungen stand. Da konnten wir mit Schnelligkeit punkten – deshalb fiel die Entscheidung auf Companisto. Es sind aber auch Foodist, 5-Cups and some Sugar und ganz aktuell ENIO, die erfolgreiche Exits hingelegt haben. Wie im VC-Umfeld üblich, wird über genauen Summen in der Regel Stillschweigen vereinbart. Es handelt sich bei allen um attraktive Exits für die Companisto-Investoren.

Aber nicht jeder Exit ist ein Erfolg, oder?
Natürlich haben auch wir Exits, die keine nennenswerten Wertzuwächse generieren, aber auch das haben wir nicht exklusiv gepachtet. Grundsätzlich haben wir als Plattform ein hohes Interesse wertige Exits zu generieren, da auch wir nur in diesem Fall unsere anteiligen Erfolgsbeteiligungen erhalten. Aktuell stehen mehrere unserer Portfoliounternehmen kurz vor einem Börsengang. Das ist beispielsweise NDI hier aus Berlin, die mit ihrem Hightech-Zahnersatz Replicate erst in diesem Jahr 2,5 Millionen Euro über Companisto eingesammelt hat. Da gibt es schon Vorverträge mit der Euronext und konkrete Angebote von konsortialführenden Banken. Der Börsengang als Exit ist in Sichtweite. Ein Verlauf, den sich wohl jeder VC wünscht und der die Wahrnehmung unserer Finanzierungsform sicher in ein anderes Licht stellen wird.

Tipp: Wenn die Crowd 15 Millionen in den Digital-Sand setzt – Die bisher größten deutschen Crowdinvesting-Pleiten

PODCAST

Im aktuellen ds-Podcast kommentieren OMR-Podcast-Legende Sven Schmidt und ds-Chefredakteur Alexander Hüsing wieder die wichtigsten Startup- und Digital-News aus Deutschland. Wir versprechen über den geplanten IPO von Farfetch, die Millionenfinanzierung bei Homelike, den Exit von Urbanara und die Insolvenz von Cringle.

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Foto (oben): Shutterstock

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.