Gastbeitrag von Ben Jeger

Wie Berlin von seinem internationalen Flair profitiert

Ich bin der Meinung, wir brauchen keine Debatte, die an organisch entstandenen und von Menschen gelebten Sprachkonventionen rüttelt. Erst recht nicht, wenn diese für viele einen Standortvorteil bedeuten. Es warten dringendere Aufgaben!
Wie Berlin von seinem internationalen Flair profitiert
Mittwoch, 30. August 2017VonTeam

Betrachten wir den Trend zu englischer Konversation in Berlin als Indikator einer gesellschaftlichen Entwicklung, so sieht Jens Spahn Anzeichen für Ausgrenzung und die Bildung einer elitären Parallelgesellschaft. Deshalb fordert er eine Rückbesinnung auf „Deutsch first“. Ich sehe das anders: Englisch ist die Sprache der Wirtschaft und insbesondere der Technologiebranche. Die Entwicklung erleichtert nicht nur den Einstieg von internationalen Talenten in Arbeit- und Kulturleben. Auch junge Menschen aus Berlin profitieren davon, wenn sie mit großer Selbstverständlichkeit Englisch sprechen, da Mehrsprachigkeit und interkulturelles Verständnis in attraktiven Jobs Kernkompetenzen sind. Für Berliner Wirtschaft und Startup-Szene ist das ein absoluter Standortvorteil. Das dringendere Problem ist doch folgendes: Digitale Ausgrenzung durch mangelnden Zugang zu schnellem Internet und Technologie hat auf Menschen und Wirtschaft sehr viel verheerendere Folgen.

Mehr Englisch in Marzahn statt weniger in Mitte

In vielen deutschen Firmen, nicht nur dem überwiegenden Teil der Startups in Berlin, ist Englisch Unternehmenssprache. Das hat den einfachen Grund, dass ein Großteil der Geschäftsbeziehungen international gepflegt werden und sich Englisch dabei als Weltsprache durchgesetzt hat. Wer als junger Mensch heute nicht fließend Englisch spricht, hat einen schwereren Zugang zum Arbeitsmarkt. Wenn Menschen Umgang mit anderen Kulturen pflegen, im Alltag selbstverständlich und gerne Englisch sprechen, entwickeln sie dabei Stärken, die ihnen im Berufsleben sehr nützlich sein werden, besonders in den zukunftsträchtigen Jobs der Tech-Branche. Damit alle chancengleich am Erfolg der digitalen Wirtschaft partizipieren können, brauchen wir nicht mehr Deutsch in Mitte, sondern mehr Englisch im Marzahn.

Die Tatsache, in Berlin mit Englisch gut um die Runden zu kommen, ist für mich Ausdruck der Weltoffenheit einer Generation, die grenzenlos lebt, liebt und arbeitet. Und: ein unglaublich wichtiger Standortvorteil für die Berliner Wirtschaft und Startup-Szene. Denn wir sind auf die unvoreingenommene Berliner Weltläufigkeit geradezu angewiesen, um Talente zu finden und dank ihnen neue Märkte zu erschließen.

Standortvorteil für Berlin

Berlin konkurriert als Startup-Metropole mit Standorten wie Silicon Valley, Tel Aviv, Paris oder Shanghai global um Talente. Für die deutsche Hauptstadt sprechen aktuell (noch) die vergleichsweise günstigen Mieten und Lebenshaltungskosten, eine reiche kulturelle Szene und die generelle Aufgeschlossenheit gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen. Es ist die Vielfalt, die Berlin attraktiv macht.

Die vielerorts natürlich gelebte Englischsprachigkeit bietet Menschen aus verschiedenen Ländern einen extrem leichten Zugang zu Arbeitsmarkt und Kulturleben. Dass Menschen aus anderen Ländern, die für einen Job nach Berlin kommen, von heute auf morgen integriert arbeiten und leben können, ist ein absoluter Pluspunkt für die Stadt im Vergleich zu anderen deutschen und europäischen Städten. Diesen Bonus auszuspielen, halte ich für den smarteren Schritt. Denn Berlin als Technologie- und Startup-Standort braucht die schlauen Köpfe, Weitgereisten, Vorausdenkenden und Vielfältigen.

Startup-Branche ist auf internationale Talente angewiesen

Für fast alle Startups, die in Berlin ein erfolgreiches Geschäftsmodell aufgebaut haben, ist die Internationalisierung der zweite wichtige Schritt, um zu skalieren. Statt kosten- und zeitaufwendig eigene Standorte in neuen Märkten zu eröffnen, entscheiden sich viele Gründer dafür, ein internationales Team in Berlin aufzubauen und von hier aus zu internationalisieren. Denn das ist die deutlich effizientere Variante. Ich kenne zahlreiche Startups, die diesen Weg gewählt haben, weil darüber in kürzester Zeit ein Zugang zu neuen Märkten zu schaffen ist. Ich selbst stehe aktuell vor dieser Situation: Vor 1,5 Jahren habe ich das Berliner Büro für AppsFlyer eröffnet, um das Geschäft im DACH-Markt auszubauen. Nun erweitern wir unser Team, um von Deutschland aus die nordeuropäischen Länder zu erschließen. Dafür brauchen wir Talente unterschiedlichster Herkunft, die die Zielmärkte kennen, mehrere Sprachen sprechen, international denken und agieren, Gestaltungswillen mitbringen. Ich suche Menschen, die schon in Schweden, Finnland, Dänemark gearbeitet haben und die ich nur deshalb hier finde, weil sie sich von den Berliner Lebensbedingungen angezogen fühlen. Sie bringen nicht nur Erfahrung mit der Kultur, Landessprache und Gepflogenheiten anderer Märkte mit. Oftmals sind ihre Herkunftsländer bei der Einführung neuer Technologien dem deutschen Markt voraus. Sie bereichern ihre Arbeitgeber in Berlin auch mit wertvollem Know-how, das Startups bei Produktentwicklung und Wertschöpfung entscheidend voranbringt.

Digitale Ausgrenzung ist das eigentliche Problem

Ich bin der Meinung, wir brauchen keine Debatte, die an organisch entstandenen und von Menschen gelebten Sprachkonventionen rüttelt. Erst recht nicht, wenn diese für viele einen Standortvorteil bedeuten. Es warten dringendere Aufgaben: Der schnellere Ausbau von 5G-Netz und Gigabit-Internet oder kostenfreies WLAN sind Beispiele dafür. Denn digitale Ausgrenzung hat schwerwiegendere Folgen für Wirtschaft und Bevölkerung als situative Verständigungsschwierigkeiten beim Bestellen eines Kaffees.

Über den Autor
Ben Jeger leitet als Managing Director die DACH-Geschäfte von AppsFlyer. Vom Standort Berlin erschließt er mit seinem Team künftig außerdem die nordeuropäischen Märkte für die in Tel Aviv gegründete Plattform für Attribution mobiler Werbung und Marketing-Analytics.

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Foto (oben): azrael74