Luca Martinelli im VC-Interview

“Wir sehen über 3.000 Businesspläne im Jahr”

"In 2010 hat Travis Kalanick btov während eines Besuchs im Silicon Valley sein damals noch recht frisch gegründetes Unternehmern Uber vorgestellt; der Rest ist Geschichte. Uber ist der eindeutige Anführer unseres Anti-Portfolios", sagt Luca Martinelli von btov Partners.
“Wir sehen über 3.000 Businesspläne im Jahr”
Montag, 27. März 2017VonAlexander Hüsing

Anfang dieses Jahres ernannte der Venture Capital-Geber btov Partners Luca Martinelli – gemeinsam mit Benedikt Kronberger -zu Partnern. Martinelli kam bereits 2013 als Analyst zu btov. Im VC-Interview mit deutsche-startups.de spricht Martinelli über seine Masterarbeit, Branchenfremde und schmerzhafte Listen.

Reden wir über Geld. Was genau reizt Dich daran, Geld in Unternehmen zu investieren?
Im Mittelpunkt stehen für mich Unternehmer. Geld ist nur eine von vielen Variablen der Venture Capital-Gleichung. Das wirklich Reizvolle spielt sich aus meiner Sicht vor und während der gemeinsamen Reise ab, auf die man sich mit einem Unternehmer oder einem Gründerteam begibt. Der spannendste Teil meiner Arbeit ist für mich die Interaktion mit einer Vielzahl von außerordentlich intelligenten und motivierten Gründern, die mit ihren Unternehmen ganze Industrien nachhaltig verändern möchten. Das klingt zwar romantisch, aber im Alltag gleicht das oftmals der Rolle eines Feuerwehrmanns, der dort hilft, wo es gerade brennt. Besonders freut es uns natürlich, wenn die Unternehmer, die wir finanzieren, dann später nach erfolgreichem Verkauf ihres Unternehmens zusammen mit uns in neue Start-ups investieren. Ein Beispiel dafür sind die Flaconi-Gründer, die zusammen mit uns in SevenSenders investiert haben.

Wie wird man eigentlich Venture-Capital-Geber – wie bist Du Venture-Capital-Geber geworden?
In der Theorie ist der klassische Weg, zuerst erfolgreich Erfahrung als Unternehmer zu sammeln und dann auf die Investorenseite zu wechseln. In der Praxis haben einige der erfolgreichsten VCs jedoch sehr unterschiedliche Hintergründe. Ich bin 2013 als Analyst zu btov gekommen, nachdem ich im zweiten Jahr meines Studiums gemeinsam mit einem Freund im Bildungs- und später Recruitingbereich ein Unternehmen gegründet und fünf Jahre lang mitaufgebaut habe. Das Thema VC hat mich neben meiner praktischen Unternehmertätigkeit zunächst theoretisch interessiert, weshalb ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit damit befasst habe.

In der VC-Welt wird oftmals mit Millionenbeträgen hantiert, wird Dir da nicht manchmal mulmig zumute – bei diesen Summen?
Mulmig ist der falsche Begriff. Obwohl man in der Regel auch eigenes Geld in die eigenen Funds investiert, verwalte ich als VC zu einem Großteil das Geld von Dritten. Das wird einem spätestens beim eigenen Fundraising für einen neuen Fund vor Augen geführt. Was die Summen angeht, wird mir insbesondere in Gesprächen mit “Branchenfremden” über Investitionssummen und Bewertungen, regelmäßig die Realität aufgezeigt und diese gilt es, sich immer wieder zu vergegenwärtigen.

Was sollte jeder Gründer über Euch – als VC – wissen – wie etwa grenzt Ihr Euch von anderen Investoren ab?
btovversteht sich als zuverlässiger und loyaler Partner für Unternehmer. Auch wenn das banal klingen mag, ist dies – aus unserer Erfahrung – keine Selbstverständlichkeit. Wichtig ist außerdem, dass btov mehr als ein reiner Venture Capital-Fund ist. Vor über 16 Jahren gegründet, gehört btov zu den langjährigsten und ausdauerndsten Marktteilnehmern. Wir betreiben eigene Funds, welche das Geld institutioneller Investoren verwalten. Zusätzlich dazu betreuen wir eines der größten professionellen Netzwerke von Privatinvestoren im deutschsprachigen Raum mit rund 250 Mitgliedern. Seit zwei Jahren unterstützen wir zusätzlich dazu größere Family Offices und Unternehmen dabei, im Venture Capital-Bereich Fuß zu fassen. Seit Gründung hat sich btov zu einem wahren Venture Capital-Powerhaus entwickelt. Damit wir intern nicht unseren Fokus verlieren, gibt es klare Teams und Zugehörigkeiten innerhalb von btov. Ich persönlich arbeite für unseren 75 Millionen Euro Fund mit Fokus auf digitale Geschäftsmodelle.

Wie entscheidet Ihr, ob Ihr in ein Start-up investiert: Bauchgefühl, Daten, Beides oder was ganz anderes?
Wir sind meistens einer der ersten VCs auf dem Cap-Table, weshalb wir eher in Teams investieren als in Start-ups mit vielen Daten, die wir lange analysieren könnten. Natürlich beschäftigen wir uns stets auch mit allen verfügbaren Daten über Produkt, Markt, Wettbewerb und Performance. Damit das Team jedoch überhaupt eine Chance hat, muss das Timing stimmen. Und das kann man sowohl über sehr viele Daten als auch Gespür herausfinden. Wir sehen inzwischen über 3.000 Businesspläne im Jahr und gehen regelmäßig aktiv auf Unternehmer zu, wenn wir denken, einen potentiellen Fit zu erkennen.

Wie wichtig und bindet ist ein Businessplan?
Wenn mit Businessplan dieses klassische Dokument gemeint ist, welches man auch an der Uni im Rahmen von Businessplan-Wettbewerben anfertigen musste: gar nicht, weil diese oftmals viel zu theoretisch sind. So was sieht man heute nur noch selten. Wenn mit Businessplan aber ein Finanzplan für die ersten Monate beziehungsweise Jahre gemeint ist: sehr wichtig. Selbst wenn der Umsatz initial nicht im Vordergrund steht und der Plan nicht erfüllt wird, finde ich es sehr wichtig, dass ein Unternehmer sich die Zeit nimmt und mit den grundsätzlichen Dynamiken seines Geschäftsmodells aus quantitativer Sicht auseinandersetzt.

Welche Unterstützung bietet Ihr – neben Geld?
Seit unserer Gründung im Jahr 2000 hat sich btov an mehr als 150 Frühphasen-Unternehmen beteiligt und an der Entwicklung dieser Unternehmen, teilweise von der initialen Gründung bis hin zum erfolgreichen Verkauf oder IPO, mitgewirkt. Diese Erfahrung sowie unser weltweites Netzwerk bringen wir in jede neue Beteiligung mit ein. Wir verstehen uns als zuverlässiger Partner in jeder Situation und sind stets für die Gründer unserer Portfoliounternehmen ansprechbar. Sehr erheblich unterstützen wir unsere Portfoliounternehmen auch bei der Organisation von Folgerunden: Vergangenes Jahr sind rund 280 Millionen Euro in unsere Start-ups geflossen. Wir sind Sparringspartner für alle Themen und legen unseren besonderen Fokus auf die übergreifende Strategie und unterstützen bei der Besetzung von Kernpositionen im Unternehmen.

Wie organisiert Ihr den Austausch mit Euren Portfolio-Firmen, welche Tools nutzt Ihr?
Das hängt sehr stark davon ab, in welcher Phase sich ein Portfoliounternehmen gerade befindet. Wenn es gerade brennt, sind wir auch schon mal mehrmals täglich bzw. nächtlich mit den Gründern im Austausch. In späteren Phasen hingegen, insbesondere wenn andere Investoren den Lead übernommen haben, nimmt der Kontakt auf natürliche Art ab. Hinsichtlich der Tools sind wir wohl eher klassisch unterwegs. Ich persönlich lege generell großen Wert darauf, so viel persönliche Zeit wie möglich mit den Teams zu verbringen. Für alles andere ist WhatsApp sehr effizient.

Nicht jedes Start-up läuft rund, nicht jedes wird ein Erfolg. Was macht Ihr, wenn eine Eurer Beteiligungen in Schieflage gerät?
Gemäß Venture Capital-Theorie sollte man schlecht laufende Beteiligungen schnell erkennen, abschreiben und sich sowohl finanziell als auch personell auf die wenigen wirklichen Stars des Portfolios fokussieren. Emotional ist das eine herzzerreißende Herausforderung. Die Welt ist nie schwarz-weiss und es gibt Probleme in allen denkbaren Grautönen. Jeder hat mal Pech und dann müssen Partner zusammenhalten.

Und woran merkt Ihr, dass Ihr bei einem Start-up die endgültige Reißleine ziehen müsst?
Es gibt sicherlich Vorfälle, wie zum Beispiel Betrug oder Ähnliches, bei denen wir keine Diskussionsbereitschaft zeigen würden. Die Reißlinie müssen wir zum Glück nur sehr selten ziehen. Selbst wenn ein Unternehmen sich nachhaltig nicht in die angestrebte Richtung entwickelt, lassen sich oftmals Alternativen oder zumindest ein friedliches Ende in gemeinsamer Übereinkunft herbeiführen. Umgekehrt ist es jedoch recht klar: Diejenigen, die am schnellsten vorankommen, bekommen auch das meiste Folgekapital von uns.

Gebt Ihr uns einen Einblick in Euer Anti-Portfolio – bei welchen, jetzt erfolgreichen, Firmen seid Ihr leider nicht eingestiegen?
In 2010 hat Travis Kalanick btov während eines Besuchs im Silicon Valley sein damals noch recht frisch gegründetes Unternehmern Uber vorgestellt; der Rest ist Geschichte. Uber ist der eindeutige Anführer unseres Anti-Portfolios, in einer schmerzhaften Liste, die auch von Zeit zu Zeit zu Demut aufruft. Auch Delivery Hero, ResearchGate und SoundCloud stehen darauf. Im Umkehrschluss ist es jedoch auch super, dass wir diese Torchancen überhaupt hatten. Auch der beste Schütze verwandelt nicht jeden Schuss. Im Ernst: Spätere Stars zu verpassen gehört zum Geschäft – insbesondere wenn man auf frühphasige Unternehmen fokussiert ist. Solange man lernt, systematische Fehler zu reduzieren und sich insgesamt konstant verbessert, ist alles im grünen Bereich und wir sind unfassbar stolz auf die Unternehmer, in die wir investieren durften.

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Foto (oben): btov Partners

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.