Gastbeitrag von Thomas Keup

Ich konvergiere nicht! Und das Marketing ist schuld

Es mag sinnvoll sein, Neukunden mit Gutscheinen anzulocken. Es mag profitabel sein, mit Neukundenbeschränkungen und Mindestbestellwerten Umsatz zu generieren. Aber niemand kann mir erzählen, dass ein dauerhaftes Einkaufen von Kunden nachhaltig wertschöpfend ist.
Ich konvergiere nicht! Und das Marketing ist schuld
Dienstag, 2. Dezember 2014VonTeam

Ich bin ein Schnäppchen-Jäger. Jeder lohnende Online-Gutschein ist meiner. Und jeder lohnende Online-Gutschein für rabattierte Produkte ist erst recht meiner. Und jeder lohnende Online-Gutschein für rabattierte Produkte plus Cashback ist für mich wie Weihnachten. Aber bitte das ganze Jahr! Gut, dass irgendein Online-Marketer garantiert gerade wieder “Traffic einkaufen” will, wird, werden muss…

Meine Bilanz: In den vergangenen vier Jahren verdiente ich 864,- € Cashback durch das Berliner Startup Qipu. Weitere 100,- € sind offen zur Auszahlung. Unter 20% Rabatt fasse ich keinen Gutschein mehr an. Ein “Checkout” ohne Gutschein ist so gut wie ausgeschlossen. Und wenn ein Gutschein nur als Neukunde möglich ist – nichts leichter als das… Das Online-Marketing hat mich rundherum “versaut”. Und ist selbst schuld.

Ein eingekaufter Neukunde, der nie “re-engaged” wurde

In meinem LastPass-Account gibt es 20 Konten bei Online-Apotheken und Anbietern von Nahrungsergänzungsprodukten. Keine meiner 26 bei einer ganzen Reihe dieser Anbieter gekauften Dosen Almased-Diät ist ohne Preissuchmaschine und ohne Rabattgutschein geliefert worden. Viele mit lukrativem Cashback obendrauf. Nur DocMorris hat durch großzügige Gutscheine 4x den Zuschlag bekommen. Für alle anderen Anbieter bin ich ein teuer eingekaufter Neukunde, der nie “re-engaged” wurde.

Alle Anbieter haben geliefert, was ich wollte. Aber keiner hat mich jemals gefragt, was ich vielleicht sonst noch brauche. Jeder Anbieter hat mich jedes Mal wieder über Preissuchmaschinen und Gutscheinportale teuer versucht einzukaufen. Ein einziges Berliner Startup war so pfiffig, zumindest eine Probe der eigenen Eiweiskost beizulegen – und zumindest den Versuch zu unternehmen, mich als Kunden nicht gleich wieder vor die Tür zu schieben.

Darfs ein bisschen mehr sein? Die Antwort lautet: “Ja!”

Warum erzähle ich das? Weil Marketer, Produkt-Chefs und Vorstände der meisten Anbieter ihren Job nicht gemacht haben: Wer eine Diät macht, macht diese über Monate. Was ist also leichter, als die nächste Bestellung Almased ohne Affiliate-Kosten zu gewinnen? Was ist leichter, als einem bestehenden Kunden Alternativen in Form von Proben anzubieten, und seine margenstarke Hausmarke zu platzieren? Und was ist leichter, als einen Bestandskunden mit validen Kontaktdaten zu fragen, was er braucht?

Keine der Apotheken und Shops hat 1x gefragt, ob ich vielleicht das nächste Mal einen größeren Vorrat bestellen möchte. Keiner der Anbieter hat gefragt, ob ich neben meiner Diät auch Nahrungsergänzungsprodukte nutze. Keiner der Anbieter hat mich gefragt, ob ich vielleicht auch Hautcreme, Badezusatz oder Erkältungstee bestellen wollen würde. (Die Antwort lautet übrigens “ja”, “ja” und “ja”!) Keiner der Anbieter hat je wieder gefragt, ob er auch nur einen weiteren Euro mit mir verdienen kann.

“Das Marketing hat einen äußert schwachen Job abgeliefert”

Was ich exemplarisch mit 9 Monaten Diät, 22 Kilo Gewichtsverlust, 26 Dosen Almased, 414,98 € Umsatz vor Cashback und Gutscheinen klar machen möchte, ist: Das Marketing der Anbieter hat in einer meiner wichtigsten Lebensabschnitte einen äußerst schwachen Job abgeliefert! Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen für die Chance, jede Menge Geld zu sparen und so einfach so günstig an meine Eiweißkost zu kommen. Danke! Thanks! Gracias!

Wie die Abteilung “Nahrungsergänzung” ihre “Stammkundengewinnung” versemmelt hat, ist kein Einzelfall: Seit 6 Jahren wechsele ich jedes Jahr die Autoversicherung. Und jetzt ratet mal, wieviele der mich – mit großzügigen Rabatten und Gutscheinen – eingekauften Online-Versicherer gefragt haben, ob ich auch eine Kfz-Rechtsschutzversicherung oder eine Schutzbriefversicherung gebrauchen könnte? Ihr werdet es ahnen: Die Zahl liegt bei 0 – in Worten “Null”. Gleiches gilt für Strom- und Gasanbieter und die Mobilfunker.

KPIs: Kaum Praktikable Indikatoren über Kundenwünsche

Es mag sinnvoll sein, Neukunden mit Gutscheinen anzulocken und zum Testen der eigenen Angebote zu verführen. Es mag profitabel sein, mit Neukundenbeschränkungen, Mindestbestellwerten und Ausnahmeregelungen für margenstarke Produkte Umsatz zu generieren. Aber niemand kann mir erzählen, dass ein dauerhaftes Einkaufen von Kunden nachhaltig wertschöpfend ist. Denn kein Kunde wird sich aus Überzeugung an einen Anbieter binden, wenn dieser seine “Hausaufgaben” nicht gemacht hat.

Natürlich kann man online alles tracken. Natürlich kann man mit bestimmten Werten Trends erkennen und diese unterstützen oder korrigieren. Aber allein die Auswertung verfälscht das Ergebnis, wie mein langjähriger Kunde, IT-Hauptstadtrepräsentant, Bundesverdienskreuzträger und Physiker Ortwin Wohlrab zu bedenken gibt. Keine KPIs verraten, dass man mich zum Stammkunden entwickeln kann. Um dies zu tun, hilft die “Costumer Journey” – aka “wie packt der Kunde möglichst viel in den Warenkorb” leider nicht. Hier hilft nur “Costumer Relations” – alias “Kundenkommunikation”.

Achtung, Kunde droht mit Kommunikation! Schnell weg

Im Gespräch mit dem Produktchef eines der o. g. Anbieter sind wir an den Punkt gekommen, über Umfragen zu reden. Wer fragt, der führt. Und wer zur richtigen Zeit die richtigen Fragen stellt, aktiviert. Und wer sich dabei nicht ganz dumm anstellt, hat auch noch die Chance, mit mir als Kunden ins Gespräch zu kommen. Ups, Kunde droht mit Kommunikation?! Ja, denn genau das will der Kunde: angesprochen werden, gefragt werden, individualisierte Angebote erhalten. Auch von, mit und durch Online-Shops.

Es gibt einen Weg, Kunden von der Gewinnung per Gutschein und Rabatt in Austausch und Verständigung zu bringen. Es gibt Tools, Kommunikation individualisiert und zugleich effektiv zu betreiben. Und es gibt Venture Generated und User Generated Content, der Kunden interessiert, sie begeistert, sie aktiviert, ihre Wünsche zu äußern. Ergebnis: Die Bereitschaft mehr, höherwertig und häufiger im Lieblingsshop einzukaufen. Das bilden dutzende Tracker der Online-Shops allerdings nicht in Marketing-Tabellen ab.

Der Ausweg: Marketing + Kommunikation + Kundendienst
Marketing bzw. Werbung ist nur die halbe Miete. Und zur Kundenbindung nicht geeignet. Kommunikation ist die andere Hälfte. Und zur Neukundengewinnung nicht geeignet. Ich kenne kaum ein Ecommerce-Startup in Berlin, das bislang die Chance genutzt hat, Kunden mit Marketing zu gewinnen, mit Kommunikation zu binden und mit gutem Kundendienst zu begeistern. Das sind die drei Bereiche – online wie sozial. Dazu reicht eine MBA-Programm allerdings nicht aus. Dazu gehört ein wenig weiterdenken. Und ich bin gespannt, wer das offene Geheimnis als erstes erfolgreich “exekutiert”. Viel Glück!

ds-Thomas-Keup

Zur Person
Thomas Keup ist langjähriger Kommunikationsexperte in Berlin. Als Pressesprecher verantwortete er die Kommunikation für den Neubau des Berliner Hauptbahnhofs der Deutschen Bahn. Als Leiter Unternehmenskommunikation und Marketing begleitete der Mecklenburger die SOLON AG an die Börse. Als langjähriger Pressesprecher des IT-Branchenverbandes SIBB e. V. vertrat er die regionale IT-Industrie mit fast 4.000 Unternehmen und mehr als 50.000 Mitarbeitern. Thomas Keup arbeitet für IT-Unternehmen und Tech-Startups in Berlin. Der Spezialist begleitet Unternehmen bei Ausrichtung und Konzeption ihrer Kommunikation, plant und realisiert Investoren-, Markt-, Kunden-, Medien- und Mitarbeiterkommunikation in Wachstum und Veränderung. Zu den Schwerpunkten des Co-Founders von pitchfreunde und SPREEFACTORY gehören Content Management, Social Business Strategien und Krisenkommunikation.

Foto: marketing elements from Shutterstock