Toon Bouten im Interview

“Es ist wichtig, dass man Bestehendes immer in Frage stellt”

"Denkt bei der Entwicklung eurer Produkte immer an die Nutzerbedürfnisse. Sucht euch ein starkes Team und analysiert den Markt gut", rät Tomorrow-Focus-Chef Toon Bouten Gründern, im Interview mit deutsche-startups.de. Eine Sache ist ihm noch wichtig: "Habt keine Angst vorm Scheitern".
“Es ist wichtig, dass man Bestehendes immer in Frage stellt”
Mittwoch, 23. Juli 2014VonAlexander Hüsing

Das Münchner Medienunternehmen Tomorrow Focus macht sich intern und extern für Start-up stark. Intern durch Intrapreneurship-Programme, extern durch Beteiligungen an Start-ups. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Tomorrow-Focus-Chef Toon Bouten über dynamische, flexible Unternehmen, die Bereitschaft, sich ständig mit Neuem auseinanderzusetzen und Nutzerbedürfnisse.

Konzerne wie Tomorrow Focus gelten als schwerfällig. Warum sollten junge, dynamische Menschen, die etwas bewegen wollen, dennoch bei Ihnen anheuern?
Wären wir schwerfällig, würde es uns längst nicht mehr geben. Im Internet überleben auf längere Sicht nur die dynamischen, flexiblen Unternehmen und nicht die bürokratisch und hierarchisch Strukturierten. Wir pflegen daher eine offene Unternehmenskultur mit großem Entfaltungsspielraum und ohne starre Hierarchien, in der jeder Mitarbeiter, der etwas Konstruktives beizutragen hat, auch Gehör und Anerkennung findet. Wir setzen also auf all diejenigen, die Spaß daran haben, das Internet gemeinsam mit uns mitzugestalten.

Eine solche dynamische Gründerkultur in einem Unternehmen zu etablieren, ist sicherlich schwierig. Wie gehen Sie da als führender Kopf der Firma vorweg?
Ich glaube, es ist wichtig, dass man Bestehendes immer in Frage stellt und die Bereitschaft hat, sich ständig mit Neuem auseinanderzusetzen. Man sollte wenig Micromanagement betreiben, die Mitarbeiter immer wieder auffordern etwas auszuprobieren und ihnen die Freiheit geben, eigenverantwortlich zu arbeiten.

Eigenverantwortliches Arbeiten ist sicherlich toll, aber wie viele spannende, interne Ideen Ihrer Mitarbeiter haben Sie denn in den vergangenen Monaten gesehen und was ist ausschlaggebend für die Umsetzung?
Wir sehen sehr viele Ideen von unseren Mitarbeitern, allerdings sind das nicht immer gleich Ideen für komplett neue Geschäftsmodelle, sondern mehrheitlich Ideen für Produktinnovationen auf unseren bestehenden Plattformen wie beispielsweise neue mobile Anwendungen für HolidayCheck. Bei der Entscheidung, ob eine Idee umgesetzt wird, prüfen wir immer zu aller erst die Nutzerorientierung. Der Schlüssel zum Erfolg von Produkten liegt darin, Alltagsprobleme zu lösen und dabei die Bedürfnisse des Nutzers in den Mittelpunkt stellen.

Und was, wenn eine Idee nicht umgesetzt wird: Ist es für die beteiligten Personen denn nicht frustrierend?
Den Weg zum Erfolg ohne Hindernisse gibt es selten – ganz besonders als Unternehmer. Wichtig ist, wie man mit Rückschlägen umgeht. Gerade hier in Deutschland werden Fehlschläge oft als persönliche Niederlage und als Karriereaus empfunden. In anderen Ländern ist Scheitern kein Problem. Daher sage ich unseren Mitarbeitern „fail fast, learn fast“ und arbeite mit der Erfahrung aus der ersten Idee einfach an der nächsten.

Sie sprachen gerade neue Geschäftsmodelle an: Das Start-up organize.me ist ebenfalls bei Tomorrow Focus entstanden. Wie muss man sich dabei die Abläufe vorstellen?
organize.me ist das beste Beispiel, wie aus einer tollen Mitarbeiteridee innerhalb kurzer Zeit ein Start-up aus echtem Fleisch und Blut entstehen kann. Los ging alles vor rund zwei Jahren, als wir unsere Mitarbeiter dazu ermutigten, sich mit neuen, noch nicht dagewesenen Produktideen zu beschäftigen. Eine Idee, die uns von Anfang an überzeugte, war die Entwicklung einer intelligenten Dokumentenmanagement-Anwendung. Die Geburtsstunde von organize.me.

Und was, wenn ein solches Projekt scheitert, können die Gründer dann wieder zurück in den alten Job?

Wir wären schlecht beraten, wenn wir Menschen mit Unternehmergeist und Erfahrungen als Gründer einfach gehen lassen würden. Im Gegenteil: Wir suchen sogar aktiv nach Menschen mit diesen Eigenschaften.

Über Intrapreneurship-Programme das Unternehmen für neue Ideen zu öffnen, ist zur Mitarbeiterbindung ein guter Weg. Was aber kann dann Tomorrow Focus externen Gründern bieten – und vor allem, wie kommen Gründer an Sie ran?
Wir sind ein strategischer Investor und daher am nachhaltigen Aufbau von Unternehmen interessiert. Die Tomorrow Focus AG bietet Gründern den Vorteil, dass sie sich voll und ganz auf ihre Produkte konzentrieren können, weil sie zum Beispiel Standardaufgaben wie Finanz- oder Personalprozesse an Spezialisten abgeben können. Außerdem haben wir viel Erfahrung damit, Internetunternehmen groß zu machen. Ein gutes Beispiel ist das Thema Reichweitenwachstum.

Was können Sie da in die Waagschale werfen?
Hier können Gründer auf unser großes Wissen im Bereich SEO und SEM zurückgreifen. Überhaupt bietet unsere Unternehmensstruktur mit all unseren erfolgreichen Marken einen riesigen Networking-Vorteil. Egal ob es um technische Themen, Social Media oder Marketing geht – wir tauschen uns hier untereinander laufend aus und helfen uns gegenseitig. Interessierte können sich einfach an unternehmensentwicklung@tomorrow-focus.de wenden.

Welche Segmente sind generell interessant für Tomorrow Focus?
Mit HolidayCheck, Zoover, Tjingo und Ecotour hat die Tomorrow Focus AG ein starkes Reisesegment. Hier suchen wir immer nach neuen Ideen und Geschäftsmodellen. Das muss nicht zwangsläufig eine Buchungsplattform sein, sondern das können auch Unternehmen im Bereich Reiseinspiration, Travel Guides, Reiseinformationen suchen oder teilen sein. Ebenso wichtig ist für uns der Bereich Gesundheit, denn hier haben wir mit jameda bereits ein Start-up groß gemacht. In unserem Publishing-Segment, in dem beispielsweise Focus Online und Huffington Post zu finden sind, sind wir immer auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen zur Monetarisierung unseres Contents.

Zum Schluss noch eine generelle Frage: Welchen Rat geben Sie Gründern mit auf den Weg?
Folgendes würde ich Gründern raten: Denkt bei der Entwicklung eurer Produkte immer primär an die Nutzerbedürfnisse. Sucht euch ein starkes Team und analysiert den Markt gut. Gleichzeitig solltet ihr aufpassen, euch durch zu viel Analyse nicht den Tatendrang und den Enthusiasmus nehmen zu lassen. Und last but not least: Habt keine Angst vorm Scheitern!

Zur Person
Toon Bouten war viele Jahre in führenden europäischen Unternehmen tätig. Vor seinem Wechsel zur Tomorrow Focus AG im Januar 2013 leitete er den europaweit tätigen local-search- und lead-generation-Spezialisten European Directories mit Sitz in London und Amsterdam. Zuvor führte Bouten als President und CEO den dänischen Headsetproduzenten GN Netcom. Von 2004 bis 2006 verantwortete der gebürtige Niederländer für Philips Electronics NV als Executive Vice President und General Manager das Europageschäft der Consumer-Electronics-Sparte.

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.