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“Wir sind froh, dass wir dieses Jahr nicht raisen müssen”

Bei Erblotse.de dreht sich alles ums Erben. "Es registrieren sich monatlich über 1,5 % der Erbfälle auf unserer Plattform, unser LTV liegt mit einem mehrfachen Faktor über CAC", sagt Gründerin Birte Gall. Derzeit beschäftigt das Unternehmen 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
“Wir sind froh, dass wir dieses Jahr nicht raisen müssen”
Montag, 9. Oktober 2023VonAlexander Hüsing

Das Berliner Startup Erblotse.de, 2020 von Birte Gall, Thomas Asmus, Jochen Leidig und Jesper Richter-Reichhelm gegründet, hilft Menschen beim Erbfällen. “Wenn ein Erbfall eingetreten ist, helfen wir den Erben die anfallenden Aufgaben zu lösen, wie zum Beispiel. einen Erbschein beantragen, Erbquoten berechnen, ein Vermögensverzeichnis aufstellen und vieles mehr. Wir helfen den Erben durch Informationen, digitale Tools und Expertenberatung”, erklärt Gründerin Gall das Konzept.

Derzeit beschäftigt das Unternehmen, das unter anderem von wooga-Gründer Jens Begemann finanziell unterstützt wird, 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. “Es registrieren sich monatlich über 1,5 % der Erbfälle auf unserer Plattform, unser LTV liegt mit einem mehrfachen Faktor über CAC. Die Eingabe der Vermögenswerte in unser Nachlassverzeichnit hat eine dreiviertel Milliarden Euro erreicht”, sagt Erblotse.de-Macherin zum Stand der Dinge.

Im Interview mit deutsche-startups.de sprich Gründerin Gall außerdem über Lizenzgebühren, Hypothesen und Rückschläge.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Erblotse.de erklären?
Wir helfen Erben bei der Regelung des Erbfalls. Wenn ein Erbfall eingetreten ist, helfen wir den Erben die anfallenden Aufgaben zu lösen, wie zum Beispiel einen Erbschein beantragen, Erbquoten berechnen, ein Vermögensverzeichnis aufstellen und vieles mehr. Wir helfen den Erben durch Informationen, digitale Tools und Expertenberatung.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Wir haben eigene digitale Produkte, für die die Kunden bezahlen. Darüber hinaus haben wir eigene Nachlass-Experten, die für die Kunden Aufgaben übernehmen wie z.B. die Beantragung von Personenstandsurkunden, das Erstellen von Erbscheinsanträgen, die Kommunikation mit den Behörden uvm. Des Weiteren bekommen wir Lizenzgebühren für digitale Akten, mit denen Rechtsanwälte und Steuerberater arbeiten, um unsere Kunden in ihren jeweiligen Fällen zu beraten. Als Drittes haben wir Kooperationspartner wie Immobilienmakler und andere Services für die wir Provisionen bekommen. In Zukunft werden wir auch die Vorbereitung des Nachlasses anbieten und hierfür ein Abomodell etablieren.

Was waren in den vergangenen Monaten die größten Herausforderungen, die Ihr überwinden musstet?
Das Team ist in den letzten Monaten remote gewachsen, so dass wir die Teamzusammenarbeit und -kultur sorgsam weiterentwickeln müssen, damit alle Mitarbeiter optimal an den Prozessen arbeiten können und sie gut integriert sind. Wir müssen die Synchronisation der Information zwischen allen Mitarbeitern gewährleisten und sicherstellen, dass alle an den richtigen Dingen arbeiten. Wir arbeiten stark datenbasiert und haben alle Prozesse digitalisiert, was die Zusammenarbeit über Zeit- und geografische Grenzen hinweg erleichtert. Formate wie Retros stellen sicher, dass wir unsere Zusammenarbeit ständig weiter verbessern. Wir arbeiten ständig daran, die Arbeitsprozesse im Team optimal aufeinander abzustimmen, um schnelle Entwicklungszeiten und eine hohe Qualität in unseren Services zu erreichen und damit die Conversion Rates ständig zu erhöhen. Gleichzeitig ist es uns wichtig, dass wir alle eine einheitliche professionelle, freundliche und zugewandte Erblotse-Haltung pflegen. Unsere Kunden befinden sich in einer emotional schwierigen und häufig für sie stressigen Situation. Die Ansprache in den digitalen Tools und bei den Beratungsleistungen muss darauf abgestimmt sein.

Wie ist überhaupt die Idee zu Erblotse.de entstanden?
Wir haben uns überlegt, welche Themen es gibt, die viele Menschen betreffen und für die es noch keine zufriedenstellende Lösung gibt. Wir suchten nach einem gesellschaftlich relevanten Thema, das wir durch eine digitale Lösung einfacher und niedrigschwelliger für die Nutzer zugänglich machen konnten. Dabei sind wir auf die Regelung des Erbfalls gekommen. Dieser Prozess war bisher ineffektiv und intransparent, alles ist papierbasiert und mühselig. Wir haben uns angeschaut, wie viele Sterbefälle es in Deutschland und Europa gibt, wie viele Menschen jährlich mit der Regelung eines Erbfalls befasst sind und ob man dieses Thema ausreichend standardisieren und digitalisieren kann. Allein In Deutschland werden jährlich 400 Milliarden Euro vererbt. Um dieses Vermögen zu transferieren und auf die Erben aufzuteilen, bedarf es vieler Entscheidungen, Dokumente und Nachweise. Keiner der Berater, die derzeit bei der Regelung helfen (Anwälte, Steuerberater, Notare) hat eine ganzheitliche Perspektive auf das Thema und die Leistungen sind teuer, obwohl ein Großteil der Aufgaben rein organisatorischer Art ist. Die Idee für eine Plattform, die den Fall ganzheitlich analysiert und durch kluge Tools sowie Organisations- und Fachexperten bei der Regelung des Erbfalls unterstützt, war geboren.

Es herrscht derzeit Krisenstimmung in der deutschen Startup-Szene. Was ist Deine Sicht auf die aktuelle Eiszeit?
Das Marktumfeld macht es für Startups, die dieses Jahr nach einer Finanzierung suchen, nicht einfach. Daher sind wir froh, dass wir dieses Jahr nicht raisen müssen. Grundsätzlich wird die Frage sein, wie einfach die VCs in Zukunft ihre Fonds füllen können. Wenn es im Zuge dieser Entwicklung dazu kommen sollte, dass es weniger neue und zukünftig kleinere Fonds gibt, dann wird das Fundraising für Start-ups in Zukunft (noch) kompetitiver.

Wie hat sich Erblotse.de seit der Gründung entwickelt?
Stand Juli 2023 sind wir 18 Personen im Team und wachsen monatlich personell. Es registrieren sich monatlich über 1,5 % der Erbfälle auf unserer Plattform, unser LTV liegt mit einem mehrfachen Faktor über CAC. Die Eingabe der Vermögenswerte in unser Nachlassverzeichnit hat eine dreiviertel Milliarden Euro erreicht. Die umfassende Eingabe der Vermögenswerte durch die Erben ermöglicht es uns, Empfehlungen zur Verteilung und Steueroptimierung zu geben.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wir hatten mehrere Hypothesen, die wir validieren wollten und die wir schwermütig wieder einsammeln mussten. So hatten wir auf die Zusammenarbeit mit den Notaren gehofft. Aus der Not, dass es in Deutschland langwierig und schwierig sein kann, einen Erbschein zu beantragen, haben wir ein digitales Erbscheinsantragsformular entwickelt. Unser Ziel ist dabei, den Prozess des Erbscheinsantrags zeitlich deutlich zu verkürzen und zu vereinfachen. Dazu haben wir aus den vom Erben bei uns eingegebenen Daten sowie ein paar weiteren Daten einen fertigen Erbscheinsantrag entwickelt. Gerne wollten wir den Notaren diese Lösung als B2B2C-Softwarelösung zur Verfügung stellen. Obwohl Notare die Lösung nutzen wollten, wurde die Einbindung jedoch von zwei Notarkammern rundweg abgelehnt. Erschüttert hat uns hierbei, dass seitens der Notarkammern keine für uns ersichtliche Auseinandersetzung mit unserer Software, den von uns eingeholten Rechtsgutachten und den bestehenden pain points der Bürger stattgefunden hat. Dass weder der Staat noch die Notare einen Standardprozess wie den Erbscheinsantrag, den circa 500.000 Menschen in Deutschland jährlich stellen müssen, digital unterstützen, erschwert den Erben den Prozess unnötig. Dass die Einbindung externer digitalerLösungen apodiktisch abgelehnt wird, zeigt einmal mehr auf, warum wir mit der Digitalisierung nicht vorankommen.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Erstens: Beim Hiring der Mitarbeiter: wir haben ein großartiges Team zusammen, dass die komplette Bandbreite an Kompetenzen und Charakteren abdeckt. Es macht einfach Spaß, jeden Tag gemeinsam an der Weiterentwicklung des Produkts zu arbeiten. Zweitens: In der Konzeption des Produkts als ganzheitliches Angebot. Das gab es in der Form vorher noch nicht, es war ein Experiment, das funktioniert hat. Wir bekommen von unseren Kunden großartige Rückmeldungen und freuen uns über 4,9 Punkte im Google-Rating.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Wer sie noch nicht hat, sollte seine Resilienz stärken. Es gibt neben all den tollen Entwicklungen und Ergebnissen auch jede Menge Rückschläge: im Vertrieb, in der Annahme neuer Features durch die Kunden, im Fundraisingprozess usw. Wichtig ist dabei, dass man schnell analysiert, was verbessert werden muss und dass man dann sein Ziel weiter unbeirrt verfolgt. Und es hilft Kritikfähigkeit mitzubringen und sie ständig zu trainieren, denn wenn man ein gutes Team hat, das auch ehrliche Rückmeldung zu den eigenen Vorschlägen gibt, tut das bei aller Konstruktivität auch manchmal weh. Aber solches Feedback hilft enorm, das Produkt und die Firma voran zu bringen.

Wo steht Erblotse.de in einem Jahr?
Wir werden neben der Regelung des Erbfalls auch die Nachlassplanung als Produkt gelauncht haben. Unsere Kunden und Kooperationspartner fragen uns schon jetzt danach. Dabei werden wir einen fundamental anderen Ansatz wählen, als es die Plattformen anbieten, die derzeit auf dem Markt sind.

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Foto (oben): Erblotse.de

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.