#Interview

“Zu Beginn haben wir etwas zu viel Engineering betrieben”

Hinter Ocell verbirgt sich ein "Betriebssystem der digitalen Forstwirtschaft". "Als Laie unterschätzt man, wie komplex ein Wald ist. Dementsprechend ist auch eine wissenschaftlich fundierte, korrekte und skalierbare Analyse des Waldes ein Mammutprojekt", sagt Gründer David Dohmen.
“Zu Beginn haben wir etwas zu viel Engineering betrieben”
Montag, 28. August 2023VonAlexander Hüsing

Das Münchner Unternehmen Ocell, 2018 von David Dohmen, Christian Decher und Felix Horvat gegründet, entwickelt ein “Betriebssystem der digitalen Forstwirtschaft”. “Wir helfen Unternehmen, in verlässliche Klimaprojekte zum Schutz unserer Wälder zu investieren, indem wir Waldbesitzer incentivieren, noch mehr CO2 zu speichern als bisher. Dazu verarbeiten wir Luftaufnahmen mit weiteren Datenquellen und künstlicher Intelligenz zu digitalen Zwillingen des Waldes”, erklärt Gründer Dohmen das Konzept hinter Ocell.

Der Impact-Investor Aenu, Summiteer, Maximilian Thaler, Max Viessmann und die Boscor Gruppe, ein Dienstleister für nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, sowie die Altinvestoren investierten zuletzt 5 Millionen US-Dollar in Ocell. 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten derzeit für das ClimateTech. In einem Jahr möchte das Team seine “CO2-Klimaschutzprojekte auf nahezu allen Waldflächen”, die das Unternehmen bereits mit seiner Software verwaltet und analysiert eingeführt haben.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Ocell-Macher Dohmen außerdem über Produktentwicklung, Komplexität und Adversarial Thinking.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Ocell erklären?
Wir helfen Unternehmen, in verlässliche Klimaprojekte zum Schutz unserer Wälder zu investieren, indem wir Waldbesitzer incentivieren, noch mehr CO2 zu speichern als bisher. Dazu verarbeiten wir Luftaufnahmen mit weiteren Datenquellen und künstlicher Intelligenz zu digitalen Zwillingen des Waldes. Diese geben beispielsweise Aufschluss über Waldwachstum und die aktuelle CO2-Speicherleistung und können die optimale Forstbewirtschaftung voraussagen.

War dies von Anfang an euer Konzept?
Wir Gründer sind alle Ingenieure und als solche wollten wir ein Problem lösen, indem wir Effizienzen schaffen. Recht bald kamen wir darauf, dass es kaum eine andere Branche gibt, die bislang so wenig digitalisiert ist wie die Forstwirtschaft. Und so war unsere Idee zur Dynamic Forest-Software entstanden, mit der Wälder effizienter und klimafreundlicher bewirtschaftet werden können. Dabei haben wir sehr schnell festgestellt, dass Waldbesitzer für eine nachhaltige Forstbewirtung gar nicht entlohnt werden. Geld erhalten sie nur fürs Abholzen, nicht aber für den Erhalt eines gesunden Waldes, der unser Klima schützt. Das wollen wir mit unserem neuen Produkt, hochwertigen, datengetriebenen CO2-Zertifikaten ändern.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Unternehmen können unsere CO2-Zertifikate erwerben, um so in Klimaschutzprojekte zum Erhalt unserer Wälder zu investieren. Wir vermitteln also zwischen Unternehmen und Waldbesitzern und erhalten dafür eine Provision. Zusätzlich bezahlen die Waldbesitzer für unsere Software, die die Grundlage für die Erstellung verlässlicher, datenbasierter CO2-Zertifikate darstellt.

Was waren die größten Herausforderungen, die Ihr bisher überwinden musstet?
Als Laie unterschätzt man leicht, wie unsagbar komplex ein Wald ist. Dementsprechend ist auch eine wissenschaftlich fundierte, korrekte und skalierbare Analyse des Waldes ein Mammutprojekt. Wir haben ein paar Jahre gebraucht, um auf unser jetziges hohes Niveau zu kommen. Mit Satelliten und KI alleine kann das nicht erreicht werden. Man braucht eine deutlich höhere Auflösung, 3D-Daten und auch die Innenperspektive des Waldes. Außerdem gab es lange überhaupt kein Bewusstsein für den Wert und das Marktpotenzial der Wälder. Da mussten wir erst einmal Aufklärungsarbeit leisten. Dabei schätzt BCG den Gesamtwert der weltweiten Wälder auf 150 Billionen US-Dollar.

Wie hat sich Ocell Unternehmen seit der Gründung entwickelt?
Wir sind 2019 zu Dritt gestartet. Mittlerweile besteht unser Team aus über 30 Leuten und wir stellen weiter ein, vor allem in den Bereichen Business Development und Data Analytics sowie Sales. Denn die Nachfrage nach hochwertigen CO2-Zertifikaten ist jetzt schon enorm, dabei haben wir sie ja noch nicht einmal gelauncht. Und auch das Interesse seitens der Waldbesitzer ist riesig: Die Waldfläche, die mit unserer Software verwaltet wird, hat sich alleine in den letzten 12 Monaten fast versechsfacht.

Zuletzt konntet ihr 5 Millionen einsammeln. Wie seid ihr mit euren Investor:innen in Kontakt gekommen?
Aenu haben wir auf der Noah-Konferenz kennengelernt, Summiteer wurde uns über gemeinsame Geschäftspartner vorgestellt. Weitere Investoren sind Waldbesitzer und Kunden von uns. Damit haben wir starke Partner mit unterschiedlicher Expertise an unserer Seite, wovon wir in der weiteren Produktentwicklung und beim Skalieren profitieren werden.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wir haben die technische Komplexität einer hochwertigen Waldanalyse deutlich unterschätzt. Das hat uns in der Vergangenheit viel Zeit gekostet. Es war aber extrem wichtig, die Prozesse einmal gut aufzusetzen. Wir konnten uns so einen deutlichen Vorsprung verschaffen und diesen auch künftig schneller ausbauen. Gerade zu Beginn unseres Unternehmens haben wir zudem oftmals etwas zu viel eigenes Engineering betrieben, statt zu überlegen, ob es nicht auch eine sinnvolle Kauf-Lösung gäbe. Diesbezüglich mussten wir drei Ingenieure uns erst weiterentwickeln.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Unsere Kunden standen für uns schon immer im Fokus. Gerade in so gut vernetzten Branchen wie der Forstwirtschaft und wenn es um Klimaschutzprojekte geht, haben Glaubwürdigkeit und Vertrauen oberste Priorität. Wir haben verstanden, dass eine Software zur Forstverwaltung, die die Grundlage für hochwertige CO2-Projekte bildet, einen enorm großen Mehrwert für Waldbesitzer und für Unternehmen schafft, die in Klimaprojekte investieren wollen.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg
Gerade “Techies” mit zunächst wenigen betriebswirtschaftlichen Kenntnissen empfehle ich, sich früh erfahrene Business Angels dazu zu holen, die die eigene Perspektive erweitern und die richtigen Fragen stellen. Außerdem finde ich es wichtig, sich immer auch selbst kritisch zu hinterfragen, ob man noch in die richtige Richtung arbeitet, und gegebenenfalls auch keine Angst zu haben, die Marschrichtung zu ändern. Auf der anderen Seite darf man sich aber auch nicht zu schnell von Externen aus dem Konzept bringen lassen, wenn man sich innerhalb des Teams sicher ist – selbst dann, wenn man damit gegen den Trend läuft. Fortschritt liegt im Adversarial Thinking.

Wo steht Ocell in einem Jahr?
Wir werden unsere CO2-Klimaschutzprojekte auf nahezu allen Waldflächen, die wir schon heute und auch künftig mit unserer Software verwalten und analysieren, eingeführt haben. So werden signifikant mehr Treibhausgase im Wald gespeichert, wodurch das Klima entlastet wird. Die Daten zur sogenannten CO2-Senkenleistung werden wir über unsere Plattform transparent machen. Der CO2-Zertifikatsmarkt wird damit endlich transparent und verlässlich.

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Foto (oben): Ocell

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.