#Gastbeitrag

“Bootstrapping Plus”: Schwierige Zeiten erfordern einfache Lösungen

Nicht jede Firma ist ein VC-Case! Das ist die Philosophie bei "Bootstrapping Plus". Statt sich auf Umsatzwachstum und die rasche Marktdominanz zu fokussieren, werden dabei ein bis zwei Finanzierungsrunden mit passenden Investoren angestrebt. Ein Gastbeitrag von Peter Nadolinski.
“Bootstrapping Plus”: Schwierige Zeiten erfordern einfache Lösungen
Donnerstag, 20. April 2023VonTeam

Das aktuelle Marktumfeld rund um Venture Capital gestaltet sich schwierig. Gerade Neu-Investitionen durch VC-Fonds sind seltener geworden, dafür werden bestehende Portfolio-Unternehmen finanziell gestützt. Besonders hart trifft die Situation die Bereiche E-Commerce und Software-as-a-Service, die einen für VCs zu “nischigen” Markt bedienen. Bedeuten die momentanen Umstände demnach das Aus für Innovation in den beiden Branchen? Natürlich nicht. Welchen Herausforderungen müssen sich Gründer aber stellen und mit welchen Mitteln gelangen sie derzeit an Kapital?

E-Commerce-Unternehmen sind schon länger keine klassischen Cases für eine VC-Finanzierung mehr. Natürlich gibt es Ausnahmen, diese haben in der Regel jedoch ein stark ausgeprägtes Alleinstellungsmerkmal für Investoren. Dabei dreht es sich oftmals um Nachhaltigkeit, Abo-Modelle oder starke Kohorten sowie Retention – und selbst dann ist die Anzahl jener, die regelmäßig und gerne in reine E-Commerce-Unternehmen investieren, eher gering. An die Stelle der großen Kapitalgebern treten hier Nischen- und Micro-VCs oder auch Business-Angels.

SaaS-Unternehmen haben ein ähnliches Problem, jedoch an anderer Stelle: Während Software-Startups durchaus noch häufig mit Venture Capital finanziert werden, ist der adressierbare Markt vieler SaaS-Lösungen einfach nicht groß genug. Da nach üblicher VC-Logik jede Investition das Potenzial haben muss, die komplette Fonds-Summe „zurückzuzahlen“ (engl. auch „Fund-Returner“), erhalten viele SaaS-Unternehmen trotz ordentlicher Traktion oft eine Absage von Seiten der Investoren. Viele SaaS-Startups versuchen als Reaktion krampfhaft zu einem attraktiveren VC-Case zu werden, auch wenn es ihr Markt eigentlich nicht hergibt. Das Ergebnis: Enttäuschung, Frust, Ratlosigkeit – und wenn hunderte Stunden an Arbeit ins erfolglose Fundraising statt ins operative Geschäft geflossen sind, entsteht nebenbei nicht selten eine bedrohliche Liquiditätssituation.

Besonders überraschend ist, dass viele der Unternehmer sich im Vorfeld ihrer Fundraising-Versuche nicht intensiv mit Alternativen zu Bootstrapping und VC-Finanzierung beschäftigt haben – denn die gibt es. Man könnte sie Bootstrapping „Plus“ nennen, eine Mischform der beiden Extrema, die für Unternehmen interessant ist, die keine VC-Cases sind und dennoch mit Investoren arbeiten möchten.

Was ist “Bootstrapping Plus” und welche Vor-/Nachteile hat es?

“Nicht jede Firma ist ein VC-Case – und das ist auch gut so!” Das ist die Grundphilosophie des “Bootstrapping Plus”-Ansatzes. Statt sich unter hohem Risiko auf Umsatzwachstum und die möglichst rasche Marktdominanz zu fokussieren, werden im Bootstrapping Plus Modell ein bis zwei Finanzierungsrunden mit passenden Investoren angestrebt. Danach soll das Geschäftsmodell den notwendigen Reifegrad erreicht haben, um tragfähig zu sein. Das bedeutet, die Finanzierung erfolgt vollständig aus eigenem Cashflow, sowie klassischen Finanzierungsformen wie Fremdkapital oder Mezzanine, bei gleichzeitig profitablem Wachstum.

Das “Bootstrapping Plus”-Modell sorgt für mehr Gelassenheit und Flexibilität. Es ist schließlich nicht das Ziel, eine Firma mit maximaler Aggressivität über einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren in ein Unicorn zu verwandeln, das dann mit hoher Bewertung an die Börse gehen kann. Es ist auch nicht wichtig, ob der nächste VC das Unternehmen weiter finanziert und die Equity Story attraktiv findet, da die Anzahl der Finanzierungsrunden von Anfang an begrenzt ist und der eigene Cashflow sowie eine schnelle Tragfähigkeit im Fokus stehen. Es geht darum, ein kompakteres, dafür aber profitables Wachstumsunternehmen mit hohem ein- bis mittlerem zweistelligen Millionen-Umsatz aufzubauen, das letztendlich im Rahmen eines M&A-Szenarios an strategische Käufer veräußert wird. Dieses alternative Vorgehen bringt für Gründer gleich fünf entscheidende Vorteile:

  • Sie vergeuden weniger Zeit im Fundraising, wenn es für einen VC-Case am Ende sowieso nicht reicht.

  • Sie reduzieren den Wachstumsdruck, der mit einer klassischen VC-Finanzierung einhergeht. Dadurch können sie gesündere und vor allem bedachte Entscheidungen für das Unternehmen treffen.

  • Sie können auch strategische Investoren in ihren Cap Table einbeziehen, ohne Gefahr zu laufen, dass die oftmals privilegierte Position im Cap Table (Stichwort: qualifizierte Minderheit) die nächste Finanzierungsrunde torpediert.

  • Es entsteht die volle Flexibilität im Verkauf, da ein breites Angebot strategischer Käufer vorhanden ist. Diese akquirieren je nach Branche meistens auf EBIT- basierter Bewertung – daher die hohe Relevanz der raschen Profitabilität.

  • Die Gründer verwässern deutlich weniger als VC-finanzierte Pendants. Gründer halten in diesem Modell zum Schluss noch etwa 70 bis 80 Prozent der Anteile. Auch wenn man damit sicherlich kein Milliardär wird: Wenn die Rechnung also aufgeht, ist ein Multi-Millionen-Exit mit maximaler finanzieller Freiheit trotzdem möglich.

Natürlich ist der Bootstrapping Plus Ansatz aber nicht nur ein Segen. Auch bei dieser Finanzierungsform gibt es Nachteile, die Gründer bedenken sollten:

  • Die zu erwartenden Bewertungsniveaus sind deutlich niedriger als bei VC-Cases. Durch die geringere Abhängigkeit von frischem Kapital und weiteren Finanzierungsrunden fällt dieser Umstand jedoch weniger ins Gewicht.

  • Das Unternehmen muss von Anfang an in Richtung Profitabilität geführt werden. Eine schnelle Tragfähigkeit ist essenziell. Gründer können nicht dieselben Risiken wie mit einer klassischen VC-Finanzeirung eingehen. Diese Vorgehensweise eignet sich also nur für etablierte Geschäftsmodelle wie E-Commerce oder SaaS.

  • Wie bei klassischen Bootstrapping-Modellen möchten Investoren auch hier regelmäßige Updates zum Geschäftsverlauf erhalten und die Gründer müssen ihr Vorgehen mit den Investoren abstimmen. Dies erfordert Koordination, ein sauberes Reporting und eine gute Absprache.

  • Eine Finanzierungsrunde mit strategischen Investoren ist oftmals langwieriger und der Prozess ebenfalls komplexer. Für strategische Investoren gehören Beteiligungen oft nicht zum Tagesgeschäft.

  • Die ersten Schritte müssen ohne großen finanziellen Spielraum gemacht werden, beziehungsweise aus Eigenmitteln finanziert werden. Ohne Traktion, keine Investoren – auch im Bootstrapping Plus Modell.

Für wen eignet sich Bootstrapping Plus und welche Investoren investieren?

Auf Gründer-Seite lohnt sich Bootstrapping Plus besonders, wenn das fehlende “Fund-Returner-Potenzial” eine klassische VC-Finanzierung trotz ordentlicher Traktion verhindert. Besonders im aktuell schwierigen Fundraising-Umfeld, ist es sinnvoll, den Ansatz zu evaluieren. Denn auch wenn sich Gründer dafür entscheiden, “kleinere Brötchen” zu backen, sind dennoch attraktive Wachstumsraten und Exit-Opportunitäten möglich. Bootstrapping Plus kann, mit den richtigen Investoren an Bord, die dringend benötigte Mischform zwischen klassischem Bootstrapping und VC-Finanzierungen darstellen.

Auf Geldgeber-Seite lassen sich typischerweise erfahrene Unternehmer, Business Angels, Micro- und Nischen-VCs, Mezzanine- und Fremdkapitalgeber sowie strategische Investoren begeistern. Doch auch Unternehmer-Holdings sowie Family Offices kommen hier in Frage.

Fazit: Gut Ding will (manchmal) Weile haben

In Summe überwiegen besonders im aktuell zurückhaltenden Marktumfeld die Vorteile des Bootstrapping Plus Ansatzes. Für SaaS- und E-Commerce-Gründer entsteht an dieser Stelle eine wichtige alternative Finanzierungsstrategie, wenn Ihr Geschäftsmodell bereits validiert ist, sie mindestens sechsstellige Umsätze erzielen und eine klare Profitabilitätsperspektive mitbringen. Mit weniger Wachstumsdruck, begrenzter Verwässerung und mehr Flexibilität verspricht der Ansatz für Startups in “Nischen”-Märkten den entspannten Weg zum Exit.

Über den Autor
Peter Nadolinski, Gründer und Managing Partner bei Venture Advisory Partners, berät Wachstumsunternehmen bei der Finanzierung sowie der erfolgreichen Umsetzung ihres Unternehmensverkaufs. Er begann seine berufliche Laufbahn bei einer führenden US-amerikanischen Investmentbank , gefolgt von weiteren Stationen bei KMU-fokussierten M&A-Beratungen. 2020 gründete er sein eigenes Beratungsunternehmen, Venture Advisory Partners, gemeinsam mit Carsten Schäfer (Ex-CFO Emma), Daniel Putsche (Horizon) und Moritz Heimsch (Candylabs). Seine Leidenschaft gilt der Beratung wachstumsstarker E-Commerce- und SaaS-Unternehmen.

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Foto (oben): Shutterstock