#Gastbeitrag

Jetzt ist die Chance da, sich strategisch durch M&A weiterzuentwickeln

Das vergangene Jahr hat manches Startup hierzulande an seine Grenzen geführt. Wie sehr die einzelnen Unternehmen davon beeinflusst wurden, hängt jedoch stark vom Geschäftsmodell ab. Das gilt auch für 2023. Ein Gastbeitrag von Kai Hesselmann.
Jetzt ist die Chance da, sich strategisch durch M&A weiterzuentwickeln
Dienstag, 17. Januar 2023VonTeam

In den vergangenen Monaten haben das aktuelle Marktumfeld und die drohende Rezession Start-ups stark belastet. Stand für viele Unternehmen das Wachstum jahrelang im Fokus, sind sie nun bemüht sowohl ihre Retention als auch ihre Burn Rate zu optimieren. Dies erklärt, warum etliche Unternehmen im letzten Jahr Mitarbeitende entlassen haben. Denn Investor:innen halten sich zurück und schauen genau, in welche Unternehmen sie investieren. Für Start-ups ist es somit schwieriger geworden eine Finanzierung zu erhalten. Auch die Bewertungen gehen runter, insbesondere in kapitalintensiven Branchen wie der produzierenden Industrie oder im E-Commerce. Hinzukommt, dass sich Investor:innen mit sehr hohen Liquidationspräferenzen absichern, von denen sie im Falle eines Exits profitieren. 

Ebenfalls M&A wird von den aktuellen Rahmenbedingungen beeinflusst. So hat sich etwa die Verhandlungsmacht verschoben. Nach einer langen Zeit der hohen Kaufpreise herrscht inzwischen ein Käufermarkt. Mit der Folge, dass letztere Preise und Konditionen stärker vorgeben können. Für Start-ups mit einem guten finanziellen Polster entstehen Kaufgelegenheiten, um Konkurrenzunternehmen zu übernehmen oder sich strategisch durch M&A weiterzuentwickeln – und dies zu vernünftigen Preisen und Konditionen.  

Kapital ist nach wie vor im Markt

Allzu pessimistisch sollte man allerdings nicht sein, denn das Dry Powder bei Venture Capital und Private Equity ist nach wie vor hoch. Allerdings mit einer Einschränkung. Zwar haben Banken und Versicherungen ihr Kapital zugesagt, jedoch bestehen bei diesen LPs klare Auflagen, wie viel von ihrem Portfolio in bestimmte Asset-Klassen allokiert sein darf. Da die Aktienmärkte bis zum Herbst 2022 eine starke Abwertung erfahren haben, ergibt sich ein mathematisch übergewichteter Anteil der Allokation auf PE und VC. Jedoch dürfen die großen Vermögensverwalter eine solche nicht haben. Daher rufen die Managementteams das zugesagte Kapital derzeit nicht ab, um eine Schieflage in der Vermögensallokation der LPs zu vermeiden. Somit ist Dry Powder zwar theoretisch vorhanden, soll aber nicht zwangsläufig investiert werden. Glücklicherweise entspannen sich die Aktienmärkte derzeit wieder. Sollten sich Entwicklung fortsetzen, reduziert sich auch die Schieflage bei den LPs und sie werden wieder investitionsfreudiger. 

Jenseits dieser allgemeinen Marktlage muss auch bedacht werden: Die Chance derzeit eine Finanzierung zu erhalten, hängt auch stark von der Branche und dem jeweiligen Geschäftsmodell ab. Aus M&A-Sicht interessant sind generell Bereiche, die großen Makrotrends unterliegen. Sie tragen dazu bei, dass Unternehmen von einem attraktiven Verkaufsumfeld profitieren und für Investor:innen attraktiv sind.

Technologien zur Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen

Angesichts des anhaltenden Klimawandels trifft dies etwa auf das ClimateTech-Segment zu. Spannend sind hier Unternehmen, die intelligente Software für klimaneutrale Gebäude entwickeln oder den Solaranlagenausbau vorantreiben sowie Start-ups, die sich mit Themen wie Bio-Kohlenstoff oder grünem Wasserstoff befassen. Hier gab es in den vergangenen Monaten bereits einige M&A-Transaktionen wie etwa die Übernahme des australischen Marktführers für die Installation von Solaranlagen und –batterien Natural Solar durch das Hamburger Klima-Start-up 1Komma5. Aber das Unternehmen kauft auch Handwerksbetriebe in ganz Deutschland, um Lieferketten und IT zu vereinfachen. Vor dem Hintergrund, dass sich nur die Solar-Start-ups durchsetzen werden, die ausreichend Kapazitäten aufbauen können, wird für die kommenden Monate mit einer starken M&A-Aktivität zu rechnen sein. 

Angesichts der Klimakrise wird auch die Relevanz von FoodTech zunehmen. Besonders der In-vitro-Bereich ist hervorzuheben, der bereits seit einigen Jahren gestiegenes Investoreninteresse verzeichnet. Immerhin hat künstliches Fleisch, vorausgesetzt natürlich es ist massentauglich, das Potenzial eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Klimakrise zu spielen. Gelingt es daher einem Unternehmen sich am Markt durchsetzen, kann es mit hohen Wachstumszahlen rechnen und wäre damit ein besonders interessantes Target für Strategen. 

Demografischer Wandel als Treiber für HealthTech

Weiterhin in 2023 relevant sein werden Start-ups aus dem Bereich der Pflege und des Gesundheitswesens sein. Diese Unternehmen sind angesichts des demografischen Wandels und einer immer älter werdenden Gesellschaft für Investor:innen attraktiv. In den letzten Jahren sind in diesem Bereich beispielsweise etliche HealthTech-Unternehmen entstanden, die älteren Menschen zu einem selbstbestimmteren Leben verhelfen. 

Weitere Konsolidierungen im Quick Commerce 

Mit Übernahmen und Fusion ist schließlich auch im Quick Commerce zu rechnen. Diese Branche stand in den vergangenen Monaten extrem unter Druck – und es nicht davon auszugehen, dass sich die Lage in absehbarer Zeit entspannen wird. Wahrscheinlicher ist eine Konsolidierung, sodass die jüngste Übernahme des angeschlagenen Lebensmittellieferdiensts Gorillas durch den Konkurrenten Getir womöglich erst der Startschuss war. 

Neuausrichtung des Start-up-Markts birgt Chancen

Corona-Pandemie, Ukrainekrieg, Energieengpässen und Lieferkettenproblematik: Ihre Auswirkungen spüren auch die Investor:innen. Schwarzmalerei zu betreiben wäre jedoch falsch. Denn obwohl das Kapital bei VCs und PEs nicht mehr ganz so locker sitzt, wie einst und Start-ups angehalten sind ihre Kosten zu optimieren, finden weiterhin Finanzierungen statt. Realistisch betrachtet hat sich der Start-up-Markt im letzten Jahr also eher angefangen zu normalisieren – eine Entwicklung, die 2023 anhalten wird. Davon profitieren Unternehmen, die Makrotrends unterliegen wie der Energiewende oder dem Glasfaserausbau. 

Für Start-ups mit ausreichend finanziellem Polster bietet die aktuelle Situation zudem etliche Chancen, denn der Wind hat sich gedreht. Sie haben gute Chance eine Wettbewerberin oder einen Wettbewerber zu übernehmen oder sich strategisch durch M&A weiterzuentwickeln – und dies zu vernünftigen Preisen und Konditionen.

Über den Autor
Kai Kesselmann ist Co-Founder und Managing Partner der M&A-Beratung Dealcircle GmbH.

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Foto (oben): Shutterstock