#Gastbeitrag
Digital Gründen: Startups berichten von ihren Remote-Anfängen
Remotes Arbeiten, wenn auch nur in Teilen, ist seit Beginn von Corona in vielen Berufen Normalität. Remote zu gründen ist bisher noch etwas ungewöhnlicher. Wer während der Pandemie ein Unternehmen aufbauen wollte, hatte jedoch teilweise keine andere Wahl. Allerdings bietet eine digitale Gründung auch Vorteile abseits der Pandemie. Das zeigt sich auch darin, dass es schon vor Corona Start-ups gab, die digital gegründet wurden. Als Teil der Open-Innovation-Initiative von o2 arbeiten wir täglich eng mit Start-ups zusammen: Bei Wayra haben wir deshalb bereits vor der Pandemie beobachtet, dass sich Co-Founder, insbesondere mit Tech-Background wie IT-Spezialisten, CTO, CIO etc. manchmal im Ausland besser finden lassen als in Deutschland. Dieses Szenario stellt allerdings eher die Ausnahme dar als die Regel.
Das A und O ist es, ein komplementäres Team aufzustellen
Ein Start-up, das sich während der Pandemie digital gegründet hat, ist Claimd. Christian Behrens entschied sich 2021 – mitten in der Pandemie – sofort für ein remote-arbeitendes Team. Für ihn überwiegen die Vorteile ganz klar die Nachteile. Der wichtigste Punkt: Die Plattform für automatisiertes Creator-Marketing ist bei der Suche nach den besten Talenten nicht auf den Unternehmenssitz Freiburg beschränkt. Gelernt hat er bei der digitalen Gründung, dass gerade in der Anfangsphase eine engmaschige Abstimmung nötig ist, um alle Teammitglieder mitzunehmen und sicherzustellen, dass alle an einem Strang ziehen. Inzwischen ist das Team bestens eingespielt und entwickelt gemeinsam innovative Produkte, um Marken ein unkompliziertes und effizientes Creator-Marketing zu ermöglichen.
“Das Team” wird von Investor:innen als das wichtigste Investmentkriterium in frühen Phasen eines Unternehmens genannt. Scheitert ein Start-up, liegt es oft an einer ungünstigen Teamkonstellation. Co-Founder sind absolute Teamplayer, deshalb müssen sie auch die richtigen Persönlichkeitsmerkmale mitbringen. Deshalb sollte bei “virtuellen” Teams nochmal genauer geprüft werden, ob das Team auch wirklich zusammenpasst und harmoniert. Insgesamt gilt bei der neuen Unternehmenskultur aber das Motto “Wir-tuell” statt “Ich-soliert”. Die Qualität des Führungsteams entscheidet maßgeblich über Erfolg und Misserfolg eines Start-ups. Ein erstklassiges Gründerteam wird auch eine mittelmäßige Geschäftsidee zum Erfolg führen. Dagegen scheitert ein mittelmäßiges Team oft mit einer erstklassigen Idee. Founder müssen sämtliche zentrale Themen, wie Produkt und Technik, Betriebswirtschaft und Unternehmensführung sowie Marketing und Vertrieb abdecken. Das A und O ist es, ein komplementäres Team aufzustellen. Es sollten also möglichst alle relevanten Bereiche abgedeckt werden. Das bedeutet: Es ist ein klares No-Go, wenn nicht alle wichtigen Themen im Gründerteam besetzt sind.
Die Gründer des Start-ups Ostrom zeigen, wie es aussehen kann, wenn sich Persönlichkeit, Erfahrungen und Fähigkeiten gut ergänzen. Bekannt gemacht durch einen gemeinsamen Freund, der mittlerweile einer der Angel-Investoren ist, haben sich die beiden bis zur Gründung ausschließlich digital getroffen. Mit Matthias Martensen als End-to-End-Energieexperte und Karl Villanueva als Hauptverantwortlichen für Nutzerakquise und Produktentwicklung wurde das Start-up mehr oder weniger komplett digital während des Lockdowns gegründet – beide haben sich bis zum Notartermin für die Pre-Seed-Runde mit 468 Capital nur fünf Mal persönlich zum spazieren gehen im Mauerpark getroffen.
Volle Flexibilität
Da Ostrom digital ins Leben gerufen wurde, ist es den beiden Gründern ein großes Anliegen, diese Kultur fortzuführen und auch im Arbeitsalltag digital und flexibel zu bleiben: “Während viele Unternehmen zu ‘Du musst so und so viele Tage pro Woche im Büro sein’ zurückkehren, haben wir die volle Flexibilität in unserer Unternehmenskultur beibehalten. Heute kann jede:r Ostrom-Mitarbeiter:in fünf Monate lang remote arbeiten – auch aus dem Ausland. Wir haben ein 10-Personen-Büro in Berlin, aber wir schreiben keine Bürotage vor.” Auch das gesamte Ostrom-Team hat sich bisher noch nicht getroffen, da es viele Remote-Teammitglieder gibt. Daher ist auch die Etablierung der richtigen internen Organisation und der richtigen Tools wichtig, um von Anfang an remote durchzustarten. Dafür nutzt das Unternehmen täglich eine 15-minütige Teambesprechung und Tools wie Notion, Slack und Google Meet, um in Kontakt zu bleiben, selbst wenn alle Mitarbeitenden in verschiedenen Ländern sitzen. Colin Hanna und seinem Team zufolge – zuständig für die Umsetzung der Sustainable Future Goals-Initiativen bei Europas führender Risikokapitalgesellschaft für Technologieunternehmen Balderton – sollten insbesondere die Technologie für die digitale Zusammenarbeit und der “Productivity Stack” bei Remote-First-Unternehmen zu den besten ihrer Klasse gehören.
Digitales Gründen als Chance
Doch nicht nur die Vorteile der digitalen Gründung können zu diesem Schritt motivieren. Durch die Pandemie waren es auch Rückschläge, die eine Neugründung unter Pandemie-Bedingungen ausgelöst und so neue Möglichkeiten eröffnet haben. So zum Beispiel bei den Gründern des Start-ups elvah.
Die Branchen der wichtigsten Kunden des vorherigen Unternehmens der elvah-Gründer waren stark von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Somit entschied sich das Gründertrio, mitten in der Krise, ihr IT-Dienstleistungsunternehmen zu schließen und all-in zu gehen: Sie gründeten elvah und konzentrieren sich seither komplett darauf, nachhaltige Mobilität voranzutreiben. Über das Geschäftsmodell konnte das gesamte bestehende Team des Vorgängerunternehmens – als verteiltes Team – mitentscheiden. Das Start-up bietet eine benutzerfreundliche App, die es ermöglicht, europaweit an über 250.000 Ladesäulen zu laden – anbieterunabhängig und ganz ohne etliche Ladekarten oder -apps. Darüber hinaus wertet das Start-up in Echtzeit die Qualität von Ladesäulen aus und empfiehlt den elvah-Kund:innen auf dieser Grundlage Säulen in der Nähe, um das beste Lade-Erlebnis zu bieten. Während das gesamte Team überall in Deutschland und zeitweise in Spanien verteilt sitzt, arbeitet CEO und Co-Gründer Gowrynath Sivaganeshamoorthy aus dem Büro in Grafschaft, südlich von Bonn.
Unternehmenskultur als Zuhause für das Team
Genau wie für Ostrom und Claimd spielt auch bei elvah die richtige Teamkultur eine große Rolle, um remote zusammenzuarbeiten. Neben der richtigen Kultur ist aber auch ein realer Punkt, an dem das ganze Team eine Anlaufstelle findet, enorm wichtig. Die Unternehmenskultur ist der Dreh- und Angelpunkt für langfristigen Erfolg im Start-up, egal ob vor Ort oder virtuell. Ob offline oder online, Gemeinschaftsstrukturen und Werte von Anfang an sind extrem wichtig. Die physische Homebase und ein Zuhause für das ganze Team, das Büro, ist und bleibt bei einer erfolgreichen Skalierung des Start-ups meiner Erfahrung nach wichtig. Ähnlich empfindet es auch Colin Hanna von Balderton: “Ich glaube, wir sind alle etwas toleranter gegenüber remote oder hybriden Gründungsteams als vor der Pandemie. Das liegt daran, dass wir gesehen haben, wie ein Mix aus Technologie und ausgewählten Reisen, helfen kann, menschliche Beziehungen zu unterstützen und zu verstärken. Allerdings ist nichts ein Ersatz für gemeinsam verbrachte Zeit und geleistete Arbeit in der Vergangenheit.”
Digital Gründen – das muss man beachten
Digital zu gründen hat viele Vorteile: das weltweite Recruiting von Talenten und Kund:innen, eine flexible Lebensweise und die Chance, zu reisen wann immer man möchte. Um ein funktionierendes Team aufzubauen und Investor:innen überzeugen zu können, ist es dabei vor allem wichtig, sich die richtigen Leute mit richtiger Einstellung und wertvollen Skills zu suchen, um von Anfang an auch remote die richtige Kultur zu leben.
Über die Autorin
Katrin Bacic ist Co-Geschäftsführerin und Chief Strategy Officer von Wayra Deutschland, Teil der Open-Innovation-Initiative des Telekommunikationskonzerns Telefónica. Katrin verantwortet bei Wayra die Strategie und sämtliche Programme für die Zusammenarbeit mit den Start-ups. Darunter fällt das Community Building, das Venture Development und die Investment-Aktivitäten. Einen besonderen Fokus legt auf die Zusammenarbeit mit High-Potential-Gründerinnen, die sie gezielt fördert.
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