#Interview

“Ich habe am Anfang häufig zu zögerlich agiert”

Gründeralltag - gibt es das überhaupt? "Das klingt zwar berechenbar, aber ich starte erst einmal mit den Nachrichten meines Teams, zunächst über Slack, und dann widme ich mich meinen Mails. Beides hat bei uns einen anderen Stellenwert", sagt Lena Hackelöer, Gründerin von Brite.
“Ich habe am Anfang häufig zu zögerlich agiert”
Freitag, 30. September 2022VonTeam

Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Dieses Mal antwortet die Deutsch-Schwedin Lena Hackelöer, Gründerin von Brite. Das FinTech aus Stockholm bietet “sofortige Bankzahlungen und Auszahlungen in 21 Märkten in Europa an”.

Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Das klingt zwar berechenbar, aber ich starte erst einmal mit den Nachrichten meines Teams, zunächst über Slack, und dann widme ich mich meinen Mails. Beides hat bei uns einen anderen Stellenwert. Denn: Zusätzlich zum hybriden Arbeitsmodell haben wir Büros und Mitarbeiter*innen in verschiedenen Ländern. Deswegen können wir uns morgens leider nicht an der Kaffeemaschine treffen. Nach den Mails folgt dann eine Mischung aus In-Person- und Online-Meetings.

Wie schaltest du nach der Arbeit ab?
Ich versuche, jeden Abend noch eine Runde zu laufen. Die schöne Umgebung hier in Stockholm macht mir das spielend leicht. Sowohl unser Büro als auch meine Wohnung liegen in der Stockholmer Innenstadt, deswegen kann ich hier wunderbar am Wasser entlang joggen. Eine andere, nicht weniger schöne Route führt durch den Humlegården Park. Das Laufen hilft, um nach einem langen Tag im Büro erstmal in Bewegung zu kommen und auch mal abzuschalten. Manchmal erledige ich allerdings noch ein paar Telefonate, dann ist es eher spazierengehen als richtiges Joggen. Aber Bewegung ist Bewegung!

Was über das Gründer:innen-Dasein hättest du gerne vor der Gründung gewusst?
Ich hatte bereits vor Brite große unternehmerische Verantwortung. Auch als CEO von einem börsennotierten Unternehmen habe ich immer Arbeit mit nach Hause genommen und nie um fünf Feierabend gemacht. Dennoch: Gründen ist ein ganz anderer Stressfaktor. Es gibt viele starke Hochs, aber auch sehr viele große Tiefs. Die Kurven schlagen extremer aus, weil man selbst emotional sehr investiert ist und sich der Verantwortung für die Mitarbeiter*innen auch sehr bewusst ist. Wir haben rund 80 Angestellte, von denen ein sehr großer Teil Familie oder Partner*innen hat. Da wird einem als Gründerin noch einmal bewusster, was von dem Erfolg der eigenen Geschäftsidee eigentlich abhängt. Startups sind einfach volatiler.

Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstet?
Ich habe Brite mehr oder weniger während der Corona-Pandemie gegründet. Die Geburtsstunde von Brite war zwar bereits 2019, trotzdem ging eine entscheidende Phase mit dem Pandemiebeginn einher. Da wir ohnehin zu großen Teil remote und mit internationalen Teams arbeiten, war aber weniger die Umstellung aufs Home Office das Problem. Es fehlte das Kennenlernen und Vernetzen mit neuen Kontakten und potenziellen Kunden auf Messen und anderen Veranstaltungen. Eine zweite Herausforderung zu Beginn war zudem, dass das Gründen im Finanzsektor noch eine zusätzliche Komplexität mit sich bringt. Als stark regulierter Markt braucht es diverse Lizenzen, Audit, Policies und so weiter. Dieser Aufwand kam on top zu den üblichen Gründer*innenaufgaben wie Produktentwicklung, Neukundenakquise etc, auf die man sich eigentlich viel stärker konzentrieren mag.

Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Ich muss sagen, dass ich am Anfang häufig zu zögerlich agiert habe. An vielen Stellen hätte ich sicherlich aggressiver vorgehen können. Ich war zwar bereits gewöhnt, größere „Schiffe” zu leiten und zu fahren. Allerdings habe ich in diesen Positionen auch viel verwaltet, da ich in einen bestehenden Status Quo kam. Abgesehen davon denke ich aber auch, dass ich das Gründen an sich früher hätte angehen können.

Wie findet man die passenden Mitarbeiter:innen für sein Startup?
Das Gute an unserer speziellen Situation war, dass sowohl ich als auch meine Kolleg*innen sehr gut in der europäischen Payment- und FinTech-Szene vernetzt sind. Bei mir ist das auf meine Vergangenheit bei Klarna und Qliro zurückzuführen. So konnten wir entweder alte Kontakte aktivieren und an Bord holen oder uns Empfehlungen für kluge Köpfe einholen. Wenn man mit bekannten Gesichtern zusammen arbeitet, weiß man auch direkt, dass man auf deren Meinungen vertrauen kann. Das ist besonders in den Bereichen wichtig, in denen man sich selber nicht so auskennt. Aber auch wenn man bei Null anfängt, würde ich empfehlen, zuerst das Netzwerk zu akquirieren. Eine persönliche Einschätzung kann einem ein besseres Bild vermitteln als ein Lebenslauf.

Welchen Tipp hast Du für andere Gründer:innen?
Nicht direkt mit dem bzw. der ersten Investor*in mitzugehen, der/die das meiste Geld bietet. Es muss auf mehreren Ebenen passen und die Investor*innen müssen wissen, wovon sie reden und deinen Markt verstehen. Nichts kostet mehr Zeit und nerven, als mit Investor*innen zu streiten und zu erklären, dass das Projekt on track ist. Dinge laufen nicht immer so, wie man denkt und dann dazu noch im Clinch mit dem/der Investor*in zu liegen, ist schnell kräfteraubend. Aus meinen Erfahrungen rund um das Zögerlichsein empfehle ich außerdem, Dinge einfach mal zu machen. Klar hat man immer diese Stimme im Hinterkopf, die fragt „Aber was, wenn..?”. Dazu muss man allerdings sagen, dass selbst ein gescheitertes Startup heutzutage kein großer Makel mehr ist. Alleine, wenn ich mich in unserer Belegschaft umgucken, sind viele dabei, die selbst gegründet haben. Die gehören zu unseren besten Leuten. Meistens ist das Schlimmste, was dir passieren kann, dass du nach einem Jahr wieder einen Job suchst.

Ohne welches externe Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Da wir über mehrere Länder verteilt sind ganz klar Slack, die komplette Google Suite und andere Kollaborationstools.

Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Wir hatten gerade erst unsere erste große Sommerparty in Stockholm, die auch deswegen besonders war, weil sich viele Mitarbeiter*innen zum ersten Mal persönlich getroffen haben. Das hat nochmal eine ganz neue Stimmung erzeugt. Generell achten wir sehr auf das Miteinander, mit diversen All-Hands-Meetings oder auch freitags mit einer gemeinsamen schwedischen „Fika”, um die Woche ausklingen zu lassen. Für einen besonderen Stimmungsboost sorgen aber natürlich auch gemeinsame Erfolge.

Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.

Foto (oben): Brite