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NextFolder: Deutsche Bürokratie vs. junge Gründer:innen

Junge Gründer:innen sind in der Startup-Landschaft eher selten. Auch die NextFolder-Gründer waren bereits vor ihrer Volljährigkeit gestartet. Da das in Deutschland aber nicht geht, musste ihre Oma für sie das Unternehmen gründen. Das kann man süß finden, aber eigentlich ist es traurig.
NextFolder: Deutsche Bürokratie vs. junge Gründer:innen
Donnerstag, 15. September 2022VonRuth Cremer

In der neuesten Folge von “Die Höhle der Löwen” bekamen die Zuschauer mal wieder etwas zu sehen, was in der GründerInnen-Show – wie auch in der allgemeinen Gründerwelt – nicht mehr allzu selten ist: sehr junge Gründer. Auch Johannes Baumgart und Valentin Steudte waren bereits vor ihrer gesetzlichen Volljährigkeit mit ihrer Gründungsidee gestartet. Da das in Deutschland aber nicht geht, musste ihre Oma für sie das Unternehmen gründen. Das kann man süß finden, aber eigentlich ist es einfach nur traurig.

Die beiden “NextFolder”-Gründer waren nicht die einzigen, und auch bei weitem nicht die jüngsten Kandidaten der Show. Und sie reihten sich auch nahtlos in die immer weiter wachsende Zahl der extrem jungen GründerInnen ein, die von den Löwen viel Lob bekamen.

Ihr Ordner der neuesten Generation, der endlich die unbequemen Metallringe im Innern gegen flexible Plastikringe austauschte, die perspektivisch sogar 100% nachhaltig zusammengesetzt sein sollen, bekam auf jeden Fall viel Lob. Ralf Dümmel erinnerte sich direkt noch an seine Schulzeit, und wie oft er sich in den zuschnappenden Metallringen die Haut schmerzhaft eingeklemmt hatte.

Er lobt erst recht den Umstand, dass die Gründer ihr eigenes Problem lösten, indem sie einen Ordner konzipierten, in dem man direkt schreiben kann und bei dem man eben nicht ständig die Blätter aus- und einheften muss. Carsten Maschmeyer ist zwar skeptisch, ob man dies dann nicht trotzdem macht, aber die Gründer bekräftigen, dass sie den momentan noch im 3D-Druck produzierten Ordner umfassend getestet haben und auch eine Umfrage dazu gestartet hatten, die ihnen gutes Feedback gab.

Und obwohl die Gründer gut vorbereitet sind und auf alles eine Antwort zu haben scheinen, steigt ein Löwe nach dem anderen aus. Jeder bescheinigt den beiden Schülern eines Sportgymnasiums einen guten und selbstbewussten, aber sympathischen Auftritt, kann sich aber nicht unbedingt für Thema Schulmaterial begeistern oder sieht sich nicht als richtiger Investor oder Investorin dafür. Schließlich bleibt noch Ralf Dümmel, der irgendwie auch am begeistertsten von allen schien. Und wer sich an dieser Stelle an das Schreiblernheft “Schreibpilot” erinnern kann, weiß, dass er bereits in Lernmaterialien investiert hatte und damit ordentlich Erfolg hatte. Er hat also nicht nur die richtigen Vertriebskanäle in den Einzelhandel, sondern auch schon gute Erfahrungen damit gemacht, wie sie für ein Startup funktionieren können.

Doch eine letzte Frage hat er noch: ob die beiden denn schon eine GmbH gegründet hätten. Ja, eine UG, ist die Antwort. Eine Kapitalgesellschaft, die Investoren zwangsweise brauchen, um investieren zu können, ist also bereits vorhanden. Allerdings mit einer Einschränkung: da sie zu dem Zeitpunkt der Gründung noch minderjährig waren, hat Oma Margit das Unternehmen auf ihren Namen gegründet, will den beiden aber nun jeweils 50% wieder überschreiben, also alles rückstandslos abgeben.

So etwas ist absolut nicht schlimm, wenn sich der Investor darauf verlassen kann, dass alles problemlos auch wie geplant passiert, was bei einer solchen Familien-Konstellation wohl zu erwarten ist. Und klar ist es auch irgendwie süß. Aber nur oberflächlich betrachtet, denn was dahinter steckt, ist einfach nur traurig. Als Minderjähriger in Deutschland ein Unternehmen zu gründen, ist sehr, sehr schwierig und bürokratisch. In fast allen Fällen müssen erst die Eltern und dann das Familiengericht nach deren Antrag zustimmen. Das kann gut durchgehen, aber es sind auch schon viele Fälle bekannt geworden, in denen das Familiengericht es GründerInnen wie Eltern unfassbar schwer gemacht hat. Dass man mit so etwas die Gerichte belastet, erschließt sich aber bestimmt auch nicht jedem, denn Dinge wie der Abschluss eines Kreditvertrags sind den Minderjährigen ohnehin noch vorbehalten.

In einer Zeit der Influencer, der digitalen Geschäftsmodelle, in denen man nicht mehr als eine Kreditkarte und einen – ok, auch das ist in Deutschland wie man weiß immer noch nicht selbstverständlich – halbwegs flotten Internetzugang benötigt, um UnternehmerIn zu werden, sollte man meinen, dass es der nächsten Generation etwas leichter gemacht wird. Doch weit gefehlt. Wollen wir nicht, das Jugendliche früher wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen?

Im Fall der NextFolder Gründer ist es offensichtlich in Ordnung, wenn ein junger Mann unser Land als Sportler bei den olympischen Jugenspielen und den Jugend-Europameisterschaften vertritt und dort Medaillen gewinnt. Dem gleichen, offensichtlich hoch disziplinierten jungen Menschen, der sogar nebenbei noch Gründungsideen entwickelt und die entsprechende Marktforschung betreibt, trauen wir aber nicht genug, um ihn unternehmerisch machen zu lassen? Oder haben wir Angst, dass die Jugend ihre eigenen Probleme – wie im NextFolder-Fall geschehen – löst, und unseren alt-eingesessenen Unternehmen den Rang abläuft? Sehen wir auch die nächste Generation lieber im Corporate-Hamsterrad, als in einem selbstbestimmten Leben?

Im Falle dieser Gründer stand die Familie komplett hinter ihnen, traute ihnen mehr zu als offensichtlich Gesellschaft und Staat. Doch was ist, wenn jungen GründerInnen die Zustimmung ihrer Eltern bei einem Gründungsvorhaben versagt bleibt? Wenn es keine Oma Margit gibt, die das Unternehmen auf sich anmeldet, ansonsten aber volles Vertrauen in ihre Enkel hat? Dann ist er bis zur Volljährigkeit erst einmal ausgeträumt, der Gründungstraum. Einfach so, nicht weil man keine gute Idee hatte, nicht weil man nicht genug Motivation oder die falsche Herangehensweise hatte, sondern einfach, weil man in die “falsche” Familie geboren worden ist. Und nein, einfach mal warten ist in unserer schnelllebigen Zeit selten eine Option. Man kann sich leicht vorstellen, dass sehr sicheheitsaffine und vielleicht eher bildungsfernere, weniger aufgeklärte Eltern ihren Kindern dieses Schritt eher verbieten als gut-situierte Akademiker. Das treibt die Schere dann noch weiter auseinander als ohnehin schon. Ist das etwas gewollt?

Moderator Amiaz hatte vollkommen Recht damit, dass solche jungen Gründer ein absolutes Vorbild und eine Inspiration für andere junge Menschen sind. Hoffen wird, dass dann auch irgendwann endlich die deutsche Bürokratie aufhört, ihnen Steine in den Weg zulegen. Ralf Dümmel hat jedenfalls genau das Gegenteil vor mit seinem neusten Investment.

Tipp: Alles über die Vox-Gründershow gibt es in unserer großen DHDL-Rubrik.

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Foto (oben):  TVNOW / Bernd-Michael Maurer

Ruth Cremer

Ruth Cremer ist Mathematikerin und als Beraterin, Coach und Speaker tätig. Außerdem ist sie Hochschuldozentin im Bereich Unternehmertum und eCommerce. Die ehemalige Investment-Managerin kennt die Szene in- und auswendig und hilft Startups insbesondere dabei, Pitches vorzubereiten und Investment- sowie Akquisitionsprozesse zu meistern. Ruth Cremer ist bereits seit der fünften Staffel als externe Beraterin für das Format „Die Höhle der Löwen“ tätig und unterstützt die Auswahl und Vorbereitung der Kandidaten. Mehr zu ihr auch unter www.ruthcremer.de.