#Interview

Ein Startup, das sich um das fahrerlose Fahren von Fahrzeugen kümmert

Fernride, 2019 gegründet, konnte bereits mehr als 10 Millionen einsammeln. "Wir haben ein ambitioniertes Ziel: Wir wollen in fünf Jahren führender Anbieter für fahrerlose Transportdienstleistungen in Europa sein", sagt Gründer Hendrik Kramer.
Ein Startup, das sich um das fahrerlose Fahren von Fahrzeugen kümmert
Montag, 22. November 2021VonAlexander Hüsing

Das Münchner Startup Fernride, zum Start als Pylot bekannt, kümmert sich um das Trendthema autonomes Fahren. Das Schlagwort dabei lautet: “Transportation-as-a-Service-Lösungen für fahrerlose Logistik”. Das junge Unternehmen wurde 2019 von Hendrik Kramer, Maximilian Fisser und Jean-Michael Georg gegründet. Insgesamt flossen schon “mehr als 10 Millionen Euro” in das Startup. Geldgeber sind unter anderem 10x, Speedinvest, Fly Ventures, UnternehmerTUM und Promus Ventures.

“Wir haben ein ambitioniertes Ziel: Wir wollen in fünf Jahren führender Anbieter für fahrerlose Transportdienstleistungen in Europa sein. Auszeichnungen und die Tatsache, dass namhafte VCs an uns glauben und in uns investieren sind für uns Beweis genug, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Schon jetzt übersteigt die Nachfrage unsere Kapazitäten bei weitem, daher bedienen wir zunächst jene Unternehmen mit dem größten Skalierungspotenzial”, sagt Gründer Kramer.

Im Interview mit deutsche-startups.de stellt der Fernride-Macher das Konzept hinter seinem Startup einmal ganz ausführlich vor.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Fernride erklären?
Fernride ermöglicht das fahrerlose Fahren von Fahrzeugen. Hierzu nutzen wir eine Technologie, die Teleoperation genannt wird. In der Praxis sitzen dann Menschen, sogenannte Teleoperatoren, in einem Büro an Gaspedalen, Lenkrädern und Bildschirmen und können damit zum Beispiel einen Lkw aus der Ferne steuern. Auf diese Weise lassen sich auf großen Flächen wie etwa dem Gelände eines Hafens oder Distributionszentrums Transportszenarien komplett flexibel umsetzen. Im Idealfall ist die Automatisierung solcher Abläufe so weit ausgereift, dass der Teleoperator nur noch dann eingreifen muss, wenn das Fahrzeug eine Situation nicht selbst lösen kann. Damit ein Mensch eingreifen kann, muss er die Umgebung nahtlos wahrnehmen können. Dies ermöglichen wir dem Teleoperator durch Kameras und hochsensible Sensoren am Fahrzeug. Die entsprechenden Daten werden über das Mobilfunknetz an das Teleoperationscenter übermittelt. Um eine solche Verbindung zwischen Fahrzeug und Teleoperator herzustellen, braucht das Fahrzeug eine Konnektivitätsschnittstelle. Im Teleoperationscenter werden die übermittelten Daten so intuitiv wie möglich visualisiert. Durch die 270-Grad-Kamerabilder kann der Teleoperator die Fahrzeugumgebung wie ein Fahrer in der Fahrzeugkabine vor Ort wahrnehmen und das Fahrzeug sicher aus der Ferne steuern. Die Schwierigkeit ist, dies möglichst in Echtzeit hinzubekommen – unsere Technik schafft das in weniger als 100 Millisekunden. Für einen Menschen ist es so fast nicht wahrnehmbar, dass das Fahrzeug teilweise mehrere hundert Kilometer entfernt ist.

Welches Problem genau wollt Ihr mit Fernride lösen?
Unsere Vision ist klar: fahrerloses Fahren für alle möglich zu machen! Zwar ist vollautonomes Fahren gegenwärtig noch nicht möglich, jedoch muss ein Fahrer nicht mehr im Führerhaus sitzen, sondern kann heute mittels Teleoperation schon ein Fahrzeug sicher “remote” steuern. Unser Ansatz zum fahrerlosen Transportation-as-a-Service ist der nächste entscheidende Schritt zur autonomen Logistik. Unsere Teleoperations-Platform kombiniert die Fahr-Fähigkeiten von Menschen mit der heute verfügbaren Technik für Autonomes Fahren und schlägt somit eine relevante Brücke in die Zukunft. Die Logistikbranche bietet uns die idealen Bedingungen, den Impact der Teleoperation unter Beweis zu stellen, denn sie steht zum einen vor enormen Herausforderungen (z.B. steigende Volumina, Fahrermangel, Kostendruck) und bietet gleichzeitig einen verhältnismäßig zugänglichen Use Case (standardisierte Prozesse, Gelände innerhalb klarer Grenzen). Die Autonomisierung der Logistik ist für uns daher nur der erste Schritt auf dem Weg zum Erreichen unserer Vision.

Wie ist die Idee zu Fernride entstanden?
Meine Mitgründer Max und Michael und ich haben uns an der TU München kennengelernt. Ich habe dort Wirtschaftsingenieurwesen studiert, Max hat in Sensortechnik promoviert, Michael in Teleoperation – beides Technologien, die unglaubliches Potenzial haben und es jetzt erst möglich machen, Fahrzeuge auf einem ganz neuen Level fernzusteuern. Von Beginn an hat einfach alles gestimmt: gemeinsamer Wille, Unternehmergeist, Leidenschaft und technisches Know-How trafen auf die gewaltigen Erfahrungen der TUM in Sachen Teleoperation. Die Teleoperation mit diesen fundierten Forschungsergebnissen und der Spitzen-Technologie im Rücken zur Marktreife zu führen war eine Herausforderung und unser Ziel; daraus wurde FERNRIDE geboren. Mit Erfolg: Mittlerweile haben wir ein internationales Team mit mehr als 30 engagierten Expert*innen aufgebaut und wachsen schnell weiter.

Wie wollt Ihr Geld verdienen, also wie genau funktioniert euer Geschäftsmodell?
Wir bieten einen ganzheitlichen Ansatz des fahrerlosen Transportation-as-a-Service an – und das schon heute. Damit können unsere Kunden ihre manuellen Prozesse schon jetzt fahrerlos umsetzen, die Effizienzvorteile der Automatisierung nutzen und Erfahrungen für die vollständige Autonomisierung der Zukunft sammeln. Wenn man so will, profitieren sie schon heute von der Technik von morgen. Neben Einmal-Aufwänden für Analyse und nahtlose Integration von fahrerlosen Fahrzeugen in bestehende Logistikprozesse (und den Test im Pilotbetrieb) können unsere Kunden bei uns über eine transparente, nutzungsabhängige „as-a-Service“-Gebühr, die skalierbar auf die gesamte Supply-Chain ausgerollt werden kann, ihre Prozesse fahrerlos abbilden. Dazu stellen wir ihnen unsere Teleoperations-Plattform-Technologie, einen elektrisch betriebenen und fernsteuerbaren LKW sowie geschulte Teleoperatoren zur Verfügung. Die Fahrzeuge sind gemeinsam mit unseren OEM-Partnern auf die spezifischen Anwendungsfälle unserer Kunden zugeschnitten.

Investoren wie 10x, Speedinvest, Fly Ventures und UnternehmerTUM investierten bereits rund 10 Millionen in Fernride. Wofür braucht ihr so früh so viel Geld?
Wir haben ein ambitioniertes Ziel: Wir wollen in fünf Jahren führender Anbieter für fahrerlose Transportdienstleistungen in Europa sein. Auszeichnungen und die Tatsache, dass namhafte VCs an uns glauben und in uns investieren sind für uns Beweis genug, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Schon jetzt übersteigt die Nachfrage unsere Kapazitäten bei weitem, daher bedienen wir zunächst jene Unternehmen mit dem größten Skalierungspotenzial (darunter Fortune-500-Unternehmen). Um aber auch Unternehmen mit einem kleinen Fuhrpark von drei bis vier LKW unsere Technologie anbieten zu können, müssen wir wachsen – in jeglicher Hinsicht.

Wo steht Fernride in einem Jahr?
Schon jetzt sind wir enorm stolz auf das Erreichte und das Wachstum, das wir nach nur zwei Jahren vorweisen können: Preise, renommierte Kunden und ein fantastisches Team aus IT-, Video-Tech-, Automotive- und Robotic-Spezialisten und das Vertrauen von langfristigen Investoren kommen nicht von irgendwo, sondern sind Ergebnis harter Arbeit. Darauf aufbauend wollen wir in einem Jahr unsere Position als führender Anbieter für fahrerlose Logistikprozesse in Europa etabliert haben. Kundenseitig werden wir unsere Technologie nach erfolgreichem Pilotbetrieb in den Regelbetrieb überführen. Das bedeutet ab 2022 werden fahrerlose Prozesse auf Basis von Fernrides “fahrerlosem Transportation-as-a-Service” laufen und ersten Kunden die Vorteile von Automatisierung bieten. Zudem werden wir aller Voraussicht nach auf über 60 Mitarbeiter wachsen und unsere Technologie endlich auch gemeinsam mit unseren OEM-Partnern für Logistikfahrzeugen zertifizieren lassen.

Startup-Jobs: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung? In der unserer Jobbörse findet Ihr Stellenanzeigen von Startups und Unternehmen.

Foto (oben): Fernride

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.