#Interview

“Für mich war es schwierig, vieles nur durch Videogespräche mitzuerleben”

Motesque setzt auf 3D-Avatare, um passende Produkte zu finden. "Mit knapp 30 Mitarbeitern geht es derzeit natürlich noch recht familiär zu, aber man merkt, dass wir ein “richtiges” Unternehmen sind", sagt Gründer Kai Oberländer.
“Für mich war es schwierig, vieles nur durch Videogespräche mitzuerleben”
Mittwoch, 10. November 2021VonAlexander Hüsing

Das Kölner Startup Motesque entwickelt anhand von Daten, die aus Körperbewegungen und -Proportionen gewonnen werden, technische Lösungen für die Health-, E-Commerce- und Retail-Branche. “2020 haben wir unsere 3D-Avatar-Lösung für E-Commerce und Retail auf den Markt gebracht. Als erstes haben wir sie für Matratzen entwickelt. Sie kann ein achtstündiges Probeliegen in wenigen Sekunden durchführen. Seitdem kommen immer neue Bereiche dazu, für die wir unsere Technik anwenden”, sagt Gründer Kai Oberländer.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Motesque-Macher außerdem über Künstliche Intelligenz, Kundenzufriedenheit und den Standort Köln.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Motesque erklären?
Gesundheit ist unser wichtigstes Gut. Darum sollten wir alles daran setzen, diese so lange wie möglich zu erhalten. Motesque leistet dazu seinen Beitrag, indem wir anhand von Daten, die aus Körperbewegungen und -Proportionen gewonnen werden, technische Lösungen für die Health-Tech-, E-Commerce- und Retail-Branche entwickeln. Bei der einen handelt es sich um biomechanische Sensoren, die am Körper der jeweiligen Person angebracht werden und dort die Bewegungen messen. Anhand der Ergebnisse können dann beispielsweise ein passender Laufschuh oder die richtige Prothese empfohlen werden. Bei unserem zweiten Produkt handelt es sich um eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierten Simulierung in Form eines virtuellen 3D-Avatars. Das bedeutet, dass von jedem Kunden anhand von persönlichen Daten und einem Ganzkörperfoto ein digitales Ebenbild erstellt wird. Diese 3D-Figur testet dann im Onlineshop unter realen Bedingungen unterschiedliche Produkte bis sie das Passende gefunden hat. Das wird dem Kunden dann empfohlen.

Hat sich das Konzept, das Geschäftsmodell, in den vergangenen Jahren irgendwie verändert?
Unser erstes Projekt, das wir “Motion ID” genannt hatten, haben wir mit ASICS entwickelt. Dabei ging es um eine Lösung zur Empfehlung des passenden Laufschuhs in den ASICS Stores. Motion ID verwendet eine Reihe von Hightech-Bewegungssensoren, um die natürliche Körperhaltung und den Bewegungsstil des Kunden beim Laufen zu erfassen. Basierend auf biomechanischen Parametern und Daten, wie Aufprall- und Pronationsbewegung, kann für jeden Kunden der richtige Laufschuh ermittelt werden. Parallel dazu haben wir unsere erste Health-Tech-Lösung gemeinsam mit Ottobock gestartet. Dabei ging es um den Einsatz unserer Sensoren für die Empfehlung der passenden medizinischen Prothese oder Orthese. Diese Sensoren sind als Medizinprodukt zertifiziert. 2020 haben wir unsere 3D-Avatar-Lösung für E-Commerce und Retail auf den Markt gebracht. Als erstes haben wir sie für Matratzen entwickelt. Sie kann ein achtstündiges Probeliegen in wenigen Sekunden durchführen. Seitdem kommen immer neue Bereiche dazu, für die wir unsere Technik anwenden.

Wie genau funktioniert euer Geschäftsmodell?
Wir sehen unsere Lösungen als eine Plattform. Im Vordergrund steht die optimale Nutzung der Daten, die wir mithilfe unserer wissenschaftlich fundierten AI-Technologie erheben und auswerten können. Unsere Kunden können die Lösungen cloudbasiert einsetzen und in ihrer CI designen.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Glücklicherweise wurden wir von den negativen Auswirkungen weitestgehend verschont. Der enorme Aufschwung des Online-Handels hat sogar zu einer gesteigerten Nachfrage nach unserer 3D-Avatar-Lösung geführt. Es wurden mehr Pakete versendet, wodurch auch die Retouren ein neues Hoch verzeichneten. Laut einer aktuellen Umfrage haben im Jahr 2020 über die Hälfte aller Bundesbürger, die online etwas gekauft haben, ihre bestellte Ware zurückgesendet. Der beste Beweis dafür, wie dringend wir einen nachhaltigeren Onlinehandel brauchen. Die verlässliche Produktempfehlung, die unsere Lösung bietet, reduziert unweigerlich die Retouren, weil die bestellten Produkte einfach passen. Das steigert neben einer hohen Kundenzufriedenheit den Profit und reduziert die Umweltbelastung erheblich.

Wie ist überhaupt die Idee zu Motesque entstanden?
Im Vordergrund stand von Anfang an unsere Vision, die Gesundheit der Menschen so lange wie möglich zu erhalten und ihre Lebensqualität zu verbessern. Gemeinsam mit meinen drei Partnern habe ich überlegt, wie man für jeden Einzelnen das optimale Produkt finden kann. Als wir festgestellt haben, dass innovative Erkenntnisse aus der Forschung viel zu langsam ihren Weg in die praktische Anwendung finden, haben wir uns selbst mit der Entwicklung entsprechender Lösungen beschäftigt. Im Jahr 2015 haben wir dann begonnen, uns mit Möglichkeiten auseinanderzusetzen, biomechanisches Know-how mit KI-gestützter Technologie zu kombinieren. Daraus sollten in möglichst kurzer Zeit bedarfsgerechte Lösungen für Konsumenten entstehen. 2018 haben wir dann die Kölner Niederlassung gegründet und den professionellen Geschäftsbetrieb aufgenommen.

Wie hat sich Motesque seit der Gründung entwickelt bzw. wie groß ist dein Startup inzwischen?
Unser anfänglich vierköpfiges Team hat sich ziemlich schnell um richtig gute Leute erweitert. Mit knapp 30 Mitarbeitern geht es derzeit natürlich noch recht familiär zu, aber man merkt, dass wir ein “richtiges” Unternehmen sind. Wir haben alle wesentlichen Positionen besetzt und planen ein kontinuierliches Wachstum auf allen Ebenen. Umsatztechnisch haben wir sehr große Kunden an Bord und auch von Investorenseite gibt es immer wieder sehr interessante Angebote.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Für uns persönlich hat COVID-19 natürlich, wie für so viele andere, einiges geändert. Vorher habe ich eine Hälfte des Jahres in unserem HQ in New York verbracht und die andere Hälfte in Köln. Durch die strengen Ein- und Ausreiseregeln ging das die letzten 1,5 Jahre selbstverständlich nicht. Das Team hat das weniger gestört, weil wir ja alle bereits vor der Pandemie remote gearbeitet haben. Aber für mich als Geschäftsführer war es anfangs schwierig, vieles nur durch Videogespräche mitzuerleben. Es hat aber geholfen zu wissen, dass ich ein starkes Team habe, auf das ich mich immer verlassen kann.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Wir sind in der Produktentwicklung sehr stark. Hier haben wir sowohl gute Konzepte als auch tolle Fachleute. Von daher sehen wir den Qualitätsprüfungen immer sehr entspannt entgegen. Auch die Gründung in den USA und Deutschland bringt uns einen großen Vorteil: Wir können unsere Kunden international optimal bedienen und bekommen erstklassige Bewerber von gleich zwei Standorten.

Wo steht Motesque in einem Jahr?
Bereits jetzt sind wir mit unseren beiden Standorten in Köln und Brooklyn international aufgestellt. Wir wollen unseren Kundenstamm natürlich weiterhin global ausbauen. Uns geht es aber auch um Inhalte. Wir wollen unseren 3D-Avatar zum Beispiel nach Matratzen und Fahrrädern für weitere Produkte einsetzen. Auch für unsere Sensoren sind wir gerade dabei, die Anwendungsbereiche zu erweitern.

Reden wir zudem noch über den Standort Köln. Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für Köln als Startup-Standort?
Uns spricht der Standort insbesondere wegen der Nähe zur renommierten Sporthochschule Köln an. Sie ist die einzige Universität in Deutschland, die sich im Schwerpunkt wissenschaftlich mit Sport und Bewegung auseinandersetzt. Da für uns der stetige Austausch mit der Wissenschaft und die schnelle Integration neuer Forschungsergebnisse in unsere Produkte bereits von Anfang an Kernthemen waren, ist Köln für uns eine durchweg logische Wahl. Ähnlich hält es sich mit dem Networking. In nahezu keiner anderen Stadt ist das für Startups so einfach: Die Kölner haben eine sehr entspannte und aufgeschlossene Art. Außerdem werden dort zahlreiche Netzwerktreffen organisiert.

Was fehlt in Köln noch?
Große IT-Firmen wie Intel, Apple oder Google in München wären an sich nicht schlecht, weil sie viele hoch-qualifizierte Software-Entwickler anziehen. Ansonsten lässt sich über diesen Standort nicht meckern.

Durchstarten in Köln – #Koelnbusiness

In unserem Themenschwerpunkt Köln werfen wir einen genaueren Blick auf das Startup-Ökosystem der Rheinmetropole. Wie sind dort die Voraussetzungen für Gründerinnen und Gründer, wie sieht es mit Investitionen aus und welche Startups machen gerade von sich reden? Mehr als 550 Startups haben Köln mittlerweile zu ihrer Basis gemacht. Mit zahlreichen potenziellen Investoren, Coworking-Spaces, Messen und Netzwerkevents bietet Köln ein spannendes Umfeld für junge Unternehmen. Diese Rubrik wird unterstützt von der KölnBusiness Wirtschaftsförderung. #Koelnbusiness auf LinkedInFacebook und Instagram.

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Foto (oben): Motesque

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.