#Gastbeitrag

So fand ich Investor:innen für eine weibliche Geschäftsidee

Ein BH-Startup finanziert bekommen, obwohl potenzielle Investor*innen das eigene Produkt selbst nie benutzen würden? Schwierig, aber machbar! Ein Gastbeitrag von Melanie Wagenfort, Gründerin von Brajuu.
So fand ich Investor:innen für eine weibliche Geschäftsidee
Freitag, 8. Oktober 2021VonTeam

Die Finanzierung des eigenen Startups ist für jede*n Gründer*in eine Hürde – pitchen, pitchen, pitchen – Absagen, Kritik und unangenehme Fragen. Als Gründerin, deren Geschäftsidee sich primär an Frauen richtet, schien ich jedoch vor einer doppelten Herausforderung zu stehen. “Melanie, super Produkt, super Team, super Traction, aber für dich wird es um Faktor 10 härter als für einen Gründer ohne Frauenprodukt”, bekam ich von einem renommierten VC-Investor zu hören. Kein Wunder, Startup-Finanzierung ist hoch riskant, da investiert Mann gerne in Märkte, mit denen er selber Erfahrungen gesammelt hat. Mit nur 8 % Investorinnen sind die Chancen deutlich kleiner eine Finanzspritze von einer Person zu bekommen, die das Problem aus erster Hand kennt.

“In so etwas kann ich nicht investieren, wie soll ich das denn meiner Frau erklären?”, hörte ich nach einem meiner ersten Pitches. Ich entschloss mich, eine Strategie zu entwickeln, mit der ich erfolgreich externes Kapital für unseren Online-Marktplatz für perfekt passende Unterwäsche aufnehmen konnte – trotz scheinbar vorhandener Berührungsängste mit einem weiblichen Produkt. Schließlich war ich überzeugt, dass der BH-Markt dringend ein Update brauchte und dieser Markt nicht nur für Investorinnen einen spannenden Business Case darstellt. Und das, obwohl schon bei “Die Höhle der Löwen” zum Thema Perioden-Unterwäsche die Aussage fiel: “Es ist kein typisches Männer-Produkt, ich empfehle Ihnen eine Frau als Investorin zu gewinnen.”.

Auch wenn ich mich davon nicht abschrecken ließ, war mir klar, dass gerade in der Pitching-Phase des Investitionsprozesses Geschlechtsstereotype die Chancen von Frauen auf die Beschaffung von Kapital verringern. Eine in New York durchgeführte Studie zeigt, dass unabhängig von Geschäftsmodell und Produkt Gründerinnen ganz andere Fragen gestellt werden als Gründern – obwohl vergleichbare Qualität und ähnlicher Finanzierungsbedarf des Unternehmens vorlag. Während Gründerinnen häufiger Angaben über ihren aktuellen Kundenstamm und konkrete finanzielle Prognosen geben sollen, bekommen Männer die Möglichkeit über Visionen für die Zukunft zu sprechen. Da Investionsentscheidungen nach Chancen und Zukunftspotentialen getroffen werden, spiegeln sich die Folgen dieses Ungleichgewichts auch in der Finanzierung wider: Nur 5,2 % der weiblichen Startup-Teams haben laut dem Female Monitor Bericht 1 Million Euro Investment oder mehr erhalten – bei männlichen Gründungsteams sind es hingegen 27,8 %. 

Chancen statt Risiken 

Statt mich von diesen Zahlen einschüchtern zu lassen, nutzte ich mein Wissen, um den Spieß umzudrehen: Auf Fragen wie “Wie wollen Sie verhindern, dass der Wettbewerb Sie überholt?” ging ich nicht auf Maßnahmen zur Risikominimierung ein, sondern auf das Potenzial von Brajuu zur Marktführerin zu werden. Dabei waren unsere stärksten Argumente für ein Investment:

  • unsere einzigartige Vision,
  • die initiale Traction aus der Bootstrapping-Phase, 
  • ein komplementäres und erfahrenes Gründungsteam und 
  • die Chance den Unterwäschemarkt durch Innovation und unsere einzigartige Technologie maßgeblich zu beeinflussen. 

Bei den Gesprächen mit potentiellen Investor*innen stand auch meine persönliche Motivation und Geschichte hinter der Gründung im Mittelpunkt: Meine Idee und Leidenschaft für Brajuu entstanden aus dem eigenen Problem heraus. Ich war es leid, Kompromisse beim BH-Kauf zu machen und mit einem frustrierenden Gefühl nach Hause zu gehen. Mit Brajuu wollte ich eine Lösung schaffen, mit der jede Person einen passenden BH finden kann, in dem sie sich schön, wohl und stark fühlt. 

Nur was in einem selbst brennt, kann auch andere entzünden

Natürlich gibt es auf der Investor*innen-Seite eine ganze Bandbreite an Beweggründen, die eine Investitionsentscheidung beeinflussen. Das eigene Bauchgefühl und das Vertrauen in die Gründenden spielen allerdings immer eine ausschlaggebende Rolle: Kaufe ich die Vision ab? Vertraue ich den Gründenden? Lösen sie Probleme, die im Gründungsprozess unweigerlich auftreten werden? Geht der Business Case wirklich auf oder werde ich hier nur Geld verbrennen?

Als Gründer*in ist die Fokussierung auf die eigene innovative Idee so hoch, dass man leicht die Wichtigkeit eines authentischen und selbstbewusstesten Auftretens vollkommen unterschätzt. Natürlich muss der*die Investor*in in dem Startup eine innovative Lösung für ein vorhandenes Problem erkennen, mit dem die eigenen Investitionsziele erreicht werden können. Dennoch ist ein gutes Produkt wertlos, wenn die Persönlichkeit und das Gründungsteam nicht überzeugen können. Wer den eigenen Enthusiasmus und Ehrgeiz nicht vermittelt, bekommt kein Investment, ganz unabhängig von der eigentlichen Geschäftsidee. Denn: Nur was in einem selbst brennt, kann auch andere entzünden!

Überzeugt die Vision, überzeugt auch das Produkt

Meine Begeisterung für Brajuu konnte ich vor allem durch unsere Alleinstellungsmerkmale übertragen: Zum einen vereinen wir Fashion und Technologie durch eine eigens entwickelte Brafitting-Technologie. Zum anderen geht es bei uns um mehr als den Verkauf von schönen BHs: Durch Brajuu sollen Frauen* den Unterwäschekauf endlich wieder mit einem guten Gefühl verbinden und unnötig hohe Retourenquoten im Onlinehandel gesenkt werden. Wir verfolgen damit klar inklusive und nachhaltige Unternehmenswerte.  

In den letzten Jahren ist das Interesse an Unternehmen mit sozialem und ökologischem Bewusstsein enorm gestiegen. Neben einer positiven Rendite suchen viele Investor*innen Geschäftsmodelle, die die Welt verbessern und verändern. Mir war bewusst, dass Brajuu genau diesen Mehrwert bietet und wir damit auch (fachfremde) Investor*innen für unsere Idee begeistern können. 

Nach unserer erfolgreichen Finanzierungsrunde ist mir vor allem eins klar geworden: Ja, die Finanzierungshürde ist für Frauen* und Frauen*produkte höher 1?? und man muss eine gewisse Resilienz aufbauen, aber das ist noch lange kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Unsere Investor*innen waren allesamt keine BH-Fans: Letztendlich hat sie unser Business Case, die Vision und das Team überzeugt. 

Initiativen wie Encourage Ventures, Female Investors Network oder 30over30 sorgen dafür, dass auch auf Seiten der Investor*innen die Diversität erhöht wird. Dadurch werden zukünftig hoffentlich mehr und mehr spannende Start-Ups von und für Menschen gegründet, die durch ein Investment eine Chance auf beschleunigte Entwicklung und starkes Wachstum bekommen. 

AnmerkungDieser Artikel bezieht sich auf meine persönlichen Erfahrungen im Rahmen einer Pre-Seed Fundingrunde. Doch nicht nur Frauen stehen vor systemischen Herausforderungen beim Fundraising. Wir als Startup-Szene müssen es schaffen, dass unabhängig vom persönlichen Hintergrund die gleichen Chancen für eine erfolgreiche Finanzierung gegeben sind.

Über die Autorin
Melanie Wagenfort hat BWL in Berlin und Sozial- und Organisationspsychologie an der London School of Economics studiert. Ende 2019 gründete sie das Fashion-Tech Startup Brajuu. Ihre Überzeugung: Wenn etwas nicht passt, liegt das am Produkt und nicht am eigenen Körper. Langfristig möchte Melanie jeden Kauf von Unterwäsche für Frauen* durch Brajuus Technologie stützen und verbessern. Auf der Webseite von Brajuu durchlaufen Kund*innen ein einfaches FitQuiz, bei dem Fragen zur Brust und dem aktuellen Lieblings-BH gestellt werden. Auf Basis dessen findet Brajuu die perfekt passenden BHs, die auf dem Brajuu Marktplatz direkt gekauft werden. Im Sommer 2021 konnte Brajuu eine sechsstellige Finanzierungsrunde mit vier Investor*innen abschließen. Co-Autorin: Lea Mertens, PR & Marketing bei der Brajuu GmbH.

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Foto (oben): Shutterstock