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Wenn der Beirat “Junge Digitale Wirtschaft” die “Disziplinierung der Presse” fordert

Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft (bjdw) fordert in einem Positionspapier zum Thema "Börsengänge Deutscher Startups" quasi die Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland. Der Beirat verweist nun darauf, dass das Papier "eine vorläufige Arbeitsversion" sei.
Wenn der Beirat “Junge Digitale Wirtschaft” die “Disziplinierung der Presse” fordert
Dienstag, 13. Juli 2021VonAlexander Hüsing

Ein großer Aufreger im nicht vorhandenen Sommerloch: Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft (bjdw) fordert in einem Positionspapier (das auf der Website des Bundeswirtschaftsministerium veröffentlicht wurde) zum Thema “Börsengänge Deutscher Startups” quasi die Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland – wie zuerst das Handelsblatt entdeckte. Das hanebüchene Stichwort dabei lautet: “Disziplinierung der Presse”.

Medien sollen laut Forderung unter anderem dazu verpflichtet werden, über bestimmte Themen zu berichten. Und auch wie Medien berichten sollen, wird vorgegeben. Und die jeweiligen Unternehmen sollen alle veröffentlichten Artikel kostenlos nutzen können. Die namentlich genannten Autoren des Positionspapiers sind Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer, Alex von Frankenberg vom  High-Tech Gründerfonds (HTGF) und Investor Christoph Gerlinger von der SGT German Private Equity.

Der entsprechende Auszug aus dem Dokument *

Gewährleistung einer ausgewogenen Berichterstattung über Börsengänge durch Erlass von Regeln zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel, die sich als regelrechtes „IPO-“ und „new economy-bashing“ unter Finanzredakteuren verbreitet haben – Bspw. die parallelen IPOs von Delivery Hero und Vapiano in 2017 – Delivery Hero als verlustträchtige digitale Lieferplattform mit Börseneinführungswert von 4 Mrd. EUR wurde von der Finanzpresse durchweg als überbewertete Luftnummer zerrissen und folglich bei US-amerikanischen Anlegern platziert, Vapiano mit ihren Restaurants „zum Anfassen“ und zu einer vielfach niedrigeren Bewertung galt der Finanzpresse als seriös und solide – heute ist DH im DAX und 30 Mrd. EUR wert, Vapiano ist pleite und ein Totalverlust für die Zeichner

1. Verpflichtung der Presse zur Berichterstattung auch über kleine IPOs (fallen sonst bei den großen Medien ganz durchs Raster)

2. Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information, bewehrt durch Pflicht zur unverzüglichen Gegendarstellung bei Fehlinformation

3. Verpflichtung von Internetforen zur Offenlegung von Klarnamen der Blogger, Einführung einer Haftung von Bloggern für Falschbehauptungen und Beleidigungen

4. Gewährung des Rechts an den Emittenten, Artikel und Empfehlungen auf seiner Webseite zu veröffentlichen, ohne dafür horrende Lizenzgebühren an die Urheber zu zahlen, und Beseitigung der rechtlichen Haftungsrisiken der Wiedergabe von Artikeln von Dritten aufgrund Fehlinterpretation als eigene Anlageempfehlung des Emittenten.

Zeitnah nach dem Bekanntwerden des Positionspapiers meldete sich von Frankenberg bei Linkedin zu Wort: “Genau ist überhaupt keine gute Idee. Und das fordert der Beirat auch nicht. Es ist eine alte Version gewesen, die da veröffentlicht wurde. Wir reichen die aktuelle Version nach”. Amorelie-Gründerin Cramer schreibt zum Positionspapier auf Linkedin: “Das nicht abgestimmte Papier vertritt Einzelpositionen und Formulierungen, die in keinster Weise meine eigenen bzw. die Positionen des Beirats ‘Junge Digitale Wirtschaft’ reflektieren oder die der Start-Up Szene. Im Gegenteil, hier sind Einzelne in einer Form über das Ziel hinausgeschossen, die inakzeptabel ist”.

Und auch nebenan.de-Gründer Christian Vollmann, Vorsitzender des Beirats meldete sich umgehend: “Leider kein Aprilscherz, sondern ‘nur’ ärgerlicher Fehler unsererseits. Wir haben eine vorläufige Arbeitsversion des Papiers veröffentlicht, anstatt der finalen. Als Vorsitzender übernehme ich hierfür die volle Verantwortung. Natürlich ist dies NICHT die Position des Beirats. Wir bekennen uns vollumfänglich zur Pressefreiheit. Wir korrigieren den Fehler umgehend und bitten, diesen zu entschuldigen”. Und sogar Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sah sich genötigt, sich zu melden. Bei Twitter schreibt er: “Pressefreiheit ist ein herausragendes Grundrecht, dessen Schutz wir verpflichtet sind. Das Positionspapier des Beirates junge digitale Wirtschaft, war mir ebensowenig bekannt wie seine Veröffentlichung auf der Homegage. Ich habe soeben die umgehende Entfernung angeordnet”.

Die Wogen sind damit aber noch lange nicht geglättet. Unter dem Strich bleibt die Frage: Wie konnte die Forderung nach einer Einschränkung der Pressefreiheit überhaupt in ein Positionspapier des bjdw kommen – auch wenn es nur eine “vorläufige Arbeitsversion” ist. So sieht es auch Investor Bernd Hardes: “Das ist unfassbar. Bei allem Wohlwollen: Die Forderung nach der Einführung von Zensur und Einschränkung von Grundrechten wie Pressefreiheit ist auch in einem vorläufigen Arbeitspapier nicht zu entschuldigen. Punkt”.

Ergänzung: Letztendlich meldet sich dann auch noch Investor Christoph Gerlinger zu Wort: “Ich möchte mich bei allen Journalistinnen und Journalisten dafür entschuldigen, bedauere es außerordentlich und übernehme die Verantwortung dafür, dass eine unpassende und missverständliche Formulierung von mir aus einem frühen Teilkonzept des Positionspapiers aufgrund eines handwerklichen Fehlers in der finalen, veröffentlichen Fassung gelandet ist. Diese Formulierung entspricht weder der Position des Beirats noch der der Mit-Autoren noch der von mir. Ich habe dem Minister meinen Rücktritt aus dem Beirat angeboten”.

Ein Rücktritt der nötig ist! Denn “unpassend” sind die Formulierungen auf jeden Fall. Aber man muss schon viel Phantasie haben, um diese eindeutigen Aussagen als “missverständliche Formulierung” abzutun.

Tipp: Bei Linkedin habe ich das Thema gestern schon aufgegriffen, hier entlang zum Beitrag und zur Diskussion

* Hier das Positionspapier “Börsengänge Deutscher Startups” (PDF)

Update (13. Juli 2021, 12:14): Wir haben eine Stellungnahme von Amorelie-Gründerin Cramer ergänzt. (13. Juli 2021, 13:16): Wir haben die letzten beiden Absätze ergänzt.

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Foto (oben): Shutterstock

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.