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Produktideen testen: 4 Konzepte für die Umsetzung eines MVP

Ein MVP ist nicht gleich ein MVP. Und auch der viel beschworene Prototyp hat mit einem MVP nicht viel zu tun. Das MVP ist die kleinste Form der Produktausprägung, die auf den Nutzer trifft und dient der Verifizierung von Thesen - und nicht der Erfüllung von Wachstumsplanungen. Ein Gastbeitrag von Daniel Putsche. 
Produktideen testen: 4 Konzepte für die Umsetzung eines MVP
Mittwoch, 23. Juni 2021VonTeam

Für fast jedes Startup, egal in welcher Wachstumsphase, ist die Umsetzung eines Minimum Viable Products ein sinnvoller Ansatz, um neue Produktideen möglichst früh am Markt zu testen. Das Kürzel “MVP” mag als (nicht selten missverstandenes) Buzzword zwar fester Bestandteil des Startup-Jargons sein – allerdings wissen nur die Wenigsten um die vielfältigen Möglichkeiten, mit denen Unternehmen digitale Produktideen wirkungsvoll validieren können.

Wenn in Gründerkreisen von einem “MVP” die Rede ist, klingt das nicht selten so, als entstehe da gerade ein milliardenschweres Imperium. Das Minimum Viable Product als Auslöser für Wachstum und Monetarisierung – eines der großen Missverständnisse, wenn es um die frühe Phase von neuen digitalen Produkten geht. Sinn und Zweck eines MVP ist nämlich, mit seiner vermeintlichen Innovation zu experimentieren und sie früh innerhalb der echten Zielgruppe zu testen, um so schnell die Grundlage für einen Product-Market-Fit legen zu können. 

Die erste Voraussetzung für ein erfolgreiches MVP ist also das richtige Mindset. Denn nur wer sich darüber im Klaren ist, dass der Weg zu einem Produkt, das der Zielmarkt lieben wird, über zahlreiche Iterationen auf Basis echter Interaktion führt, hat überhaupt eine Chance, diesem Anspruch gerecht zu werden. Der zentrale Erfolgsfaktor bei der Umsetzung ist jedoch die Wahl des passenden Konzeptes. Im Folgenden vier Ansätze zur wirkungsvollen Implementierung eines digitalen MVP.

Das Concierge-MVP

Um zu verstehen, ob und wie ein Kunde ein Produkt akzeptiert, wird das Ergebnis des Produktversprechens beim Concierge-MVP mit manuellem Aufwand produziert – was der Kunde anhand von menschlicher Interaktion auch eindeutig erkennt. Die Vorteile: Eine steile Lernkurve für das Entwicklerteam, da es im direkten Austausch mit der Zielgruppe wertvolle Erkenntnisse gewinnt. Zudem ermöglicht das Concierge-MVP im Gegensatz zu einer technischen Lösung einen unkomplizierten und kosteneffizienten Einstieg in die Produktvalidierung.

Ist die Produktidee beispielsweise eine SaaS-Lösung, ist selbst die Entwicklung einer Beta-Version eine kostspielige Angelegenheit, die gerade für Startups in der Pre-Seed-Phase mit einem enormen wirtschaftlichen Risiko verbunden ist. Setzt man  zur Validierung im Zielmarkt stattdessen ein Concierge-MVP ein, können grundlegende Fragen im direkten Kundenaustausch erörtert und bestimmte Hypothesen getestet werden – etwa jene, dass Kunden für die geplante SaaS-Lösung überhaupt Geld ausgeben würden.  

Das “Wizard-of Oz”-MVP

Das “Wizard-of-Oz”-MVP folgt eigentlich demselben Prinzip wie das Concierge-MVP – mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Kunde nicht weiß, dass es sich im Hintergrund um einen manuellen Prozess handelt. Während der Nutzer also glaubt, es mit automatisierten Abläufen zu tun zu haben, verrichten sozusagen hinter einem Vorhang echte Menschen aus Fleisch und Blut die eigentliche Arbeit. Deshalb auch der Name, in Anlehnung an den berühmten Film “Der Zauberer von Oz”.

Ein Beispiel für das “Wizard-of-Oz”-MVP als Basis für ein florierendes Geschäftsmodell ist Zappos. Der Online-Schuhhändler entstand in einer Zeit, in der es noch keine Selbstverständlichkeit war, sich seine Sneakers über das Netz zu bestellen. Genau diese Hypothese überprüfte Gründer Nick Swinmurn, in dem er in stationäre Läden ging, Schuhe fotografierte, sie im Internet bewarb – und bei erfolgreichem Verkauf selbst dort kaufte und weiter verschickte. 

Die Kunden hatten keine Ahnung, dass Swinmurn kein einziges Paar Schuhe besaß, geschweige denn sämtliche Bestellungen manuell bearbeitete. Ein aufwendiges Vorgehen, das sich jedoch als erfolgreich erweisen sollte: Das Geschäft von Zappos wuchs nach der Gründung im Jahr 1999 so rasant, dass Swinmurn seinen “Wizard-of-Oz”-MVP – ohne den Einsatz der sonst üblichen Summen an Risikokapital – zu einem Milliardengeschäft formte, welches er zehn Jahre später für 1,2 Milliarden Dollar an Amazon verkaufte.  

Das Landing-Page-MVP

Wie der Name vermuten lässt, spielt bei diesem MVP-Typen eine Landing Page die entscheidende Rolle. Die zu validierende Idee wird so dargestellt, dass der Nutzer glaubt, das Produkt sei bereits erhältlich. Sinn und Zweck des Ganzen besteht darin, den Nutzer so auf eine Conversion hinzuleiten, meistens in Form der Angabe seiner E-Mail Adresse. Auf Basis der gesammelten Daten kann schließlich gemessen werden, wie groß das tatsächliche Kaufinteresse für eine vermeintliche Innovation in Wahrheit ist. 

Joel Gascoigne von Buffer, einem Software-Tool für das Management von Social-Media-Inhalten,  nutzte eine Landing Page, um seine Produktidee zu testen: eine Software, mit dem sich Social Posts automatisiert veröffentlichen lassen. Als Gascoigne 120 Registrierungen erreicht hatte, ging er mit 50 dieser Leads in den direkten Austausch, um mehr über deren Wünsche und Bedürfnisse zu erfahren und das Produkt zu verbessern. Das ist Gascoigne offensichtlich gelungen, generiert Buffer heute doch monatliche Einnahmen von rund 1 Million Dollar. 

Das E-Mail-MVP

In bestimmten Fällen kann ein Produkt als MVP auch in Form einer E-Mail abgebildet werden. Idealerweise besteht in einem solchen Szenario bereits Zugriff auf E-Mail-Adressen relevanter Kontakte, alternativ kann aber auch zunächst ein Verteiler aufgebaut werden. Sinn und Zweck des Ganzen: über Opening Rates, Click Rates und direktes qualitatives Feedback kann der Markt verstanden werden.

Bevor Ryan Hoover seine Plattform Product Hunt launchte, hatte er regelmäßig per E-Mail neue Tech-Produkte vorgestellt und seine Rezensionen per E-Mail an einen festen, stetig wachsenden Verteiler geschickt. Nachdem er extrem gutes Feedback von seinen Lesern erhalten hatte, wusste er, dass er mit seinem E-Mail-MVP auf dem richtigen Weg ist – und baute Product Hunt zu einer Plattform aus. 2016 wurde Product Hunt für 20 Millionen Dollar von AngelList übernommen.

MVP: Drei Buchstaben, die für einen Prozess stehen

Ein MVP ist nicht gleich ein MVP. Und auch der viel beschworene Prototyp hat mit einem MVP nicht viel zu tun. Das MVP ist die erste und kleinste Form der Produktausprägung, die auf den Nutzer trifft und dient der Verifizierung und Falsifizierung von Thesen – und eben nicht der Erfüllung von Wachstums- oder Umsatzplanungen. Ein MVP bringt keinen Wachstumsschub, sondern ist Phase im Produktentwicklungszyklus, die von zahlreichen schnellen Iterationen lebt.

Über den Autor
Daniel Putsche ist Gründer und Geschäftsführer von Candylabs, einem jungen Unternehmen, das auf die Entwicklung von neuen digitalen Produktangeboten für Startup, Konzern und Mittelstand spezialisiert ist. Neben seiner Rolle bei Candylabs ist Putsche Gründer von Horizon und als Business Angel aktiv.