#Gastbeitrag

“Skin in the game” ist kein Selbstläufer: Meine Stolpersteine beim Aufbau eines Startups

Skin in the game ist kein Allheilmittel, sondern es braucht den Willen zu Kompromissen, zum offenen Austausch und dem Verständnis aller Partner. Wenn das gelingt, ist es für mich der kraftvollste Weg des Investments und sowohl für die Investoren, aber auch für die Startup-Teams der richtige Weg.
“Skin in the game” ist kein Selbstläufer: Meine Stolpersteine beim Aufbau eines Startups
Mittwoch, 30. September 2020VonTeam

In meinem letzten Beitrag habe ich mich für mehr Investments mit „skin in the game“ eingesetzt. Ich wünsche mir in Summe noch mehr Investoren, die ihr Commitment gegenüber Startups nicht nur auf das finanzielle Engagement begrenzen, sondern aktiv im Unternehmen mitwirken. Für mich entsteht so nicht nur Nähe und Identifikation mit dem Team, sondern vor allem auch ein operativ wirksamer Hub, der dem Startup mit Know-how und Expertise hilft und gleichzeitig durch die eingebrachte Leistung “von außen” enormen Mehrwert generiert. Ich sehe definitiv eine bemerkenswerte Transformationsbewegung, die hier in unserer Branche aufwächst und freue mich diese weiter voran zu treiben.

Aber aufgepasst: “Skin in the game” ist kein Selbstläufer, sondern bringt neben dem unbedingten Commitment aller Investoren, vor allem auch Kompromissbereitschaft und Durchhaltevermögen mit sich. Dazu ist klar: Investoren und (Gründer-)Teams sind heterogene Spezies, die zwar häufig nach derselben großen Sache streben, aber den Weg dorthin auf ganz verschiedene Arten und Weisen bestreiten.

Ich will euch deshalb gerne transparent darstellen, wie der Aufbau eines E-Commerce Mobility Startups aus unserem Portfolio ablief und wo ich lernen konnte, wie knifflig echtes “Entrepreneurial Investment” in der Praxis werden kann. Sicher ist ein E-Commerce Mobility Startup ein recht spezielles Beispiel, aber dennoch gut vergleichbar mit anderen Branchen, weil hier im Speziellen old und new economy als Investoren aufeinander trafen. Wir waren bereits zu Beginn nicht immer einer Meinung mit dem (Start-)Team, vor allem als es um die gemeinsame Zielsetzung für die ersten 12-18 Monate ging. Beim besagten Startup CarFellows -einer E-Commerce-Plattform für den Neuwagenvertrieb der Zukunft- waren wir uns aber bei einer Sache wirklich einig, nämlich dass alle Seed Investoren neben der klassischen Beteiligung auch unternehmerisch tätig werden wollen. Neben der Beratungs- und Beteiligungsgesellschaft e&Co, bei der ich tätig bin, ist der zweite Entrepreneurial Investor die Seitz Gruppe, ein großer VW-Händler mit mehr als 20 Autohäusern.

Investoren aus verschiedenen Welten

Klassischer Autoverkäufer, Digital-Berater und E-Commerce-Spezialist: Klar, da hat es am Anfang ganz schön geknirscht, weil wir bei vielen Fragen unterschiedliche Vorstellungen hatten. Wie sieht das ideale Kundenerlebnis aus? Wie priorisiert man zwischen Vermittler und Auslieferer? Welche Metriken aus der digitalen Welt gelten für den Verkauf von “teuren” Gütern wie Autos? Muss ein operatives Team eher aus Verkäufern oder aus Marketing- und Social Media Spezialisten bestehen?

Der klassische Autohändler musste lernen, wie der Verkauf im Web funktioniert, wir als Berater mussten lernen, wie komplex das Kunden-Handling in der Praxis sein kann, wenn zum Schluß ein physisches Gut ausgeliefert werden soll, das man nicht einfach in ein Paket stecken kann.

Das Learning über den Verkauf im Netz war schnell erkennbar: Kunden werden nicht über großflächige Gießkannen-Marketing-Kampagnen gewonnen, sondern per direkter und personalisierter Ansprache über Facebook, Instagram und LinkedIn gewonnen. Der Kauf an sich stellt nur ein Start-Erlebnis auf der langen Reise durch die Community dar. Kein Autokäufer ist mehr bereit, monatelang auf sein Fahrzeug zu warten, die Frequenz liegt eher bei 2-4 Wochen. Damit muss ein klassischer Händler erstmal klar kommen und braucht neuere und agilere Strukturen sowie einen gänzlich neuen Vertriebsprozess.

Wir als Berater und Gründer auf der anderen Seite hatten die Komplexität des gesamten Kunden-Handlings unterschätzt. Der Traum von fertig konfigurierten Produkten, die nur noch per “Buy Button” bestellt werden, trifft auf Handtuchhalter und Rasierklingen per Amazon zu, aber nur bedingt auf emotionsgeladene Autos. Nachdem wir die Komplexität verstanden hatten, konnten wir uns anpassen und einzelne Prozessschritte der User Journey neu definieren: Entlang der Verkaufs-Strecke konnten wir das Angebot bei Car Fellows schrittweise auf die Bedürfnisse der Nutzer zuschneiden und so auch den gesamten Auslieferungsprozess beherrschbar machen.

Mehr Investoren = Mehr Stoßrichtungen = Mehr Impact?

Aber auch in der sehr komplexen Investoren-Kommunikation habe ich viele Learnings ziehen können. Denn einen Cap Table mit motivierten Unternehmern zu managen ist objektiv schwerer als stille Beteiligte mit reinem Finanz- oder Exit-Interesse zu „handeln“. Denn es gibt viel mehr weiche Faktoren, die zu berücksichtigen sind, wenn ein Investor plötzlich ständig präsent ist und sich aktiv einbringen möchte.

Bei uns war es beispielsweise die Vorstellung von kurzfristigem Erfolg, die zunächst auseinander lag. Wir wollten als klassische E-Commerce-Berater direkt hohe User-Zahlen auf der Plattform sehen und so “Traktion” zeigen. Autohändler Seitz wollte schlichtweg Autos verkaufen, und zwar so schnell wie möglich in Größenordnungen wie im eigenen Haus. Beide Lager blieben bei ihren Zielen und Ansätzen, doch wir konnten uns letztendlich auf einen gemeinsam Weg einigen, der insbesondere die Zeitachse kurz- und mittelfristiger Ziele berücksichtigte. Wir setzten kurzfristig auf verkaufsfördernde Kampagnen, die letztendlich auf beide Ziele einzahlten. So sorgten wir ad hoc für mehr User auf der Seite (teilweise hatten und haben wir >100.000 Besucher auf der Plattform), aber im nächsten Schritt auch für mehr Verkäufe. Dazu hatten wir auch ein wenig Glück – die E-Auto-Prämie kam zum richtigen Zeitpunkt und half, dass mehr Menschen zum Kauf von (E-)Autos angeregt wurden.

Ihr seht: Skin in the game ist kein Allheilmittel, sondern es braucht und fördert den Willen zu Kompromissen, zum offenen Austausch und dem Verständnis aller Partner. Wenn das gelingt, ist es für mich der kraftvollste Weg des Investments und sowohl für die Investoren, aber auch insbesondere für die Startup-Teams der richtige Weg.

Die diversen Blickwinkel der Investoren gepaart mit den Blickwinkeln der Gründerinnen und Gründer lösen eine größere Kraft aus als im Spiel der reinen Finanzinvestoren. Daher hoffe ich, dass weitere Mitstreiter, vielleicht auch noch mehr aus dem deutschen Mittelstand, sich trauen, so zu investieren.

Über den Autor
Geza Brugger ist Co-Founder und Vorstand Ventures (CVO) bei der e&Co. AG, die er 2015 gemeinsam mit vier weiteren Partnern gegründet und in den vergangenen fünf Jahren zu einem starken Player im Beratungs- und Beteiligungsgeschäft entwickelt hat. Geza ist ein waschechter Automobil- und Smart Mobility-Unternehmer, der Industrie- und Venture-Kompetenz perfekt miteinander verbindet. Neben weiteren eigenen Gründungen, u.a. von motec ventures, einer Smart Mobility Investmentgesellschaft mit Sitz in Wien, arbeitet Geza seit langem an der Schnittstelle zwischen Corporates und Start-ups und bringt ein exzellentes Netzwerk in die europäischen und asiatischen Märkte ein.

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Foto (oben): Shutterstock