Gastbeitrag

Startup-Geschichte: Von den Anfängen zum Ökosystem

Das Ökosystem in Deutschland ist sehr gesund. Vor allem haben die Gründer in der Breite sehr viel Professionalität aufbauen können. Allerdings beobachte ich bei jungen Kollegen, dass sie die Lehren aus den 1990er Jahren nicht im Hinterkopf haben.
Startup-Geschichte: Von den Anfängen zum Ökosystem
Mittwoch, 23. Mai 2018VonTeam

Zalando, Trivago, Auto1: Die deutsche Startup-Szene kann sich heute mehr als sehen lassen. So einige deutsche Gründer haben es mit ihren Unternehmen in den begehrten Kreis der Einhörner geschafft. Der Weg dahin war aber kein einfacher: Die deutsche Startup-Szene musste durch tiefe Täler, bis sie zukunftsfähige Unternehmen hervorbringen konnte. Erkan Kilicaslan, Managing Partner bei Iris Capital, arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre im VC-Bereich – und ist damit von Anfang an dabei. Er wirft einen Blick zurück auf die Anfänge der deutschen Startup-Szene und ihre Entwicklung.

Die deutsche Öffentlichkeit und ich lernten ungefähr zeitgleich, aber auf verschiedenen Kontinenten, was Startups sind. McKinsey hatte 1996 die Businessplan-Wettbewerbe nach Deutschland gebracht: Diese sollten nach amerikanischem Vorbild junge Absolventen dazu anregen, eigene Unternehmen zu gründen und letztlich eine Startup-Kultur in Deutschland etablieren. Ich war zu der Zeit gerade im Mutterland der Businessplan-Wettbewerbe. Nach meinem Diplom als Elektrotechnik-Ingenieur 1993 in Bochum und zwei Jahren in der Entwicklung und im Vertrieb bei einem französischen Chipkartenhersteller in Paris, ging ich 1995 in die USA, um meinen MBA zu machen.

Deutschland Anfang der 1990er: Gründergeist Fehlanzeige

Bevor ich in die USA ging, hatte ich für die Zeit typisch deutsche Karrierevorstellungen –  also sehr konservative. Ich sah mich in einer der großen Konzerne, am besten in der Forschungsabteilung. So ähnlich dachten im Grunde auch alle meine Studienkollegen. Startups kannten wir nicht, die Idee, direkt nach dem Studium ein Unternehmen zu gründen und nach einer Finanzierung zu suchen, wäre uns nie gekommen. Eine Gründerkultur gab es in Deutschland einfach nicht.

In den USA sah ich, dass sich Freunde mit dem Themen Gründung und Finanzierung auseinandersetzten und wurde neugierig. Daraufhin belegte ich an der Harvard Business School Kurse in Entrepreneurship und lernte dort, wie Venture Capital funktioniert und wie man Unternehmen wachsen lässt. Das Konzept Startup hat mich von da an gepackt. Als McKinsey 1997 die New Venture Initiative startete, fiel das sehr günstig mit meiner Rückkehr nach Deutschland zusammen. Ich war sofort mit an Bord und wurde der erste Associate in dieser Einheit, der Beratungsleistungen für Startups anbot. Da konnte ich auf die Straße bringen, was ich in den USA über Startups gelernt hatte.

1996 – 2000: Initialzündungen für die deutsche Startup-Kultur

Die Businessplan-Wettbewerbe waren der erste große Schritt in Richtung deutsche Startup-Kultur. Es war das erste Mal, dass das Thema in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Entsprechende Projekte an Universitäten waren zu dem Zeitpunkt zwar schon bekannt, aber das Konzept, die Entwicklung von Produkten mittels Finanzierung oder Venture Capital zu unterstützen, gab es in Deutschland so noch nicht.

Die Wettbewerbe brachten ein neues Unternehmertum auf. Diese neuen Unternehmer sammelten sich damals vor allem in München und Hamburg. Berlin hatte in dieser Zeit noch nicht die heutige Rolle gespielt, die Stadt war „arm aber sexy“ und es gab einfach zu wenig techniklastige Unternehmen in der Zeit dort. München hatte vor allem von der TU München profitiert, die immer sehr engagiert war im Startup-Bereich und den Großunternehmen aus dem Technologieumfeld.

Die Businessplan-Wettbewerbe waren sehr wichtig, aber es gab noch einen entscheidenden Aspekt, der letztlich die deutsche Startup-Szene ins Leben rief: die Entstehung eines neuen Marktes. Durch den Börsengang der Deutschen Telekom wurde das Thema Kapitalmarkt erstmals in Deutschland präsent. Die deutschen Sparer gelten heute immer noch als ausgesprochene Aktienmuffel, aber das ist kein Vergleich zur ersten Hälfte der 1990er Jahre, in der wirklich fast niemand an der Börse investierte. Die Lust auf Aktien war 1996 durch den Börsentrubel der Deutschen Telekom geweckt. Das Investment in die „Volksaktie” haben zwar einige später bereut, aber der Aktiengang hat das Thema der breiten Öffentlichkeit nahegebracht.

Schneller Börsengang, schneller Exit, der Neue Markt: Viele der ersten deutschen Startups dachten nicht nachhaltig

Aktien, gerade die des Neuen Marktes, versprachen in dieser Zeit schnelles Geld und es entstand ein regelrechter Run auf sie. Es herrschte Goldgräberstimmung. Da die Nachfrage so viel höher war als das Angebot, schossen die Kurse auch in die Höhe. Deswegen haben in dieser Zeit sehr viele Unternehmen den Weg in den Neuen Markt gesucht, darunter viele Startups. Aber auch viele Mittelständler, Technologie-Unternehmen, Automobilzulieferer und Software-Unternehmen gingen an die Börse.

Es gab damals auch gut geführte Unternehmen. Im Nachhinein betrachtet gilt aber für das Verhalten vieler Gründer und Investoren in dieser Zeit leider das Sprichwort: Gier frisst Hirn. Die Wertschöpfungskette vieler Startups war nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Businessplan, schneller Börsengang, schneller Exit – das war der gängige Fahrplan. Daraus entstand ein schnelllebiges Ökosystem an dem Berater, Anwälte und andere Berufsgruppen mitverdienten.

Rückblickend weiß man es zwar immer besser, aber es gab auch Bewertungen von Unternehmen, bei denen sich schon damals alle wunderten, warum die so hoch ausfielen. Warum damals keiner auf die Bremse trat? Das Motto war für viele einfach: „Wir tanzen so lange, wie die Musik läuft”. Als sich dann das Exit-Fenster ab 2000 schloss, gingen reihenweise Unternehmen pleite, andere schrieben große Verluste und die Investoren zogen sich zurück. Die Blase platze schließlich 2001, was auch das Ende der ersten Phase der Startup-Szene in Deutschland markierte.

2001 – 2004: Kein Geld und eine Sinnkrise

Die junge deutsche Gründerszene war Anfang der 2000er Jahre schwer angeschlagen, die Dotcom-Blase hatte der VC-Szene nicht gut getan. Die Gier rächte sich jetzt, weil kaum noch jemand VC-Finanzierungen vergab. Selbst gesunde Unternehmen litten darunter. Es gab zwar weiterhin Neugründungen, die mussten aber zum größten Teil ohne VC auskommen. Erst ab 2004 war eine Erholung zu spüren, die Investoren kehrten zurück.

Was aber immer noch fehlte, waren echte Rollenmodelle für die Gründer. Die Businessplan-Wettbewerbe hatten zwar das neue Unternehmertum angeschoben, da aber dessen Geschäftsmodell sich gerade in Luft aufgelöst hatte, war die Szene in einer Art Identitätskrise. Niemand wollte wieder so anfangen, wie in den 1990er Jahren, aber niemand hatte eine Vision davon, wie die Startup-Szene aussehen könnte. Wie wollen wir arbeiten? Für was stehen wir? Innovation? Gewinne? Nachhaltigkeit? Die Krise der Szene hatte viele Fragen aufgeworfen.

2007: Rocket Internet bringt Berlin auf die Karte

Die Samwer-Brüder haben die zweite Phase der deutschen Startups mit eingeläutet. Die Investoren kamen zurück und die Samwers haben mit Rocket Internet das Gründen industrialisiert. Wie eine Startup-Fabrik funktionierte ihr Geschäft: Gründer, CFOs und Marketingleute saßen an einem Tisch und tauschten wie am Fließband Ideen aus. Sie inspirierten sich gegenseitig und erzeugten so große Synergieeffekte. Viele der Gründer, die heute noch aktiv sind, haben das Geschäft bei Rocket gelernt. Anfangs wurde vieles aus den USA geklont, heute ist Rocket aber viel mehr als ein Klon. Es ist das deutsche Startup-Rollenmodell.

In der deutschen Startup-Szene fand durch den Einfluss von Rocket Internet außerdem ein räumlicher Wandel statt: Die Samwers haben sehr viele Talente nach Berlin gezogen. Weil in Berlin, anders als zum Beispiel in München, weniger große Unternehmen mit den Startups um Talente konkurrierten, konnte sich Berlin schnell als Startup-Hochburg etablieren. Außerdem besaß die Stadt schon immer ein kreatives Umfeld, das war ein idealer Nährboden für die Szene.

Mit breiter Brust durch die Finanzkrise

Die Nagelprobe für die zweite Welle von deutschen Startups kam mit der Finanzkrise ab 2007. Das Geld wurde vor allem am Höhepunkt der Krise 2008 knapp und die Messlatte der VC-Investoren wurde immer höher gelegt. Hier fand ein starker Selektionsprozess statt, doch es zeigte sich auch, wie stabil die deutsche Startup-Szene geworden ist. Die Krise konnte dem größten Teil der Szene nichts anhaben.

Die Gründer hatten ihre Lehren aus den 1990er Jahren gezogen, sie dachten nachhaltig. Interessanterweise gibt es eine Reihe von Gründungen aus den Krisenjahren, die wir heute als sehr erfolgreiche Exits sehen, beispielsweise Trivago, Teamviewer, Brands4Friends und BigPoint. Das sind alles Unternehmen, die in Krisenzeiten nachhaltig gewachsen sind.

Die Erfahrung mit der Finanzkrise war sehr wertvoll für die VC-Szene. Bei der Dotcom-Blase gab es durchaus auch Unschuldige, aber die Szene bekam schon auch die Quittung für ihre eigene Kurzsichtigkeit und Gier. Die Finanzkrise war nicht selbstverschuldet, hat aber trotzdem einige nicht tragfähige Geschäftsmodelle ausgesiebt und die starken Gründer stärker gemacht.

Ausblick von heute

Das Ökosystem der Startups in Deutschland ist heute sehr gesund. Vor allem haben die Gründer in der Breite sehr viel Professionalität aufbauen können. Das sieht man an den Businessplänen und den Pitches. Allerdings beobachte ich bei jungen Kollegen, dass sie die Lehren aus den 1990er Jahren nicht kennen und entsprechend nicht im Hinterkopf haben. Einige denken wieder an das schnelle Geld. Unsere Portfolio-Unternehmer holen wir aber natürlich, wenn nötig, auf den Boden der Tatsachen.

Für die Zukunft bin ich vor allem auf die Möglichkeiten der Blockchain gespannt. Mich interessiert sie weniger als Infrastruktur von Kryptowährungen, sondern als verteiltes Datenbanksystem mit immensen Anwendungen in Feldern, die wir uns heute noch nicht ausmalen können.  Auch sehr spannend finde ich die Entwicklungen im Bereich Connected Cars und Automotive. Deutschland könnte hierbei als Autoland eine Vorreiterrolle einnehmen.

Außerdem sind Fintechs hochspannend. Das berührt für mich auch den Kern der Startup-Szene: Unternehmen, die bestehende Systeme aufbrechen und neue Wertschöpfungsketten aufsetzen.

Zur Person
Erkan Kilicaslan ist Managing Partner bei Iris Capital

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Foto (oben): Shutterstock