Buchauszug

“War ja total klar, dass das funktioniert. Sex sells”

Was mir ein kleines bisschen Angst gemacht hat, war, dass ein Freund zu mir gesagt hat: "Lea, Scheitern ist ja schon echt schlimm. Aber wenn du mit einem Sexshop scheiterst, ist das für deine Karriere das Aus. Also, zu Siemens kannst du dann nicht mehr gehen."
“War ja total klar, dass das funktioniert. Sex sells”
Donnerstag, 31. August 2017VonTeam

Amorelie hat es geschafft, eine ganze, bis dato eingestaubte, Branche zu verändern und das Liebesleben als essenziellen und integralen Bestandteil einer glücklichen Beziehung in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Als Vorreiter im unbeschwerten und selbstverständlichen Umgang mit dem Thema Sexualität steht Amorelie heute für glückliche, aufgeschlossene, erfüllte Beziehungen voller Lebensfreude und Sinnlichkeit. Neben bunten Lovetoys und stilvollen Dessous bietet Amorelie auch viele andere Produkte, wie Massageöle, Augenbinden und Handfesseln, um das Liebesleben von einer neuen Seite zu entdecken und die Routine aus der Beziehung zu vertreiben. Amorelie ist überzeugt, dass es Beziehungen und die Momente miteinander sind, die uns als Menschen glücklich machen, und möchte Produkte, die diese Bindungen stärken, als Teil eines offenen und modernen Lebensstils verankern und die Branche mit immer neuen und zukunftsweisenden Innovationen aufmischen. Lea-Sophie Cramer im Interview mit Marie Christine Carrillo. Ein Auszug aus dem Buch “Lionhearted: 12 Interviews über Mut, Leidenschaft und das Abenteuer Unternehmensgründung“.

Wie alt warst du bei der Gründung?
Da war ich 25 bzw. gerade 26 geworden.

Was hast du vor der Gründung gemacht?
Ich habe in Mannheim BWL studiert. Damals hatte ich einen Freund an der WHU, was ja auch als die »Gründer-Uni« bekannt ist. Dadurch bin ich mit dem Thema Gründung in Berührung gekommen. Und das hat mich von Anfang an gereizt. Im zweiten Semester habe ich bei der Boston Consulting Group ein Praktikum gemacht. Zum Ende des Praktikums hat mein Mentor mir gesagt: »Lea, wir machen dir ein Angebot und freuen uns riesig, wenn du zu uns kommst. Aber ich muss dir persönlich sagen, dass ich glaube, du solltest Unternehmerin werden.« Nach dem Studium bin ich zu einem kleinen Start-up gegangen. Aber die Entwicklung hier lief langsamer, als ich mir das vorgestellt hatte, deshalb bin ich nach drei Monaten doch zu BCG gewechselt.

Hat der Mentor bei BCG gesagt, warum du Unternehmerin werden solltest?
Er meinte, dass ich Dinge überdenke, die andere als gegeben hinnehmen. Mir sind ganz oft Dinge aufgefallen, die ich unsinnig fand. Der andere Punkt war, dass ich unglaublich viel Energie und Leidenschaft in Projekte gebe. In der Beratung ist das teilweise aber gar nicht so leicht, weil du selten die umsetzende Kraft bist, in der Regel ist das der Kunde.

Bist du deswegen relativ schnell zu Rocket gewechselt?
Das war eher Zufall. Mein Plan war es eigentlich, nach etwas Zeit bei BCG einen Leave für meinen Master zu machen, weil ich nach meinem Bachelor direkt angefangen habe zu arbeiten. Eine stabile Ausbildung war in meinen Augen eine grundlegende Voraussetzung für meine Zukunft. Aber dann habe ich zufällig einen Freund von der WHU getroffen. Der hat dafür gesorgt, dass ich Oliver Samwer zum Lunch getroffen habe. Dieses Treffen war ein einschneidendes Erlebnis. Ich bin aus dem Gespräch rausgegangen und habe gedacht: »Wie kann ein Mensch so für etwas brennen?« Er hatte eine Energie, die mich sehr inspiriert hat. Das war der Moment, in dem ich gedacht habe: »Wenn du noch mal ins kalte Wasser springen willst, dann so früh wie möglich.« Da war ich 21. Und ich war der Meinung: »Unternehmensberatungen suchen laufend Leute. Da kann man ja auch zurückkommen.« So kam es, dass ich eine der wenigen in der Geschichte der BCG war, die in der Probezeit gekündigt haben. Und dann bin ich bei Rocket und Groupon eingestiegen.

Bist du von deinen Eltern unternehmerisch geprägt worden?
Heute sind sie beide Unternehmer, aber davor waren beide über 30 Jahre in einem einzigen Betrieb angestellt. Meine Mutter ist Psychologin und hat jetzt eine eigene Praxis. Mein Vater ist in der Energieberatungsbranche. Sie haben vielleicht immer etwas Unternehmerisches in sich gehabt. Viel wichtiger ist, denke ich, was sie mir beigebracht haben. Das Credo meines Vaters ist: »Stärken stärken. Es bringt nichts, wenn du versuchst, deine Schwächen auf ein durchschnittliches Niveau zu bekommen.« Sie haben immer viel für mein Selbstbewusstsein getan und wollten, dass ich Vertrauen in mich selbst habe, meine Ziele zu erreichen. Geprägt haben mich Sätze wie: »Du kannst machen, was du möchtest. Alles ist eine Frage der Motivation und der Fähigkeiten, die du einbringst.«

Wie haben deine Eltern reagiert, als du gesagt hast: »Jetzt gründe ich selber«?
Mit einem riesigen Schock. Ich hatte damals bei Groupon viel Verantwortung: Zu dem Zeitpunkt leitete ich den ganzen asiatischen Bereich mit insgesamt 1200 Leuten. Meine Eltern hatten das Gefühl, dass es gut läuft, obwohl sie bestimmt haben kommen sehen, dass ich irgendwann mal selber gründen würde. Aber dann ist eine Gründung von einem Online-Shop für Sexspielzeug auch nochmal ein Sonderfall. Das habe ich Weihnachten 2012 erzählt. Mein Vater war noch am positivsten mit: »Ich glaube, die Idee ist ganz gut und das könnte echt was werden.« Meine Mutter sagte: »Ich habe die größten Probleme mit dem Thema, aber wenn du es nicht nur zum Geldverdienen machst, sondern um in der Gesellschaft etwas zu bewegen, dann unterstütze ich dich dabei.« Und meine 92-jährige Oma meinte: »Du fandest doch Tiere immer ganz toll. Willst du nicht lieber was mit Tieren machen?«

Wie waren die Reaktionen im Freundeskreis?
Echt viel Unverständnis. Es waren wenige, die gesagt haben: »Das wird erfolgreich.« Cool war die Reaktion aus unserem relativ großen Netz aus Business-Angels, die ich noch von Rocket kannte. Einige haben vor allem an die Idee geglaubt, weil ich davon überzeugt war und es unbedingt machen wollte. Da habe ich gemerkt, dass ich mir durch meine Arbeitsweise eine Reputation aufgebaut hatte. Und dass es Leute gab, die auf Grund dieser Reputation bereit waren in die Idee zu investieren.

Wie bist du mit der Kritik aus dem Freundeskreis umgegangen?
Ich habe es einfach ignoriert und akzeptiert, dass ich kritisiert werde. Ein bisschen habe ich es auch als Ansporn gesehen. Ich habe meinem Bauch schon immer viel vertraut. Das ist bei mir ganz oft so, dass ich mir eine Sache ansehe und es macht sofort klick. Und dann weiß ich: »Das ist genau das, was ich jetzt machen muss.« So war das damals auch. Mit diesem Gefühl ist es einfacher, die Kritiker zu ignorieren. Im Nachhinein würde ich auch sagen, dass ich ein bisschen provozieren und die Gesellschaft verändern und anecken wollte. Mir war es wichtig, nicht in der Masse von BWLern unterzugehen. Dass das ein Wunsch von mir war, hätte ich am Anfang aber nie sagen können.

Deine Mutter wollte dich unterstützen, wenn du die Gesellschaft mit deinem Unternehmen veränderst. Sind »anecken« und »die Gesellschaft verändern« Dinge, die du von zuhause mitbekommen hast?
Ja, total. Meine Eltern haben sich früher beide unglaublich viel für Frauenrechte eingesetzt. Ich war als Kind schon bei vielen Demos mit auf der Straße.

Was treibt dich außer der Veränderung der Gesellschaft bei Amorelie an?
Das Größte, was uns antreibt, sind Beziehungen. Wenn du durch das Amorelie-Office läufst, geht es wenigen darum, einfach nur den Sex zu verbessern. Das ist zwar auch schön. Aber die sind davon überzeugt, dass es um mehr als das geht. Wir glauben, dass ein offenes und zufriedenes Sexleben ein wichtiger Bestandteil von glücklichen Beziehungen ist. Und im Endefekt sind Beziehungen der Kern unseres persönlichen Glücks. Dazu gibt es auch eine interessante Langzeitstudie aus Harvard. Und wenn man sich mal Statistiken anguckt, wie viele Frauen in Deutschland ein befriedigendes Sexleben haben, sind die Zahlen echt niedrig. Das finde ich erschreckend. Ich denke, dass das Problem darin liegt, dass wir mit unseren Bedürfnissen einfach nicht offen und selbstbewusst genug umgehen. Das möchten wir ändern.

Wie ist die Idee entstanden?
Das ist zweiteilig. Der erste Teil beginnt damit, dass ich mit der Bahn von München nach Berlin gefahren bin. Genau zu der Zeit wurde der erste Band von »50 Shades of Grey« sehr gehypt. Und da ich in der Bahn keinen freien Platz gefunden habe, bin ich durch den Zug gelaufen. In jedem Abteil waren so ungefähr drei Leute, die dieses Buch gelesen haben. Und zwar offen vor allen anderen Leuten! Das fand ich überraschend. Ich hatte es auch gelesen, aber in meinem stillen Kämmerlein. Das fand ich als gesellschaftliche Entwicklung spannend. Also bin ich zu ein paar Leuten hingegangen und habe gefragt, wieso es für sie okay ist, es öfentlich zu lesen. Die Antworten waren in etwa: »Erotik-Literatur zu lesen war immer anrü- chig. Aber das ist jetzt das erste Mal, dass ein Buch in die Mitte der Gesellschaft gerückt wurde. Das Buch wird doch als Kulturgut akzeptiert.« Das war für mich eine spannende Erkenntnis. Und dann habe ich zufällig meinen Mitgründer, Sebastian Pollok, wiedergetroffen, den ich von BCG kannte. Er hat von einem Artikel erzählt, den er gelesen hatte. Der Lifestyle-Shop fab.com war damals eine total gehypte Design-Seite, deren Wert auf Milliarden geschätzt wurde. Heute ist sie insolvent. Eines der meistverkauften Produkte waren damals jedoch Design-Vibratoren. Von einer Seite, die Möbel und Vasen und andere Inneneinrichtung verkauft, war das schon bemerkenswert. Gleichzeitig rauschte der Aktienkurs von Beate Uhse in den Keller. Es gab also offensichtlich ein Interesse an dem Thema und den Wunsch, solche Produkte zu kaufen. Aber keinen Anbieter, der diese wachsende Zielgruppe richtig angesprochen hat. Und damit war die Idee geboren. Wir haben uns also rangesetzt und einen Pitch geschrieben, um zu gucken, ob man mit der Idee Geld einsammeln kann. Geld von Externen einzusammeln, ist meiner Meinung nach die beste Möglichkeit, um herauszufinden, ob du eine gute Idee hast oder eine durchschnittliche. Selbst wenn dir das Kapital schon zur Verfügung steht, würde ich versuchen externes Geld einzusammeln. Einfach, um einen Businesspartner zu haben, der dein Modell richtig hinterfragt. Wir haben dann mehrere Pitches gemacht und jedes Mal war die Reaktion: »Ja, das Geld können wir euch geben.« Dann haben wir beide über Weihnachten nochmal über die Idee nachgedacht und uns Anfang Januar in einer Bar getroffen, die Hände geschüttelt, und los ging’s!

Wie lange hat das von eurem zufälligen Treffen bis zum ersten verschickten Paket gedauert?
Das waren so anderthalb Monate, vielleicht zwei. Ende Januar waren wir ja schon live.

Hat sich die Geschäftsidee bis heute geändert?
Ja, schon. Heute sind wir zu einem signifikanten Maß selbst Hersteller mit eigenen Marken. Am Anfang waren wir klassischer Händler. Aber dadurch, dass wir so viel über unsere Kunden gelernt haben, wussten wir, dass Content-Konzepte gut funktionieren. Zum Beispiel unsere Toy-Ratgeber oder Produkt-Videos. Aber auch, welche Produkte, welche Materialien und welche Marken gut ankommen. Der Gedanke »Das können wir eigentlich besser« hat dazu geführt, dass wir uns auf die Eigenproduktion gestürzt haben. Aber auch unser Marketing-Plan hat sich geändert. Unser Pitch war: Wir machen das Zalando fürs Liebesleben. Also alte Rocket-Schule: Wir machen Online-Marketing ohne Ende, Facebook, Google, Long Tail Marketing und super viel SEA / SEO. Aber dadurch, dass wir in dem Bereich Erotik klassifiziert sind, dürfen wir ganz viele von den Sachen gar nicht machen. Zum Beispiel sind wir von Facebook Marketing, Google Display Network und Retargeting ausgeschlossen. Du darfst niemanden mit Vibratoren-Bannern verfolgen. Was irgendwie auch sinnvoll ist, aber für uns eine Herausforderung im Marketing-Mix. Unser anfänglicher Plan funktionierte also nicht. Wir dachten: »Dann ist es jetzt wahrscheinlich vorbei.« Aber wie das immer so ist: Wo sich eine Tür schließt, öfnet sich eine andere. Ab Tag zehn hat die Bild Zeitung bei uns angerufen. Und dann wurde das Interesse der Medien immer größer. So haben wir als eine der wenigen Firmen, die ich kenne, PR als Umsatzkanal ausgebaut. Wir haben stark auf PR und Brand-Marketing gesetzt. Also Geschichten erzählt, die die Marke Amorelie inszenieren. Zu Beginn haben wir immer wieder Pop-up-Stores eröfnet, so dass Leute für kurze Zeit in die Läden gehen konnten, um die Produkte zu erleben und Hemmungen abzubauen, aber wir gleichzeitig kein kostenintensives Filialnetz betreiben mussten. Wir haben uns auf die Frage konzentriert: »Wie viele Magazine gibt es in Deutschland, in denen wir noch nicht drin waren?« Bis wir irgendwann realisiert haben: Es ist ja nicht so, dass man nur einmal in einem Magazin ist. Wenn man den Kontakt erstmal hat, hat man die Chance, auch noch öfter drin zu sein. Nicht mit der ganzen Geschichte, aber mit dem Produkt, der Marke, neuen Ideen. Am Anfang dachten wir, nach einem Mal ist man für das Magazin verbrannt. PR als Umsatztreiber ist nicht steuerbar. Man kann dem Redakteur ja nicht sagen, dass man jetzt in das Magazin möchte. Er entscheidet, ob er dich drin haben will, oder nicht. Dadurch ist viel mehr Risiko dabei. Es hat aber bei uns super gut funktioniert. Und wir haben etwas Wichtiges gelernt: Wir müssen eine Geschichte erzählen. Und das müssen wir durch Bilder machen, da die Sprache im Bereich Sexualität unglaublich arm ist. Es gibt fast nichts zwischen ganz vulgär oder unfassbar spießig. Emotionen durch Bilder rüberbringen kann man am besten im TV. Also haben wir dort einen Test mit kleinem Budget gestartet. Und der hat wahnsinnig gut funktioniert. Und dann wurde Pro7 relativ schnell auf uns aufmerksam. Wir haben dann mit denen einen Deal gemacht. Und dann noch einen, und dann haben sie gesagt: Bei der nächsten Finanzierungsrunde würden wir euch lieber übernehmen, als dass ihr noch eine Runde macht. Wir haben gesagt, dass wir TV als Marketingkanal langfristig besetzen wollen, also war Pro7 für uns ein sehr guter Investor. April 2015 haben wir deshalb an den Konzern verkauft.

Nochmal zurück zu deinen Freunden und Bekannten, die anfangs sehr kritisch waren. Was sagen die heute?
Heute sagen die meisten: »War ja total klar, dass das funktioniert. Sex sells.« Ich sitze jedes Mal da und denke: »Das stimmt nicht. Mit ›Sex sells‹ müssen wir gerade in unserem Bereich sehr vorsichtig sein. Das ist eine unserer Herausforderungen, dass wir das Thema nicht direkt verkaufen können.« Aber wie Steve Jobs sagte: »You can’t connect the dots looking forward; you can only connect them looking backwards.« Es ist so viel leichter, diese ganzen kleinen Punkte zusammenzufügen und am Schluss zu sagen: »Das war ja klar, dass das eine Erfolgsgeschichte wird.« Am Anfang war das nicht so eindeutig. Auch zwischendurch gab es immer wieder Momente, in denen es knapp wurde. Wie bei jeder anderen Gründung auch. Es gibt keine Erfolgsgeschichte, auch nicht bei Zalando, die nicht kurz mal vor dem Shutdown stand. Aber diese Reaktionen sind wahrscheinlich menschlich und ganz normal.

Was war das Härteste, was jemand über die Idee gesagt hat?
Was mir ein kleines bisschen Angst gemacht hat, war, dass ein Freund zu mir gesagt hat: »Lea, Scheitern ist ja schon echt schlimm. Aber wenn du mit einem Sexshop scheiterst, ist das für deine Karriere das Aus. Also, zu Siemens kannst du dann nicht mehr gehen.« Darüber habe ich wirklich kurz nachgedacht. Jeder wünscht sich ja, im Leben alle Möglichkeiten offen zu haben. Es ist immer schwer, Türen zu schließen. Ich hätte schon gerne die theoretische Möglichkeit, zu Siemens zu gehen. Auf der anderen Seite habe ich danach gedacht: »Ich werde nie in Unternehmen gehen, wenn die Kultur einfach nicht zu mir passt. Und wenn man mein ›Scheitern‹ nicht als wertvollen Erfahrungsschatz sehen kann, dann ist das auch nicht der richtige Arbeitgeber für mich.« Ich habe das dann akzeptiert. Man muss eben lernen, Türen zuzumachen. Dafür machen sich ganz viele andere auf, die du vorher nicht gesehen hast.

Hast du solche Zweifel mit deinen Eltern oder deinen Freunden besprochen?
Ja. Mit meinem Freund und meinen Eltern habe ich sehr viel besprochen. Meiner Meinung nach ist es auch total wichtig, dass du ein Umfeld hast, was dich stützt. Am Anfang hat mein Freund mich mit der Idee unterstützt. Aber wenn du dann wirklich anfängst und jemand bist, der sehr viel Leidenschaft hat, dann arbeitest du unglaublich viel, weil es dir so wichtig ist. Und dadurch verlagern sich die Prioritäten stark auf den Job. Du willst einfach unbedingt, dass es erfolgreich wird. Für mich war es nicht leicht zu wissen, dass XY bei mir investiert hat und mir somit persönlich Geld anvertraut. Insgesamt war das eine große Verantwortung und dadurch habe ich am Anfang unfassbar viel gearbeitet. Das erste Jahr war man gefühlt immer mit einem Bein am Abgrund. Es ist illusorisch zu glauben, dass man mal so nebenher gründen kann.

In Situationen, in denen du mit einem Bein am Abgrund standest: Wie bist du damit umgegangen und woraus hast du Kraft geschöpft?
Als Gründer hast du keinen Chef mehr. Es sagt dir keiner: »Das hast du gut gemacht.« Oder: »Das hast du schlecht gemacht.« Die Investoren sind für dich da, wenn du sie brauchst. Du kannst bei denen mal nachfragen, aber die wissen es auch nicht besser, denn es ist ja dein Unternehmen. Die können dir Tipps geben, aber im Endefekt musst du alles entscheiden. Am Anfang habe ich mich oft gefragt, ob wir überhaupt eine Daseinsberechtigung haben. »Warum macht Beate Uhse das nicht einfach so wie wir?« Am Anfang habe ich mich zermartert mit der Frage, was unser USP ist. Wir haben kein Patent, keine großartige Erfindung. Ist das, was wir kreiert haben, überhaupt etwas wert? Diese ganzen grundsätzlichen Fragen kommen natürlich immer in den Phasen, in denen es schlecht läuft. Manchmal bin ich aus Meetings gekommen und habe gedacht: »Wir müssen das einstampfen und das Geld zurückzahlen.« Aber ich brauche immer so ein bisschen dieses hit rock bottom. Weil ich dann merke, dass ich da auf keinen Fall sein will, und das setzt bei mir unfassbar viel Energie frei und ich entwickle unzählige neue Ideen. Die meisten Fragen oder Zweifel kamen aus dem Vergleich mit anderen. Das waren Gedanken wie: »Unsere Umsätze sind noch nicht um 100 Prozent von Monat zu Monat gestiegen.« Oder: »Andere Start-ups sind schon in 15 Ländern.« Plötzlich merkst du, dass viele Start-ups nach fünf Monaten wieder zumachen. Du musst lernen, dich auf dich selbst zu besinnen. Es heißt nicht, nur weil Rocket alles anders macht, dass es auch der beste Weg für deine Company sein muss. Wir sind zwar nicht in 15 Ländern, aber wir sind seit letztem Jahr profitabel. Das war uns wichtig. Du musst dir darü- ber im Klaren sein, was die Ziele für dein Unternehmen sind. Und du kriegst ja immer wieder andere Ratschläge: »Kein Mensch verkauft sein Unternehmen nach zweieinhalb Jahren. Das ist viel zu früh.« Timing ist meiner Meinung nach alles in dem Geschäft. Und das Timing war für uns und das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt super gut und mit Pro7 läuft es toll. Wir sind immer noch eigenständige Unternehmer. Wir sind noch in Berlin und die Investoren in München. In der Start-up-Szene gibt es ganz viele Binsenweisheiten, an denen man immer versucht, sich zu orientieren. Aber eigentlich musst du deiner eigenen Intuition folgen. In den operativen Bereichen kann man sich gut vergleichen, z.B. wie optimieren andere SEO? Aber bei großen strategischen Entscheidungen musst du deinen eigenen Weg einschlagen. Dasselbe beim Thema Kinder kriegen. Was ich nicht vorher alles gehört habe, dass das nicht funktionieren wird: Unternehmertum und Mutter sein! Ich schätze, nur zwei Prozent der Leute haben gesagt: »Es funktioniert.«

Aber es funktioniert doch?
Super gut. Aber du musst einfach selber wissen, was du willst, und das dann auch verteidigen können. Du kriegst von irgendwo her einfach immer Kritik. Egal, was du machst. Wenn du etwas wagst, wirst du kritisiert – egal, ob du erfolgreich bist oder nicht. Im Endefekt gibt es zu jeder Zeit deines Lebens Leute, die denken, dass du einen anderen Weg einschlagen solltest. Das Wichtigste ist, selber zu wissen, dass dein Weg der ist, den du persönlich gerade als richtig empfindest.

Habt ihr euch Feedback von Leuten aus der Branche geholt, als ihr gegründet habt?
Nein. Die hätten wahrscheinlich eh gesagt: »Das funktioniert nicht, es gibt da keine Zielgruppe.« Das Angebot im Markt war nicht mehr zeitgemäß, als wir damit angefangen haben. Und durch die Tabuisierung des Themas haben sich auch keine neuen Leute mit innovativen Ideen in die Branche gewagt. Welchen Durchhaltetipp würdest du anderen Gründern geben? Man muss unzufrieden bleiben. Du hörst auf, dich weiterzuentwickeln, wenn du mit allem zufrieden bist. Ich bin natürlich schon ein zufriedener Mensch, in dem Sinne, dass ich ausgeglichen bin. Aber ich suche immer nach Dingen, die man optimieren kann. Und ich glaube, dass man seinem inneren Antrieb und seinem inneren Ziel folgen muss. Unternehmertum hat so viel von dem, was mich erfolgreich und glücklich machen kann. Meine Eltern verstehen oft nicht, wie man mit so viel Stress und mit so viel Unterwegssein trotzdem so viel Spaß haben kann. Das ist einfach der Deckel, der auf meinen Topf passt, und ich glaube, es passt auch kein anderer Deckel drauf. Und das ist ein großartiges Gefühl, zu wissen, dass man genau das macht, was einen wirklich erfüllt.

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