Rayk Reitenbach im VC-Interview

“Gründer sollten kein falsches Bild der Lage vermitteln”

"Das VC-Handwerkszeug lässt sich mit solidem Interesse an Zahlen, Recht und Management gut lernen. Ich habe während meines Studiums bereits als Praktikant das VC-Business kennen gelernt und fand es ausgesprochen spannend", sagt Rayk Reitenbach von der IBB Beteiligungsgesellschaft.
“Gründer sollten kein falsches Bild der Lage vermitteln”
Montag, 22. Mai 2017VonAlexander Hüsing

Die IBB Beteiligungsgesellschaft, die seit 20 Jahren aktiv ist, stemmte allein im vergangenen Jahr 43 Transaktionen mit einem Investitionsvolumen in Höhe von 15,2 Millionen Euro. Durch weitere Geldgeber strömten in den genannten Deals insgesamt 120 Millionen Euro in junge Unternehmen. Im VC-Interview mit deutsche-startups.de spricht Rayk Reitenbach, Investment Director bei der IBB Beteiligungsgesellschaft, über Treibstoff, das 4-Augen-Prinzip und Risikogesichtspunkte.

Reden wir über Geld. Was genau reizt Dich daran, Geld in Unternehmen zu investieren?
Natürlich denkt man bei VCs als erstes an Finanzinvestments und das damit verbundene Geschäftsmodell, mit erfolgreichen Divestments Geld zu verdienen. Jedoch reden wir gar nicht mehr oder weniger darüber, als andere Unternehmer. Bei meinem Job stehen die Beziehungen zu den Portfolio-Unternehmern, in guten wie in schlechten Zeiten, die lebendige Kontaktpflege in das Ökosystem und eine permanente Beschäftigung mit Innovationen und Markttrends im Vordergrund. Das ist es was mich reizt. Geld ist ehrlich gesagt nur Mittel zum Zweck. Es ist der Treibstoff, um die innovativen Ideen umzusetzen und Märkte zu revolutionieren.

Wie wird man eigentlich Venture-Capital-Geber – wie bist Du Venture-Capital-Geber geworden?
Ich denke, die wichtigsten Voraussetzungen sind eine hohe Affinität zu Startups, sehr ausgeprägte Social Skills sowie die Fähigkeit, in Geschäftsmodellen die Chancen und Potenziale in den Vordergrund zu stellen – natürlich ohne die Risiken auszublenden. Die kaufmännischen und Entrepreneurial Skills sollten ebenfalls sehr breit aufgestellt sein. Ausbildungsseitig und vom beruflichen Background gibt es da nahezu keine Konventionen. Das VC-Handwerkszeug lässt sich mit solidem Interesse an Zahlen, Recht und Management gut lernen. Ich habe während meines Studiums bereits als Praktikant das VC-Business kennen gelernt und fand es ausgesprochen spannend. Umso glücklicher war ich, als mir in 2007 der Einstieg bei der IBB Bet. angeboten wurde. Auch privat kam mir das sehr entgegen, meinen Lebensmittelpunkt nach Berlin zu verlegen. Damals war Deutschland gefühlt noch ein VC-Entwicklungsland und das Thema Startups bei weitem nicht so breit in der Gesellschaft bekannt wie heute. Meine Freunde fragten mich: Bist Du so etwas wie ein Banker? Nein, natürlich nicht.

In der VC-Welt wird oftmals mit Millionenbeträgen hantiert,  wird Dir da nicht manchmal mulmig zumute – bei diesen Summen?
Mulmig ist vielleicht der falsche Ausdruck. Man ist sich vielmehr der Verantwortung bewusst. Bei professionellen Investoren sind Prinzipien und Methoden etabliert, die das Risiko für  Fehlentscheidungen minimieren sollen. Zum Beispiel sollten Investmententscheidungen durch ein „neutrales“ Gremium – Investment Comittee – freigegeben werden müssen, das sich explizit nicht oder nicht nur aus dem jeweiligen Deal-Team zusammensetzt. Ebenso hat sich bei der Vertretung des VCs ein generelles 4-Augen-Prinzip bewährt. Die IBB Bet ist mit 20 Jahren Erfahrung sehr erfahren darin, dass Portfolio zu diversifizieren und unter Risikogesichtspunkten zu managen. Dennoch sollte allen bewusst sein, dass es Risikokapital ist und jede Investmententscheidung unter Unsicherheit getroffen werden muss. Mit anderen Worten: Der Faktor Glück ist auch ein wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells Venture Capital.

Was sollte jeder Gründer über Euch – als VC – wissen – wie etwa grenzt Ihr Euch von anderen Investoren ab?
Als Tochter der öffentlichen Förderbank des Landes Berlin, IBB, haben wir in der Tat ein etwas anderes Profil als rein privatwirtschaftliche VCs. Wir werden sowohl an Kennzahlen, die unseren Impact auf den wirtschaftlichen Strukturwandel und die Entwicklung des Startup-Sektors in Berlin messen, als auch an rein betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, etwa Rendite der Fonds, gemessen. Da wir aber Investments stets gemeinsam mit privatwirtschaftlichen Investoren zu gleichen Bedingungen tätigen, sind wir bezüglich der Investmentrationale und der Rahmenbedingungen bei den Deals identisch mit anderen VCs. Den besten Rat, den wir Gründern und Geschäftspartnern geben können, ist Referenzen über uns in unserem bestehenden oder ehemaligen Portfolio einzuholen. Wir gelten als zuverlässig, transaktionssicher und sehr partnerschaftlich.

Welche Unterstützung bietet Ihr – neben Geld?
Gerade in der früheren Startup-Phase können wir aufgrund unserer physischen Nähe zu den Startups – unser gesamtes Portfolio befindet sich in Berlin – sehr viel Facetime gewährleisten und aktiv als Sparringspartner zur Verfügung stehen. Wir helfen den Unternehmern richtig zu priorisieren, zu reflektieren und, wenn es mal nötig ist, sind wir eine moralische Stütze. Ansonsten bieten wir ein umfangreiches Netzwerk, viel Erfahrung und Expertise – komisch, das steht auch bei allen anderen VCs auf der Website!

Wie entscheidet Ihr, ob Ihr in ein Start-up investiert: Bauchgefühl, Daten, Beides oder was ganz anderes?
Wir versuchen, den Entscheidungsprozess so objektiv wir möglich aufzusetzen. Aber zugegebenermaßen ist auch eine gemeinsame Wellenlänge mit dem Gründerteam auf persönlicher Ebene sehr wichtig. Wir erhalten jährlich zwischen 400 und 500 – seriöse – Anfragen, die wir in unseren regelmäßigen Deal-Flow-Meetings vorbesprechen. In diesen Meetings priorisieren wir die Cases nach Attraktivität und Deal-Wahrscheinlichkeit. Dabei spielt zum Beispiel auch eine Rolle, ob bereits andere Investoren – wie gesagt, wir benötigen mindestens 50% Matching Funds – Interesse an einem Investment und einer Zusammenarbeit mit uns signalisieren und ob uns die Vorstellungen der Gründer bzgl. Terms und Konditionen marktfähig erscheinen. Bei den Prio A Opportunitäten werfen wir dann verstärkt Ressourcen in Research und eine vorläufige Due Diligence, um eine solide Grundlage für eine objektive Investment-Entscheidung zu haben. Natürlich spielen auch weiche Faktoren eine Rolle, etwa wie sich das Gründerteam im Deal Making Prozess und der Verhandlung verhält. Insgesamt ergeben sich pro Jahr ca. 8 bis 12 Beteiligungen in neue Portfoliounternehmen. Das ist keine Vorgabe, sondern das Ergebnis aus dem Deal Flow.

Wie wichtig und bindend ist ein Businessplan?
Ich finde einen Businessplan sehr wichtig. Er gibt die Strategien für Produktentwicklung, Marktpositionierung, Markteintritt, Expansion und die Vision wieder. Eine Finanzplanung, falls die Frage darauf abzielt, würde ich eher als eine Art Finanzmodell betrachten, das gewisse Annahmen für KPIs, den daraus ergebenden Wachstumspfad sowie den Cash-Bedarf möglichst nachvollziehbar herleitet. Die Annahmen sollten mit Benchmarks oder anderweitigen Marktfeedbacks plausibilisiert werden. Erst nach erfolgreichem Proof of Concept und einem gelungenen Markteintritt lässt sich meines Erachtens eine Finanzplanung mit validierten Annahmen für einen bestimmten Zeitraum, sagen wir 12 Monate, aufstellen.

Wie organisiert Ihr den Austausch mit Euren Portfolio-Firmen, welche Tools nutzt Ihr?
Wir bekommen von allen Portfoliofirmen ein individuelles monatliches Reporting-Package, welches die jeweiligen Besonderheiten des Geschäftsmodells und der Unternehmensphase berücksichtigt. Wir haben von unserer Seite keine „Layout-Vorgaben“ für das Reporting und erzeugen somit keinen Zusatzaufwand bei den Startups. Jeder meiner Kolleginnen und Kollegen aus unserem Investment-Team managt fünf bis zehn Beteiligungen. Wir favorisieren in der Tat physische Treffen, in der Regel einmal im Monat, bei Bedarf auch öfters. Dies sind in erster Linie Arbeitstreffen. Es geht nicht unbedingt darum, das Reporting noch einmal vorgelesen zu bekommen. In reiferen Phasen bzw. bei einem umfangreicheren Gesellschafterkreis sind Beiräte oder Boards hilfreich, in denen wir gerne auch Vertreter entsenden.

Wie spricht man als Gründer am besten einen Investor an?
Ich finde, viel wichtiger ist es den richtigen Investor anzusprechen. Diese zu identifizieren erfordert guten Research. Bei der Ansprache hilft natürlich ein „warmes Intro“ über einen gemeinsamen Kontakt.

Was sollten Gründer vor Investoren niemals sagen oder machen?
Für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist Offenheit und Ehrlichkeit eine unerlässliche Basis. Gründer sollten daher kein unvollständiges und falsches Bild der Lage vermitteln oder unrealistische Erwartungen wecken.

Nicht jedes Start-up läuft rund, nicht jedes wird ein Erfolg. Was macht Ihr, wenn eine Eurer Beteiligungen in Schieflage gerät?
Nicht jedes Startup läuft rund. Eine gewagte These! Ich würde sagen, die wenigsten laufen rund, jedenfalls automatisch. Auf alle Fälle bekommt eine in Schieflage geratene Beteiligung besondere Aufmerksamkeit von uns. Je eher Signale auf eine mögliche Krise hindeuten, umso mehr Handlungsspielraum bleibt in der Regel, um diese abzuwenden. Daher legen wir viel Wert auf ein pünktliches und vollständiges Reporting. Wir analysieren gemeinsam mit den Gründern die Ursachen und mögliche Strategien, das Startup wieder in die Spur zu manövrieren. Meistens sind das für die Gründer emotional sehr herausfordernde Zeiten. Wir versuchen in dieser Situation auch eine moralische Stütze zu sein.

Und woran merkt Ihr, dass Ihr bei einem Start-up die endgültige Reißleine ziehen müsst?
Oft ist das ein schmaler Grat. Solange die Gründer für einen Weg aus der Krise kämpfen, versuchen wir mit unseren Möglichkeiten diese Anstrengung zu unterstützen. Wir gelten auch in der Krise als ein zuverlässiger Partner. Solange wir Chancen sehen, dass das Startup mindestens überleben kann und wir unser Investment vollständig – oder wenigstens zum Teil – recovern können, schreiben wir die Beteiligung gedanklich nicht ab, auch wenn es nicht mehr die sexy Wachstumsstory werden soll. Natürlich müssen im Falle benötigter Liquidität weitere Investments in die betroffene Beteiligung wie Erstinvestments rational begründbar sein.

Gebt Ihr uns einen Einblick in Euer Anti-Portfolio – bei welchen, jetzt erfolgreichen, Firmen seid Ihr leider nicht eingestiegen?
Es gibt mit Sicherheit einige erfolgreiche Firmen, bei denen wir entweder nicht zum Zuge gekommen sind oder abgelehnt haben. Aber das tracken wir nicht. Eine erfolgreiche Firma ist außerdem keine hinreichende Bedingung, dass ein Investor einen attraktiven Deal verpasst haben könnten. Die Renditeerwartungen von VCs an Investment-Cases sind bekanntermaßen recht hoch. Diese hängt maßgeblich von der realisierten Wertsteigerung des Unternehmens während der Beteiligung ab. Diese Gleichung beinhaltet neben einem guten Exit auch entsprechend attraktive Einstiegskonditionen.

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Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.