Gastbeitrag von Mitt Tarasowski

So baut man das nächste Trello (und verkauft es)

Atlassian hat Trello für 425 Mio $ gekauft. Warum? Weil Trello auf dem besten Wege war, Atlassian zu vernichten. 2011 gab es keine Konkurrenz für Trello und so füllte es das Vakuum, das Atlassian hinterlassen hatte. Weil Atlassian über den Markt hinausgeschossen war.
So baut man das nächste Trello (und verkauft es)
Montag, 13. Februar 2017VonTeam

Wie zieht man also das nächste Trello auf und wird steinreich? Vor allem indem man keinen Trello-Klon erschafft. Wieso? Trello ist ein klassisches Beispiel für eine disruptive Innovation, also einer Innovation, die bestehende Methoden durchbricht und völlig verdrängen kann. Wenn man es mit disruptiver Innovation zu tun hat, gewinnt der Schnellste, und zwar alles. Atlassian hat Trello nicht wegen seiner Marke oder seiner Nutzer für 425 Mio. $ gekauft, sondern weil Trello eine Gefahr für die Zukunft der Firma darstellte. Deshalb haben auch Google und andere Unternehmen ähnliche Übernahmen gemacht. Wenn Sie ein 400 Mio. $ – Startup aufbauen wollen, machen Sie etwas Simples. Dieser Artikel erklärt, weshalb.

Die Logik hinter Trellos Übernahme

Fog Creek startete Trello 2011 und verkaufte es sechs Jahre später für 425 Mio. $. Dies war der größte Erwerb, den Atlassian je getätigt hatte. Doch warum gab Atlassian derart viel Geld für Trello aus? Weil Trello im Bereich der Projektverfolgung disruptiv war. Produkte, die auf disruptiven Technologien basieren, sind typischerweise günstiger, einfacher, kleiner und einfacher zu handhaben.

Trello bringt ein anderes Leistungsversprechen in den Markt. Sein Leistungsversprechen ist Kooperation und Einfachheit. Jiras Leistungsversprechen hingegen sieht anders aus. Atlassian scheint ein gut geführtes Unternehmen zu sein. Seine Manager haben bilderbuch-mäßige Arbeit geleistet: sie hörten auf ihre Kunden und erschufen ein besseres und komplizierteres Produkt. Sie fügten neue Features hinzu, um neue Kunden zu gewinnen. So wandten sie sich einem höheren Marktsegment zu, einer höheren Preisklasse.

Während der Umsatz des Unternehmens wuchs, wurde sein Produkt übermäßig kompliziert und schwer zu pflegen. Durch den Schritt in das höhere Marktsegment hinterließ Atlassian ein Vakuum bei niedrigeren Preisstufen, in das nun Konkurrenten mit disruptiven Technologien eindringen konnten. Genau das tat Trello.

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Trello erschuf eine günstigere, einfachere und kleinere Version von Jira. Sie vermarkteten ihr Produkt an Kundengruppen wie Vermarkter, Designer und Manager, die nicht zu Atlassians Hauptzielgruppe gehörten. 2011 gab es einfach keine Konkurrenz für Trello und so füllte es das Vakuum, das Atlassian hinterlassen hatte. Weil Atlassian über den Markt hinausgeschossen war.

In ihrem Eifer, mithilfe von der Konkurrenz überlegenen Produkten stets die Nase vorn zu behalten, übersehen viele Unternehmen, mit welcher Geschwindigkeit sie sich in höhere Marktsegmente bewegen. Sie erkennen nicht, dass sie die Bedürfnisse ihrer Kunden übersättigen, während sie mit der Konkurrenz um die Wette rennen, und zwar hin zu Märkten mit mehr Leistung und mehr Absatz. Und sie sehen nicht, dass sie genau auf diese Weise ein Vakuum bei den günstigeren Preisklassen hinterlassen, in das Konkurrenten mit disruptiven Technologien eindringen können. (Siehe auch Clayton Christensens Beiträge in The Innovator’s Dilemma.)

Trello Board Beispiel

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Quelle: Zapier.com

Jira Board Beispiel

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Quelle: Spartez.com

Gleichzeitig wurde Jira auch teuer. Doch hätten sich seine Otto-Normal-Kunden (oder Mainstream-Kunden) auch mit weniger Features zu einem besseren Preis zufriedengegeben. Dadurch wurde Atlassian angreifbar durch Konkurrenten mit günstigeren, einfacheren und praktischeren Produkten.

Durch das Hinzufügen neuer Features wird auch Trello sich in höhere Marktsegmente bewegen und die Anforderungen des Mainstream-Marktes überschreiten (Blaue Linie). Überschreitet Jira die blaue Linie, werden seine Mainstream-Kunden zu Trello wechseln. Genau so überholt disruptive Innovation die alteingesessenen Produkte. Dies passierte in Branchen wie Laufwerken und Großrechnern und es wird ebenso in der Projektverfolgung geschehen.

Deshalb wurde Trello zur größten Bedrohung für Atlassians Zukunft. Trello wurde zum Angreifer. Sein Produkt hatte weniger Features. Es war einfach. Und es war scheiß günstig. Es war disruptiv!

Ich arbeite nicht für Atlassian und habe keinerlei Verbindungen zu dessen Angestellten. Aber ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn disruptive Innovation auf ein 15 Jahre altes Unternehmen trifft. Es ist zum Kotzen, egal wo man hinsieht.

Der CEO von Atlassian hat es richtig gemacht. Statt die disruptive Technologie zu bekämpfen, akzeptierte er sie und kaufte Trello. In einem Interview sagte er: Alle Unternehmen können in zwei Schubladen gesteckt werden: entweder werden sie selbst zu einem Software-Unternehmen oder sie werden von einem verdrängt. Jede Branche wird fundamental von Software beeinflusst.

Ich bin sicher, dass viele Angestellte von Atlassian diese Entscheidung nicht verstehen, denn für sie macht sie keinen Sinn. Für sie ist Trello im Vergleich zu Jira ein erbärmliches Produkt. Aber ihr CEO hat mit dem Kauf von Trello ihre Jobs gesichert. Denn Trello war auf dem besten Wege, Atlassian zu vernichten!

Der Markt reagierte positiv. Atlassians Aktienkurs stieg von 25,03 $ am 9. Januar (der Tag der Bekanntgabe) auf 28,03$ am 23. Januar.

Atlassian schaffte es nicht, sein eigenes Trello zu entwickeln.

Laut Clayton Christensen ist es bei disruptiver Technologie besonders wichtig, in Führung zu gehen. Unternehmen, die zuerst in den Markt drängten, hätten eine sechs Mal höhere Erfolgswahrscheinlichkeit, als welche, die später dazukamen. Selbst falls Atlassian also jemals seine eigene Version von Trello hervorgebracht hätte, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass dieses Produkt Erfolg gehabt hätte. Atlassian war kein Ersteinsteiger.

Es gibt jedoch noch einen klareren Grund, als den verpassten Ersteinsteiger-Vorteil. Atlassian ist eine Aktiengesellschaft. Das Unternehmen muss ein 30-prozentiges Wachstum pro Jahr erzielen. Daher muss jeder in diesem Unternehmen Geld einbringen. Viel Geld. Und um viel Geld einzubringen, braucht man große Kunden.

2016 machte Atlassian 458 Mio. $ Umsatz. Ein Wachstum von 30% würde für 2017 zusätzliche 137 Mio. $ bedeuten. In seinem Aktionärsbrief wurde ein Gesamtumsatz zwischen 597 und 603 Mio. $ vorhergesagt.

Laut Forbes.com macht Trello rund 10 Mio. $ regelmäßigen Umsatz. Ein Trello-Klon wird Atlassian nicht dabei helfen, sein Ziel zu erreichen. Atlassian hat anscheinend viele gute Manager. Gute Manager würden keine Ressourcen dazu einteilen, ein neues Trello zu erfinden, denn das würde nicht das Hauptproblem lösen: die Frage der Umsatzsteigerung. Stattdessen werden sie alles tun, um die Bedürfnisse ihrer größten Kunden zu befriedigen.

Mit der Zeit haben sie einige Grundwerte festgelegt. Ein potentieller 10 Mio. $ – Umsatz ist ihnen egal, sie brauchen zusätzliche 137 Mio. Deshalb muss sich jeder bei Atlassian auf die großen Kunden und deren Bedürfnisse konzentrieren. Und große Kunden wollen ein größeres, besseres und komplizierteres Produkt.

Wie wir gelernt haben, sind Produkte auf Basis von disruptiven Technologien typischerweise günstiger, einfacher, kleiner und komfortabler. Das genaue Gegenteil von dem, was Atlassian tut. In Atlassians Grundwerten ist kein Platz für Trellos disruptive Innovation.

Was passiert also nach der Übernahme von Trello?

Ich erinnere mich noch daran, als Google Android gekauft hat. Androids Betrieb waren keineswegs vollständig in Googles Hauptgeschäft integriert. Nicht einmal Googles Mitarbeiter hatten Zugang zu den Android-Büros. Wir wissen heute, dass dies eine von Googles besten Übernahmen war. Doch weshalb hat Google Android nicht seinem Hauptgeschäft angeschlossen? Ganz einfach: weil Googles Prozesse, Werte und Kultur Android kaputt gemacht hätten. Das ist einer der Hauptgründe, weshalb man frisch aufgekaufte Unternehmen nicht integrieren sollte.

Atlassian ist ein 15 Jahre altes Unternehmen, es hat etablierte Prozesse, Werte und Kultur. Es arbeitet mit anderen Kundengruppen als Trello. Atlassian hat 1700 Angestellte. Die Geschäftsführung muss nun eine Entscheidung treffen: Sollte Trello in das Unternehmen integriert werden oder nicht?

Wenn die Geschäftsführung von Atlassian clever ist, werden sie Trello nicht in ihr Hauptgeschäft integrieren. Und für Trello-Angestellte: Wenn Sie hören, dass eine Integration geplant ist, suchen Sie sich einen neuen Job. Eine Integration ist der Anfang vom Ende. Denn Trello gehört nicht zu Atlassians Unternehmenswerten. Und wenn etwas nicht Teil der Unternehmenswerte ist, liegt hierauf auch keine Priorität!

Die Werte einer Organisation sind das Kriterium, nach dem die Prioritäten gesetzt werden. Und die Priorisierung von Entscheidungen betreffen Mitarbeiter auf allen Ebenen. Die Werte von erfolgreichen Unternehmen neigen dazu, sich in mindestens zwei Dimensionen auf vorhersehbare Weise zu entwickeln. Die erste bezieht sich auf akzeptable Bruttogewinne. Die zweite Dimension, in der sich Werte vorhersehbar ändern, bezieht sich darauf, wie groß ein Unternehmen sein muss, um interessant zu bleiben. (Siehe auch Clayton Christensens Beitrag in The Innovator’s Dilemma.)

Trello hat einen neuen, aufstrebenden Markt geschaffen. Aufstrebende 800 Mio. $ – Märkte gibt es nicht. Wenn aufstrebende Märkte klein sind, sind sie weniger attraktiv für große Unternehmen. Daher wird Trello innerhalb von Atlassian immer unterversorgt sein, was Gelder und Ressourcen angeht.

Trello wird das neue Jira werden!

In einem Blog-Beitrag schrieb der CEO von Atlassian: “Trello wird ein wichtiger Teil des Atlassian Portfolio werden.” Ich vermute, es ist zu früh, um die Wahrheit zu sagen: es wird genau umgekehrt sein.

In ein paar Jahren wird Trello die blaue Linie übertreten. Alles, was die Mainstream-Kunden wollen, werden sie in Trello finden. Dies wird der Wendepunkt für Jira-Kunden sein. Sie werden zu Trello übergehen.

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Wenn Trello die blaue Linie überschreitet, wird es in den Mainstream-Markt eindringen. Trello wird riesige Gewinne für Atlassian einfahren. Der Umsatz, den Trello macht, wird höher sein, als der von Jira. Das ist der Grund, warum Trello das neue Jira werden wird!

Natürlich denken viele von Ihnen, dass ich verrückt bin. Doch so funktioniert disruptive Innovation. Trellos Schwächen von heute werden zu Stärken von morgen.

Dies sind die nächsten 400 Mio. $ – Startups.

Zapier veröffentlichte Statistiken über die am schnellsten wachsenden Apps. Auf Platz 1 stand Airtable mit einer Wachstumsrate von 682%. Ich hatte noch nie von Airtable gehört und wollte wissen, was es kann. Also sah ich mir die Website an und erfuhr, dass es im Grunde eine günstigere und einfachere Version von Microsoft Access war. Wie oben bereits erwähnt, sind Produkte, die auf disruptiven Technologien basieren, typischerweise günstiger, einfacher, kleiner und komfortabler zu nutzen.

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Was ist mit Quip, der cloudbasierten Wortverarbeitungs-App? Es wurde 2012 gegründet und für 750 Mio. $ an Salesforce verkauft. Quip ist Trello sehr ähnlich. Beide sind in ihrer Funktionalität sehr simpel. Quip ist eine disruptive Innovation für Google Docs und Google Sheets. Genauso, wie Google vor nicht allzu vielen Jahren disruptiv auf Microsoft Office gewirkt hat.

Während sich einige Unternehmen in höhere Marktsegmente begeben und komplexe Produkte erfinden, nutzen andere das Vakuum für Innovationen als Eingangstür. Durch Beobachtung kann man in vielen Branchen ein Vakuum finden. Wenn Sie dieses Vakuum mit simplerer und günstigerer Technologie füllen, können Sie ein 400 Mio. $ – Startup aufbauen.

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Es gibt einige interessante Branchen, die nur auf eine disruptive Innovation warten. Eine davon ist die ungefähr 4 Mrd. $ schwere Marketingautomatisierung. Vor vielen Jahren sind die führenden Unternehmen im Bereich der Marketingautomatisierungssoftware über den Markt hinausgeschossen. Gleiches gilt für den Buchhaltungssoftware-Markt.

Scott Cook, Gründer von Intuit, entschied, dass die Herausgeber von Buchhaltungssoftware für Kleinbetriebe über die Funktionalität, die in diesem Markt nötig war, hinausgeschossen waren und dadurch disruptiver Software-Technologie mit adequater, nicht überlegener Funktionalität (und die einfach und komfortabel zu nutzen war) eine Chance bot. Quickbooks eroberte 70% des Marktes in nur zwei Jahren nach seiner Markteinführung. (Christensen).

Erschaffen Sie etwas Neues, aber simpler und günstiger. Machen Sie etwas, das der Mainstream-Markt jetzt noch nicht will, später aber schon. Die Schwäche von heute wird die Stärke von morgen werden.

Zum Autor
Mitt Tarasowski ist Executive beim Broker Libertex und Mitgründer von Clever.do.

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Foto (oben): Shutterstock