Gastbeitrag von Johannes Moskaliuk

Gründer sollten sich manchmal auf ihre Intuition verlassen

Bevor Sie Ihre Intuition nutzen können, brauchen Sie eine Vorstellung davon, welche Konsequenzen eine Entscheidung hat und wie die Entscheidung aussieht. Erst dann kann Ihre Intuition einen Abgleich mit bisherigen Erfahrungen machen und Sie können entscheiden, ob sich etwas gut anfühlt oder nicht.
Gründer sollten sich manchmal auf ihre Intuition verlassen
Donnerstag, 6. August 2015VonTeam

Unternehmer müssen oft unter Zeitdruck Entscheidungen treffen. Sei es in einer Verhandlung, bei zeitlich begrenzten Angeboten oder im Gespräch mit Mitarbeitern. Dann ist es nicht möglich, Alternativen im Detail zu durchdenken oder alle notwendigen Informationen zu sammeln und zu bewerten.

In anderen Fällen ist die Fragestellung so komplex, dass es unmöglich ist, alle Eventualitäten zu berücksichtigen. Zum Beispiel bei der Frage, ob Sie in neue Geschäftsräume investieren, eine neue Dienstleistung ins Portfolio aufnehmen, Mitarbeitende einstellen, ins Ausland expandieren oder Umstellung in der Produktion vornehmen.

Bei solchen Entscheidungen müssen Sie sich als Unternehmer auch auf Ihre Intuition verlassen. Sie sind dann nicht nur der Manager, der auf Basis von Zahlen und Fakten entscheidet, sondern auch der Visionär, der an den Erfolg glaubt und deshalb eine mutige Entscheidung trifft (mehr zu solchen Führungsrollen können Sie in meinem aktuellen Artikel auf Wirtschaftswoche Online nachlesen). Kann das gutgehen? Hat so eine scheinbar vage Größe überhaupt Platz im Business?

Schauen wir uns erst einmal an, was Intuition eigentlich ist.

Neuropsychologische Grundlagen der Intuition

Im Modell des Neurowissenschaftlers António Damásio äußert sich Intuition über negative oder positive Emotionen beim Gedanken an verschiedene Handlungsalternativen. Diese emotionalen Hinweise heißen somatische Marker.

Zunächst scheint es unternehmerischen Grundsätzen zu widersprechen, “nach Gefühl” zu entscheiden. Zu Unrecht, denn Ihre Intuition – das Bauchgefühl – hat eine handfeste Grundlage: Ihre bisherigen Erfahrungen. Anders als explizites Wissen ist dieses Erfahrungswissen Ihnen aber nicht direkt zugänglich, Sie können Erfahrungswissen nicht ohne Weiteres in Worte fassen und bewusst für Entscheidungen nutzen.

Einfach ausgedrückt, passiert bei Intuition also folgendes: Ihr Gehirn rechnet in Frage kommende Handlungsalternativen durch und gleicht eine ganze Reihe von Parametern miteinander ab. Als Grundlage benutzt es die Daten, die Sie ihm dazu gefüttert haben und die im Erfahrungsgedächtnis vorliegen. Sie können nicht auf diese Rechenvorgänge zugreifen, sondern bekommen nur das Endergebnis präsentiert, in Form der somatischen Marker. Weil diese nur die Information positiv oder negativ geben können, ist der Output von Intuition auf ein gut/schlecht Schema begrenzt. Intuition sagt nur ja oder nein zu etwas und gibt keine detaillierteren Informationen.

Wie gut das funktionieren kann, ist durch zahlreiche Studien belegt. Ein Beispiel (hier können Sie sich die Studie online ansehen): An der Universität Amsterdam wurden Teilnehmenden verschiedene Autos vorgestellt. Die eine Hälfte der Teilnehmenden bekam zu jedem Auto nur 4 Eigenschaften genannt, die andere Hälfte bekam mit 12 Eigenschaften pro Auto eine deutliche komplexere Aufgabe. Nachdem die Teilnehmenden alle Informationen gelesen hatten, wurden die zwei Gruppen nochmals unterteilt:

Die einen bekamen, nachdem sie die Informationen gelesen hatten, Zeit um darüber nachzudenken, welches das beste Auto ist. Sie konnten dann eine bewusste Entscheidung treffen. Die anderen wurden in dieser Zeit abgelenkt, sodass sie nicht über die Autos nachdenken konnten. Danach mussten sie eine spontan – also intuitiv – entscheiden, welches Auto am besten ist.

In der komplexen Entscheidung (Autos mit 12 Eigenschaften miteinander vergleichen) schnitten die intuitiv getroffenen Urteile deutlich besser ab: Über 50 % entschieden sich hier tatsächlich für das beste Auto, im Gegensatz zu rund 20 % bei den bewusst getroffenen Urteilen.

Weitere wissenschaftlich fundierte Informationen zur Neuropsychologie von Entscheidungen und Intuition finden Sie hier.

Was Sie brauchen, um Ihre Intuition zu nutzen

Erfahrung ist also notwendig, um Ihre Intuition zu nutzen: Wenn Sie gar keine Ahnung haben, funktioniert Ihre Intuition nach dem Zufallsprinzip.

Allerdings ist nicht unbedingt Erfahrung im Sinn von Fachwissen oder Expertise zu einem bestimmten Thema notwendig. Es ist durchaus möglich, Erfahrungswissen aus einem Bereich, in einen anderen Bereich zu übertragen, also z.B. Ihre Erfahrung bei der Organisation eines Events in einem Verein auf die Planung eines Messeauftritts Ihres Unternehmens, oder die Erfahrung beim Umgang mit schwierigen Mitarbeitenden auf den Umgang mit schwierigen Kunden oder Kundinnen.

Eine weitere Voraussetzung, um Ihre Intuition zu nutzen, sind genügend Informationen. Dazu gehört auch ein ein klares Bild von der ausstehenden Entscheidung und den möglichen Handlungsalternativen. Nur dann können Sie bisherige Erfahrungen nutzen, um auf deren Basis intuitiv zu entscheiden, ob eine Entscheidungsalternative gut und richtig ist.

Intuitive Entscheidungen folgen dem Schema gut oder schlecht, ja oder nein. Letztlich können Sie Ihrer Intuition also nur eine mögliche Entscheidungsalternative „vorstellen“ und dann prüfen, ob diese Alternative sich gut anfühlt oder nicht. Bevor Sie Ihre Intuition nutzen können, brauchen Sie also eine klare Vorstellung davon, welche Rahmenbedingungen gelten, welche Konsequenzen eine Entscheidung hat und wie konkret die Entscheidung aussieht. Erst dann kann Ihre Intuition einen Abgleich mit bisherigen Erfahrungen machen und Sie können entscheiden, ob sich etwas gut anfühlt oder nicht.

Die somatischen Marker wahrzunehmen, die Ihnen signalisieren, ob eine Entscheidungsalternative gut oder schlecht ist, erfordert etwas Übung. Ein Trick: Täuschen Sie Ihrem Gehirn vor, Sie hätten die Entscheidung schon getroffen, dann wird die emotionale Reaktion stärker. Dazu stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Sie die Entscheidung schon getroffen hätten. Sie benötigen ein möglichst konkretes und lebhaftes Bild im Kopf: Wie sieht es aus, wenn Sie die Entscheidung getroffen haben? Was ist um Sie herum? Was tun Sie? Welche Kleidung tragen Sie? Welche Menschen sind da? Je konkreter Ihre Vorstellung, desto besser. Dann nehmen Sie genau war, wie sich diese (imaginäre) Situation anfühlt. Nehmen Sie einen Stein im Bauch war, oder eine Last auf Ihren Schultern? Fällt Ihnen das Atmen schwer? Oder fühlen Sie sich beschwingt, gehen aufrecht? Wirkt alles um Sie hell und freundlich?

Wo Ihre Intuition Sie in die Irre führt.

Es kann sinnvoll sein, die eigene Intuition für unternehmerische Entscheidungen zu nutzen. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von psychologischen Prozessen, die Urteile verzerren können und deshalb die Qualität Ihrer Entscheidungen negativ beeinflussen können.

  • Reduktion von kognitiver Dissonanz. Wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben, dann blenden Sie Informationen aus, die Ihre Entscheidung in Frage stellen könnten. Damit reduzieren Sie kognitive Dissonanz, also den unangenehmen Gefühlszustand, der entsteht, wenn Meinungen (Das neue Auto ist eigentlich zu teuer für mich) und Verhalten (Ich habe es aber trotzdem gekauft) widersprüchlich sind. Dann achten Sie verstärkt auf Informationen, die bestätigen, dass Sie eine gute und richtige Entscheidung getroffen haben. Informationen, die Ihre Entscheidung in Frage stellen könnten, werden ausgeblendet. Deshalb sollten Sie bewusst erst dann eine Entscheidung treffen, wenn die Suche und Bewertung notwendiger Informationen für die Entscheidung abgeschlossen ist. Nachdem Sie die Entscheidung getroffen haben, nehmen Sie Informationen nämlich in anderem Licht wahr.
  • Kognitive Verzerrungen: Das Gehirn ist extrem gut darin, Muster in unserer Wahrnehmung und unseren Erfahrungen zu suchen. Leider ist es sogar zu gut. Es findet ständig Zusammenhänge, wo keine sind (Schon zum fünften Mal bei Vollmond schlecht geschlafen. Es muss am Vollmond liegen. Die 20 Vollmonde ohne Schlafprobleme werden ignoriert). Vor diesen Verzerrungen können Sie sich schützen, indem Sie Daten erheben und statistisch auswerten. Diese objektiven Auswertungen bilden dann eine gute Grundlage für intuitive Entscheidungen. Außerdem hilft es, die Meinung und Sichtweise anderer Personen einzuholen, die von der Entscheidung nicht oder nicht direkt betroffen sind. Das kann kognitive Verzerrungen abmildern.
  • Gruppenzwang: Mit dem Stichwort Groupthink wird in der Psychologie die Tatsache beschrieben, dass Gruppen oft wider besseren Wissens einzelner ExpertInnen (die Mitglied der Gruppe sind) eine schlechte oder falsche Entscheidung treffen. Insbesondere, wenn unter Zeitdruck entschieden werden muss, werden kritische Meinungen und Gegenstimmen oft nicht genügend berücksichtigt. Es entsteht in der Gruppe die Überzeugung, unfehlbar zu sein, abweichende Meinungen werden nicht gehört und Widersprüche ignoriert. Wenn Sie dieses Phänomen kennen und sich seiner Wirkung bewusst sind, haben Sie schon einen wichtigen Schritt getan. Außerdem ist es hilfreich, im Team klare Regeln zu vereinbaren, z.B. dass auch abweichende Meinungen gehört werden und eine Gesprächskultur etabliert wird, die Widersprüche nicht ausblendet sondern genau wahrnimmt.

So nutzen Sie Ihre Intuition

Wenn Sie sich an die folgenden Punkte halten, können Sie Ihre Intuition optimal für unternehmerische Entscheidungen nutzen:

  • Trennen Sie die Entscheidungsgrundlage vom eigentlichen Treffen der Entscheidung: Sammeln Sie zuerst möglichst viele Informationen und Daten, um die Entscheidungsgrundlage zu bilden. Damit vermeiden Sie, dass kognitive Verzerrungen Ihre Intuition überlagern und Sie wesentliche Argumente übersehen und ausblenden.
  • Machen Sie sich klar, dass Ihre Intuition nur zwischen gut und schlecht unterscheidet. Bevor Sie Ihre Intuition nutzen können, müssen Sie mögliche Entscheidungs-Alternativen durchdenken und konkretisieren. Je klarer und genauer Ihre Vorstellung von den möglichen Alternativen ist, desto besser können Sie entscheiden.
  • Akzeptieren Sie die Grenzen Ihrer Intuition. Insbesondere, wenn weitere Informationen und Fakten (ggf. auch nachdem Sie sich entschieden haben) gegen Ihre Intuition sprechen, sollten Sie neue Aspekte berücksichtigen und Ihre Entscheidung überdenken. Und: Eine intuitive Entscheidung ist kein Ersatz für eine gründliche Planung und sorgfältige Umsetzung der Entscheidung.
  • Nutzen Sie Ihre Intuition bewusst. Das hört sich auf den ersten Blick paradox an. Gemeint ist aber, dass die eigene Intuition nicht automatisch funktioniert. Eine intuitive Entscheidung wird nicht “einfach so“ getroffen und ist keine Strategie, um mangelnde Vorbereitung, fehlende Planung oder ungenügende betriebswirtschaftliches Know-How wettzumachen. Vielmehr sollten Sie Ihre Intuition als Strategie für Entscheidungen nutzen.
  • Überprüfen Sie den Erfolg Ihrer Entscheidung. Wie auch bei anderen unternehmerischen Entscheidungen sollten Sie rückwirkend im Auge behalten, ob Ihre Entscheidungen gut oder richtig waren. Damit entwickeln Sie Ihr Erfahrungswissen weiter und können bei späteren Entscheidungen davon profitieren.  Analysieren Sie außerdem, welche Gründe zu einer schlechten Entscheidung geführt haben könnten.

Zur Person
Johannes Moskaliuk forscht er an der Universität Tübingen und lehrt an der EBC Hochschule in Düsseldorf mit einem Schwerpunkt auf Personalpsychologie. Als Business-Coach berät er Führungskräfte.

Foto: Image of businesswoman balancing with items in palms from Shutterstock