#Gastbeitrag

Venture Debt statt Venture Capital: Immer mehr Startups setzen auf Fremdkapital

Die Bewertungen sind in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Eigenkapital war relativ frei verfügbar. Diese Zeiten sind vorbei: Kapital hat wieder seinen Preis. Unternehmen müssen sich genau überlegen vorher sie Kapital beziehen. Ein Gastbeitrag von Olya Klueppel.
Venture Debt statt Venture Capital: Immer mehr Startups setzen auf Fremdkapital
Montag, 22. Mai 2023VonTeam

Sinkende Bewertungen und vorsichtigere Investoren: Das Finanzierungsumfeld für Technologieunternehmen hat sich im letzten Jahr dramatisch verändert. Die Zeiten von “Easy Money” und Wachstum um jeden Preis sind vorerst vorbei. Vor diesem Hintergrund setzen Unternehmen trotz steigender Zinsen verstärkt auf Kreditfinanzierung, inklusive Venture Debt. Für welche Unternehmen ist die Finanzierungsart sinnvoll? Was sollten sie bei der Auswahl des richtigen Kreditgebers beachten? Und wie entwickelt sich der Markt? Eine Analyse von GP Bullhound.

Fremdkapital: Warum und für wen?

Klassische Eigenkapitalfinanzierungen wie Angel-Investments, Venture Capital oder Growth Equity gehen mit Gegenleistungen einher: Investoren erhalten Unternehmensanteile und ein Mitspracherecht bei Geschäftsentscheidungen. Eigenkapital wird in der Regel zur Finanzierung von Unternehmen in der Frühphase verwendet und ist risikobehaftet – die Eigenkapitalgeber können die gesamte Investition verlieren. Fremdkapital wird hingegen in einem späteren Reifestadium relevant. Fremdfinanzierte Kredite kosten keine Anteile und stehen häufig schneller zur Verfügung. Der Fokus der Due Diligence liegt hier vor allem auf der Stabilität des Cashflows sowie auf dem Wert des Unternehmens und der Assets. Typisches Fremdkapital besteht aus einem Kredit samt Rückzahlungskonditionen, wie etwa Zinsen. Kreditgeber verlangen in der Regel gewisse Sicherheiten, um das Kreditrisiko zu minimieren. Unternehmen, die Fremdkapital aufnehmen wollen, sollten bereits über eine solide Eigenkapitalbasis verfügen. Sie müssen in der Lage sein, den Kredit und die Zinsen in absehbarer Zeit zurückzuzahlen oder glaubwürdig zu refinanzieren. Fremdkapital ist somit vor allem ein Instrument für Start-Ups in der späten Wachstumsphase und Scale-Ups. In der Seed-Phase verfügen Unternehmen in der Regel noch nicht über ausreichend Einnahmen und ein tragfähiges Geschäftsmodell, um Fremdkapital zu erhalten. 

Fremdkapital auf dem Vormarsch
GP Bullhound hat im neuen Credit it Report 2023 den europäischen Markt für Kreditfinanzierungen analysiert. Europäische Tech-Unternehmen haben demnach 2022 über 30 Mrd. Euro Fremdkapital aufgenommen – eine Verdopplung des Volumens gegenüber dem Vorjahr. Fremdkapital macht damit 30 Prozent des aufgenommenen Wagniskapitals von Tech-Unternehmen aus – in den letzten fünf Jahren lag dieser Anteil im Schnitt bei lediglich 10 bis 15 Prozent. 

Für das starke Wachstum dieses Marktes gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist es für Unternehmen deutlich schwieriger geworden, Eigenkapital zu beschaffen. Besonders in wirtschaftlich volatilen Zeiten wie diesen haben sie aber auch ein Interesse daran, Kapital aufzunehmen, ohne dass damit eine neue Bewertung oder ein Wechsel in der Eigentümerstruktur einhergeht. Die Fremdkapitalkosten sind hier leichter zu kalkulieren. Außerdem nutzen einige Technologieunternehmen sinkende Bewertungen für M&A-Aktivitäten – etwa um in neue Märkte zu expandieren oder neue Produkte zu entwickeln. Diese werden häufig durch eine Kombination aus Eigen- und Fremdkapital finanziert. Zu guter Letzt steigt auch die Zahl der Unternehmen, für die diese Finanzierungsart relevant ist: Es gibt in Europa circa 3.000 Unternehmen, die mit mehr als 100 Mio. Euro bewertet sind.

Auch auf Seiten der Kreditgeber haben sich die Bedingungen verbessert. Sie nehmen sich heute in der Regel mehr Zeit für die Erstellung der Termsheets und führen eine detaillierte Due-Diligence-Prüfung durch, um die Grundlagen der Unternehmen zu verstehen. Auch die Preisgestaltung spiegelt heute Risiko- und Renditeparameter meist besser wider. Die wichtigsten Kreditanbieter für Tech-Unternehmen in Europa sind mit über 50 Prozent Marktanteil nach wie vor Banken. Die durchschnittliche Transaktionsgröße von Banken lag im letzten Jahr bei 60 Mio. Euro und damit doppelt so hoch wie die von Kreditfonds. Der Ausfall der Silicon Valley Bank, einer der größten Anbieterinnen von Venture Debt, ist in unseren Augen kein Dämpfer für das Geschäftsmodell.

Den passenden Kreditgeber finden

Obwohl der Kreditgeber keine Anteile erwirbt, gehen die Geschäftspartner dennoch eine mittel- bis langfristige Beziehung ein. Bei der Suche nach Fremdkapitalgebern sollten Unternehmen folgende Tipps beachten: 

Viele Anbieter vergleichen
Unternehmen sollten die Konditionen verschiedener Fremdkapitalgeber vergleichen. Natürlich spielen hierbei die Finanzierungskosten eine wichtige Rolle. Aber auch Flexibilität und mögliche Einschränkung sind wichtige Kriterien. Außerdem muss sichergestellt werden, dass das Kapital auch verfügbar ist, wenn das Unternehmen es braucht. Diese Faktoren haben oft einen größeren Einfluss auf die Zukunft des Unternehmens als der Zinssatz. Es gibt sehr viele verschiedene Anbieter auf dem Markt – von Banken, Kreditfonds über Fintechs bis hin zu Versicherungen. Deren Konditionen und Anforderungen unterscheiden sich mitunter erheblich, etwa im Hinblick auf Preisgestaltung, sowie Inanspruchnahme- und Rückzahlungsmodalitäten.

Genaues Finanzmodell aufstellen
Dass Unternehmer sich mit ihrem anvisierten Markt, dem Finanzmodell und den Performance-KPIs bestens auskennen sollten, versteht sich von selbst. Fremdikapitalgeber haben jedoch mitunter noch spezifischere Anforderungen als VC-Investoren. In der Regel konzentrieren sie sich deutlich stärker auf spezifische Daten (wie die Quantifizierung von Vermögenswerten), während für Eigenkapitalgeber andere Kennzahlen relevanter sind (etwa die Größe des adressierbaren Marktes).Insbesondere die Bedingungen für Kredite und Anleihen, Zinszahlungen und Tilgung müssen genau detailliert werden. 

Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital festlegen
Die ideale Aufteilung zwischen Eigen- und Fremdkapital hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören insbesondere das Geschäftsmodell, der Entwicklungsstand des Unternehmens, die Stabilität der Einnahmen und des Cash Flows, die Kostenstruktur sowie die realisierbaren Assets. Unternehmen müssen sich detailliert damit auseinandersetzen und das gewünschte Verhältnis festlegen.

Sich eingehend mit dem Thema Fremdkapital beschäftigen
Viele Unternehmen sind stark auf die Beschaffung von Eigenkapital fokussiert und übersehen dabei die Möglichkeiten der Kreditfinanzierung. Aber: Dies ist kein Thema für nebenbei. Unternehmen sollten sich intensiv damit beschäftigen und bestenfalls einen Experten oder Debt-Berater damit beauftragen.

Die Bewertungen sind in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Eigenkapital war damit im Grunde relativ frei verfügbar. Diese Ausnahmezeiten sind fürs Erste vorbei: Kapital hat wieder seinen Preis. Unternehmen müssen sich nun wieder genau überlegen, aus welchen Quellen sie Kapital beziehen – auf der Grundlage von Kosten, Flexibilität, dem eigenen Wachstumsprofil und weiteren Faktoren.   

Für Tech-Unternehmen hat Fremdkapital als Finanzierungsquelle damit im letzten Jahr noch einmal deutlich an Bedeutung gewonnen und hat die Lücke gefüllt, die durch den Rückgang von Venture Capital entstanden ist. Auch das Angebotsspektrum hat sich erweitert. Das liegt auch daran, dass Zahlungsausfälle von Software- und Technologieunternehmen seltener waren als vorausgesagt. Wir erwarten, dass Fremdkapital auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. 

Über die Autorin
Olya Klueppel ist Partner und Head of Credit bei GP Bullhound.

Startup-Jobs: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung? In der unserer Jobbörse findet Ihr Stellenanzeigen von Startups und Unternehmen.

Foto (oben): Shutterstock