#Gastbeitrag

Wie ticken eigentlich VC-Investoren?

Während in Deutschland circa 8.000 Startups aktiv um Geldgeber buhlen, sind die Venture Capital-Finanzierungen im letzten Jahr um fast 50 % geschrumpft. Was bedeutet das für GründerInnen, die gerade auf Geldsuche sind? Ein Gastbeitrag von Moritz Grumbach.
Wie ticken eigentlich VC-Investoren?
Montag, 1. Mai 2023VonTeam

Was in der Startup-Szene bereits viele spüren, hat das kürzlich vom Startup Verband herausgebrachte Dashboard zur “Startup-Nation Deutschland” noch einmal schwarz auf weiß gezeigt: während in Deutschland nach wie vor circa 8.000 Startups aktiv um fremde Geldgeber buhlen, sind die entsprechenden Venture Capital-Finanzierungen im letzten Jahr um fast 50 % geschrumpft

Manche prominenten Köpfe wie Florian Heinemann sprechen angesichts dieses dramatischen Funding-Rückgangs bereits vom Ende der “Dauerparty”. Andere wiederum betonen, dass immer noch sehr viel Geld im Markt vorhanden sei. Wie also passt dies zusammen, und was bedeutet das für GründerInnen, die gerade auf Geldsuche sind? 

Um mehr Licht ins Dunkel zu bringen, lohnt es sich, anhand der wichtigsten Begriff des Venture Capital einen Blick auf die Struktur der Branche zu werfen und die damit verbundenen Zusammenhänge näher zu erläutern.

Wie ist Venture Capital entstanden?

Die Geschichte des Venture Capital reicht zurück bis ins frühe 18. Jahrhundert, wo sogenannte Gilden, also Zusammenschlüsse reicher Kaufleute hochriskante Schiffsexpeditionen finanzierten, die gleichzeitig große Beute, z.B. in Form von Gold, Tabak oder Walfischfleisch versprachen. Es ging also bereits damals darum, sich zum Zwecke der Risikoverminderung mit anderen Geldgebern zusammen zu tun, um – möglichst als Erste – Projekte mit unbekanntem Ausgang, aber enorm hohen Renditemöglichkeiten zu ermöglichen.

Ähnliches passierte dann während der Verbreitung von Dampfmaschine und Eisenbahn sowie der Entdeckung der Elektrizität im 19. Jahrhundert. Auch die fortschreitende pharmazeutische Forschung Anfang des 20. Jahrhunderts und natürlich der Beginn des Computerzeitalters ab Mitte der 60er Jahre markierten Hochzeiten des Venture Capital. Und ja, auch viele der Kriege des letzten Jahrhunderts wurden durch entsprechende Geldgeber finanziert.

Wie funktioniert ein VC?

Nach dem zweiten Weltkrieg entstand dabei die rechtliche Grundstruktur, auf der die meisten heutigen VCs immer noch aufbauen. In Form einer sogenannten Limited Liability Partnership (LLP), die einer deutschen Kommanditgesellschaft ähnelt, trommelt ein Vermögensverwalter, der sogenannte General Partner (GP) reiche Privatpersonen (HNWIs), aber auch Pensionsfonds, Investmentgesellschaften und andere institutionelle Investoren zusammen, die als Limited Partner (LP) eine individuelle Geldmenge in einen zweckgebundenen Fonds (engl. Fund) legen. Das Wort „Limited“ bedeutet dabei, dass die Limited Partner, also die Geldgeber nur in Höhe ihrer Einlage für Verluste haften und so weitergehende Risiken vermeiden können. Gleichzeitig wird aber auch vom General Partner, also dem aktiven Fonds- und Investment-Manager verlangt, dass er eigene Gelder in den Fund gibt, um nicht allzu sorglos schlechte Entscheidungen zu treffen (man spricht auch vom „Skin in the Game“). Innerhalb einer festen Fonds-Laufzeit, der Fund Duration, müssen dann diese Gelder in vielversprechende Ventures gesteckt werden, um am Ende der Laufzeit, in der Regel fünf bis acht Jahre, entsprechende Renditen zu erzielen. Letztere werden, vereinfacht gesagt, nach einem bestimmten Schlüssel und einer Mindestverzinsung (der sog. Hurdle Rate) an die Limited Partner ausgezahlt, wobei der General Partner neben seiner Management Fee für die reine Fonds-Verwaltung auch eine Erfolgsbeteiligung (Carry) an der erwirtschafteten Überrendite erhält.

Herausforderungen für Venture Capital Gesellschaften

Was sich hier auf den ersten Blick anhört wie ein Traumjob aus „Wolf of Wall Street“, ist in der Realität mit vielen Tücken und Komplikationen verbunden. Ein paar dieser Herausforderungen für VC-Finanzierer seien im Folgenden genannt.

  • Auch wenn es sich für manchen Gründer vielleicht ironisch anhört: Auch VCs buhlen um Startups. Hat ein VC zu wenig Bekanntheit oder Renommé (Track Record), landen in seinem Tagesgeschäft (Deal Flow) möglicherweise zu wenige oder zu schlechte Investment-Präsentationen (Pitchdecks), was zu geringerer Deal-Anzahl und damit zu einer niedrigen Rendite führt.
  • Startup-Finanzierungen sind extrem wagnisbehaftet, was ein einfaches Rechenbeispiel zeigt: Selbst wenn ein Startup in fünf Bewertungskategorien (z.B. Produkt, Team, Marktgröße etc.) über eine gute Erfolgswahrscheinlichkeit von jeweils 80% verfügt, kumuliert sich dies in der Potenz zu einer Überlebenschance von knapp 33%. Für den Fonds bedeutet dies, dass er nur dann investieren kann, wenn das sogenannte Upside, also die „Chancen nach oben“ mindestens eine Versechsfachung seines Investments erlauben.
  • Nicht investierte Gelder erwirtschaften für einen VC keine Renditen, was mit fortschreitender Laufzeit des Fonds zum Problem wird. Auf der anderen Seite helfen auch keine verfrühten Investments in mittelmäßige Zielunternehmen (Targets). Zudem muss noch genug un-investiertes Geld (Dry Powder) im Fonds vorhanden sein, um seinen Portfolio Startups helfen zu können, wenn diese in eine Krise geraten sind.
  • Auch wenn VCs für Ihr Investment einen größtmöglichen Anteil (Share) an einem Startup erhalten möchten, müssen sie darauf achten, dass den Gründern genügend Anteile bleiben, um für den weiteren Marathon motiviert zu bleiben. Gerade bei späteren Finanzierungsrunden springen weitere Investoren oft ab, wenn die sogenannte Verwässerung (Dilution) der Gründeranteile aus früheren Runden zu groß ist. Dies gefährdet auch den Investment-Erfolg früher eingestiegener VCs.
  • Je später ein Fonds in der Laufzeit fortgeschritten ist, desto komplexer werden die Investment-Entscheidungen. Hat ein Fonds zumindest seine erwartete Durchschnittsrendite erwirtschaftet, wird man aussichtsreichen, aber risikobehafteten Entscheidungen immer zurückhaltender gegenüberstehen, um die Gesamtrendite nicht zu gefährden. Auch wenn ein Exit eines möglichen Investment-Kandidaten in fünf Jahren möglich erscheint, die Restlaufzeit des Fonds aber nur noch zwei Jahre beträgt, wird man von einem Investment absehen. Damit spielt das Gründungsjahr (Vintage Year) eines Fonds eine oft unbekannte, aber weitreichende Rolle.

Schließlich haben sich während der letzten Jahre auch grundlegende Annahmen innerhalb der Venture Capital Branche geändert. Manche Hype-Sektoren wie FinTech oder PropTech haben nicht immer gehalten, was sie versprachen oder brauch(t)en eben mehrere Anläufe bis zur endgültigen Etablierung. Andere favorisierten Märkte wie z.B. LegalTech in Verbindung mit der Blockchain oder das heißersehnte Geschäft mit legalisiertem Cannabis, warten – zumindest in Deutschland – immer noch auf die bis dato ausbleibende Regelung vom Staat.

Nicht zuletzt überholt die jüngste „Explosion“ der Fähigkeiten Künstlicher Intelligenz in vielen Feldern das, was noch vor wenigen Jahren selbst als bahnbrechende Innovation galt. Versprachen viele Startups, bestimmte Anbieter oder Märkte zu „disruptieren“, so werden sie womöglich in einigen Jahren selbst durch KI überflüssig gemacht werden, und dies möglicherweise branchenübergreifend.

Konsequenzen für geldsuchende Startups

Für geldsuchende GründerInnen muss dies jedoch nicht das Ende aller Hoffnungen bedeuten. Auch in 2023 werden VCs hierzulande eine Menge Startups finanzieren. Kürzliche Finanzierungsrunden wie bei Parloa oder Nyris zeigen, dass hier auch Tickets über 10 bzw. 20 Millionen EUR möglich sind. Jedoch lohnt es sich, beim aktuellen Fundraising ein paar grundlegende Dinge miteinzubeziehen.

  • In der Regel schafft nur ein Startup von zehn einen Exit, was auch bedeutet, dass die jeweiligen Investments der VCs mit einem Totalverlust enden. Dies hat zur Folge, dass – zumindest rein rechnerisch – der Gewinn aus dem Verkauf eines Startups die Verluste aus neun weiteren Portfolios-Companies querfinanzieren muss.
  • Damit wird die maximalmögliche Bewertung eines Startups, die sich – verkürzt ausgesprochen – aus der gesamten Marktgröße (Total Market Size) sowie dem größtmöglichen innerhalb der Fonds-Laufzeit zu erreichenden Marktanteil ergibt, zum entscheidenden Faktor. Nicht „Think Big“, sondern „Make Big“ ist hier das Stichwort.
  • Zusätzlich zur Marktgröße wird heute – siehe Beispiel Gorillas – auch vermehrt ein Blick auf Deckungsbeiträge und Profitabilitätsfragen geworfen. Die Finanzierung rein marktanteil-basierender Startups scheint, zumindest in klassischen Startup-Segmenten erst einmal vorbei.
  • Spürbar zurückgegangen ist die Risikobereitschaft der meisten VCs bei der Finanzierung in frühen Phasen (sog. Seed-Financing). Während es früher oft darum ging, „der Erste“ zu sein, steht heute viel mehr die Frage im Raum, ob und wie man Startups „durchfinanzieren“ kann, und ob sie – Stickwort KI – nicht selbst am Ende von der Geschichte eingeholt werden. Damit rücken entsprechende Finanzierungen nun oft nach weiter hinten, dafür aber mit höheren Einzelbeträgen (Ticket Size).

Für GründerInnen stellt sich damit die Frage, wie diese Verschiebung „nach hinten“ durch andere Quellen wie Förderdarlehen oder aus eigener Kraft (dem sog. Bootstrapping) aufgefangen werden können. Oder, ob sie nicht sogar ihr Geld möglichst früh da abholen, wo es am Ende auch für den VC entstehen muss – nämlich beim Kunden.

Stimmt’s? (Vor-)urteile gegenüber VCs im Faktencheck

VCs investieren nur nach einem Intro aus Ihrem Netzwerk

Teilweise wahr. Dabei geht es allerdings weniger darum, dass man nur „Freunde von Freunden“ finanziert, sondern um den Nachweis, dass Gründerteams bereits ein eigenes Netzwerk aufbauen und fremde Dritte von ihrer Idee haben begeistern können.

VCs unterschreiben keine Geheimhaltungsvereinbarung

Richtig. Dies liegt am nachvollziehbaren Grund, den bürokratischen Aufwand im Deal Flow Prozess zu minimieren und sich weiterhin Investments in Geschäftsmodelle vorzubehalten, die denen bereits abgewiesener Proposals ähnlich sind. Wer sich hier nicht lächerlich machen will, akzeptiert diese Regel und schickt dementsprechend auch kein einseitig unterschriebenes NDA an einen Investor.

VCs schwimmen im Geld

Jein. Tatsache ist, dass das gesamte verfügbare Investmentkapital im VC-Sektor zugenommen hat. Wichtig ist dabei aber zu verstehen, dass das Geld zum größtenteil nicht dem VC gehört, sondern Dritten, die mit ihrem Investment eine Rendite erwarten, welche klar über der klassischer Anlageformen wie z.B. Aktien oder Anleihen liegt. Daher bedeutet „viel Kapital am Markt“ weder mehr Investments, noch niedrigere Hürden, um an Geld zu kommen. Vielmehr ist es Ausdruck davon, dass VCs deutlich kritischer gegenüber möglichen Targets geworden sind, und ihr „Pulver“ entsprechend „trocken“ halten.

VCs sind zurückhaltender geworden.

Das stimmt. Gerade in der frühen (Pre-)Seed-Phase sowie vor allem bei Later-Stage Finanzierungen hat die Anzahl und Gesamtsumme der Investments über die letzen Jahre abgenommen. Der Trend geht zu wenigen und späteren, dafür höheren Series-A Finanzierungen. Ein Grund dafür ist die gestiegene wirtschaftliche Unsicherheit, z.B. auf Grund des Ukraine-Krieges und der anhalten Inflation, ein anderer, dass VCs heute lieber in weniger Startups investieren, diese aber in Krisenzeiten besser (nach-)finanzieren können.

VCs investieren vor allem in Teams

Jein. Tatsächlich spielt das Team im Auswahlprozess eine entscheidende Rolle: Visionen können nur dann Erfolg haben, wenn sie auch operativ exzellent und mit entsprechendem Durchhaltevermögen umgesetzt werden. In erster Linie investieren VCs jedoch in Wettbewerbsvorteile innerhalb vielversprechender (und ausreichend großer) Industrien. Mit einer halbgaren Idee wird hier auch ein gutes Team wenig Chancen auf ein Investment haben.

Über den Autor
Moritz Grumbach ist Gründer der Unternehmen Gastrozentrale und TraceMedics. Er ist als Autor und Lehrbeauftragter im Bereich Startup-Entrepreneurship tätig und coacht unter der Marke DeinStartup.Coach Startup-GründerInnen beim Aufbau Ihrer Firma.

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Foto (oben): Shutterstock