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Brillamo: Heldin des Tages – mit unaufgeregter Kompetenz statt visionärem Posertum

Die Zeit der Poser ohne wirkliche Substanz ist längst abgelaufen, und doch scheint dieser Typus nicht auszusterben. Vielleicht fehlt es schlicht an gegenteiligen Vorbildern? Linda Koller, die Gründerin von Brillamo, wäre definitiv ein solches Vorbild.
Brillamo: Heldin des Tages – mit unaufgeregter Kompetenz statt visionärem Posertum
Mittwoch, 26. April 2023VonRuth Cremer

Man kennst sie zur Genüge – die überselbstbewussten, visionären, manchmal leicht hyperaktiv wirkenden GründerInnen, die von großartigen Plänen erzählen, ihr Storytelling bis in den letzten Punkt optimiert haben – aber dann eben auch sehr selbstbewusste Bewertungen von Investoren fordern. Doch an diesen Montag zeigte uns Linda Koller von Brillamo, dass man Investoren auch auf eine völlig andere Art ins Schwärmen geraten lassen kann – und wurde mit Superlativen überhäuft. Ist das der neue GründerInnen-Typus, der zum Vorbild werden kann?

Auf dem Investment-Markt für Startups erleben wir zur Zeit eine der größten Diskrepanzen, die es wahrscheinlich je gegeben hat: Auf der einen Seite sind da die Investoren, die zunehmend vorsichtiger werden, kleinere Investments machen und vor allem viel fokussierter auf sinnvolle Geschäftsmodelle werden. Solide Zahlen haben bei Ihnen die Kunst des Storytellings längst in die zweite oder dritte Reihe verbannt. Doch auf der anderen Seite scheint das eine große Anzahl von GründerInnen noch nicht mitbekommen zu haben. Hier wird oft noch am Storytelling geschliffen, was das Zeug hält, dafür beschränkt sich dann so manche “Geschäftsmodell”-Folie im Pitch auf das reine Pricing.

In der Folge finden viele Runden, die noch vor 2,3 Jahren locker ein paar Millionen zu Bewertungen von 10 Millionen und mehr eingesammelt hätten, einfach nicht mehr statt. Doch warum wollen viele Startups immer noch lieber “die große Vision” verkaufen, statt aufzuzeigen, wie sie in absehbarer Zukunft Geld verdienen können? Warum wehren sich viele GründerInnen so vehement dagegen, mit der Zeit zu gehen und dem neuen Wind, der in Branche weht, Rechnung zu tragen?

Natürlich kann man darüber endlos spekulieren. Aber ein Einflussfaktor werden auch die Arten von Persönlichkeiten sein, die die Szene in den letzten Jahren angezogen hat. Und eine solche Diskussion wird nicht ohne die berühmt-berüchtigte “Bro-Culture” auskommen, die sich sowohl auf GründerInnen- als auch auf VC-Seite teilweise erschreckend breitgemacht hat. Hierin wurden möglichst hohe Bewertungen oft irrational stark gefeiert – schließlich sind diese oft mit ebenso ambitionierten Meilensteinen verknüpft, deren verfehlen schnell zur Downround oder sogar  zum kompletten Aus des Unternehmens führen kann. Doch das schien egal, denn hatte man nur den richtigen Hype erwischt, würde sich schon der nächste Investor finden, der mit einer noch höheren Bewertung das Ego von GründerInnen und Bestands-Investoren weiter pushte – auch wenn die Kennzahlen des Unternehmens eine völlig andere Sprache sprachen. Wo das Enden kann, haben uns in den letzten Monaten so einige ehemalige Hype-Startups mehr als deutlich gezeigt.

Doch sind diese stark patriarchalisch geprägten – und im Übrigen auch immer häufiger von Gründerinnen praktizierten Verhaltensweisen – wirklich noch zeitgemäß? Denn abgesehen von den stark veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben in den letzten Jahren ohnehin viele VCs verstanden, dass harte fachliche – vor allem aber auch passende technische – Qualifikationen bei ihren eigenen Mitarbeitern essentiell für ihren eigenen Erfolg sind.

Die Zeit der Poser, Blender und großen Storyteller ohne wirkliche Substanz scheint also längst abgelaufen, und doch scheint dieser Typus von zumindest einem sehr großen Teil der GründerInnen immer noch vertreten zu werden.

Vielleicht fehlt es schlicht an gegenteiligen Vorbildern, die die Prägung der Szene nachhaltig verändern können?

Linda von Brillamo, die in der 4. Folge der 13. Staffel von “Die Höhle der Löwen” auftrat, wäre definitiv ein solches Vorbild. Sie präsentierte den Löwen ihre Polierhilfe für Wein- und Biergläser, die endlich Schluss machen soll mit lästigem und umständlichem Polieren, bei dem die Gläser auch noch leicht kaputt gehen können.

Unaufgeregt, sachlich und ohne jeden Anflug von Arroganz erzählte sie ihre Geschichte, wie sie den Bedarf selbst hatte, keine Lösung gefunden hat und somit sich selbst an die Entwicklung machte. Wie ihre ersten Versuche scheiterten, sie nicht aufgab, ihr Erspartes aufbrachte, schließlich sogar ihren guten Job in der Automobilbrache aufgab, um Brillamo weiter nach vorn zu bringen. Und bis zu ihrem Pitch vor den Löwen alles allein machte.

Die Löwen waren schon bei ihrer Vorführung vom Produkt begeistert und noch mehr, als sie es selber ausprobieren durften. Auch bei den anschließenden Fragen konnte die One-Woman-Show Linda mehr als punkten: sie hatte auf alles eine Antwort und es wurde klar, dass sie den kompletten Überblick über ihr Unternehmen hatte. Sogar der etwas kritischeren Diskussion über ihren zu dieser Zeit noch recht hohen Endpreis hielt sie locker Stand. Zwar stieg Nils Glagau deswegen aus, aber sowohl Judith Williams und Janna Ensthaler als auch Dagmar Wöhrl sagten rein deswegen ab, weil sie sich in diesem Bereich nicht für die richtigen Investoren hielten. Dagmar Wöhrl deutete sogar an, dass sie die Verhandlung wieder aufnehmen würde, sollte der letzte verbliebene Löwe Ralf Dümmel nicht investieren wollen.

Doch der dachte gar nicht daran, die Gründerin ohne Deal wieder hinauszuschicken. Am Ende einigten die beiden sich auf 100.000 Euro Investment für 25% – und Investor wie Gründerin strahlten.

Noch im Nachgang bedachten alle anwesenden Löwen die ruhige Gründerin mit Superlativen – für Judith Williams war sie die Heldin des Abends, gerade auch wegen ihrer bondenständigen, unaufgeregten aber sehr kompetenten Art. Auch Janna Ensthaler ist tief beeindruckt und sehr berührt von dem ganzen Auftritt, da es sie an ihre eigene Gründungszeit erinnerte. Brillamo-Investor Ralf Dümmel findet Linda als Person auch einfach nur toll.

Ein wunderbares Beispiel, das zeigt, dass erfahrene Investoren eben wissen, worauf es bei GründerInnen ankommt: Kompetenz statt leere Posen, ein zielgerichtetes Mindset statt großer Visionen, die durch Storytelling überbordend ausgeschmückt werden.

Und das hat die Brillamo-Gründerin an diesem Abend mehr als verkörpert. Sie zeigt, dass Kompetenz nicht posen muss, dass Problemlöser auch ohne riesige Weltherrschafts-Vision für sich sprechen und dass volles Commitment kein bis ins letzte ausgefeiltes und emotional manipulatives Storytelling benötigt.

Wie sie in ihren Abschluss-Statement selbst sagte, ist es eben auch für GründerInnen wichtig, man selbst zu bleiben, nichts zu faken, um sich nicht irgendwann selbst zu verlieren.

Linda hat an diesem Abend jedenfalls nichts verloren, sondern viel gewonnen: einen begeisterten Investor, höchstwahrscheinlich viele neue Kunden und hoffentlich einen Vorbild-Status für einen neuen GründerInnen-Typus, der noch viel bewegen kann.

Tipp: Alles über die Vox-Gründershow gibt es in unserer großen DHDL-Rubrik.

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Foto (oben): RTL / Bernd-Michael Maurer

Ruth Cremer

Ruth Cremer ist Mathematikerin und als Beraterin, Coach und Speaker tätig. Außerdem ist sie Hochschuldozentin im Bereich Unternehmertum und eCommerce. Die ehemalige Investment-Managerin kennt die Szene in- und auswendig und hilft Startups insbesondere dabei, Pitches vorzubereiten und Investment- sowie Akquisitionsprozesse zu meistern. Ruth Cremer ist bereits seit der fünften Staffel als externe Beraterin für das Format „Die Höhle der Löwen“ tätig und unterstützt die Auswahl und Vorbereitung der Kandidaten. Mehr zu ihr auch unter www.ruthcremer.de.