#Gastbeitrag
Bodenständigkeit oder Internet-Raketen – was führt zum Erfolg?
Der Aufbau von Unternehmen, d. h. die Gründung und das Wachstum eines neuen Unternehmens, erfordert eine Kombination aus Ehrgeiz, Vision und Tatkraft. Die Welt der Startups war in den letzten Jahren geprägt von Schnelllebigkeit und Wettbewerb. Um jeden Preis musste Wachstum vorgelegt werden, die Investorengelder flossen, die Gehälter schossen im War for Talent in die Höhe. Es war leicht, sich von dem Hype, den vielseitigen Möglichkeiten mitreißen zu lassen. Und wo stehen wir heute? Einige wenige haben es geschafft. Plattform-Modelle kaufen sich gegenseitig auf, um profitabel zu werden, Startups ringen mit ihrem zu geringem Wachstum und müssen von heute auf morgen riesige Kündigungszahlen anmelden. Doch was passiert eigentlich im Startup-Markt abseits der medienstarken high-growth Unternehmen? Und was machen ihre Gründer:innen richtig?
Bereits im vergangenen Herbst waren die Investor:innen zurückhaltend. Die vielen Krisen und Unsicherheitsfaktoren wandeln die Herangehensweise an Startup-Investitionen. Anstatt sich ausschließlich auf das schnelle Potenzial für hohe Renditen zu konzentrieren, suchen viele Investor:innen – endlich (wieder) – nach Unternehmen, die sowohl finanziell erfolgreich als auch nachhaltig sind.Ein Grund für diesen Wandel ist die zunehmende Anerkennung der Notwendigkeit von Nachhaltigkeit und sozialer Wirkung in der Wirtschaft. Die Investor:innen – nicht nur im Startup-Bereich – sind sich der ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmen, in die sie investieren, zunehmend bewusst. Sie suchen nach Möglichkeiten, Unternehmen zu unterstützen, die einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft und Gesellschaft haben. Zusätzlich sehen wir die zunehmende Anerkennung des wirtschaftlichen Nutzens von Nachhaltigkeit. Unternehmen, die der Nachhaltigkeit in ihrer Geschäftstätigkeit Priorität einräumen, sind in der Regel effizienter und innovativer. Die Folge: Kosteneinsparungen und entscheidende Wettbewerbsvorteile. Zudem zeigen viele Studien bereits, dass klare Nachhaltigkeitsambitionen die Attraktivität eines Unternehmens für Mitarbeitende, Kund:innen und Investor:innen erhöhen und zum Aufbau eines positiven Markenimages beitragen.
Die nachhaltige Denkweise ist fast untrennbar verbunden mit einer Werteorientierung hinsichtlich Bodenständigkeit und Bescheidenheit, weil beides die Anerkennung von Grenzen und gegenseitiger Abhängigkeit beinhaltet. Gemeinsam können Nachhaltigkeit und Bescheidenheit eine Denkweise fördern, die langfristiges Denken, Zusammenarbeit und das Gemeinwohl über kurzfristigen Gewinn und Eigeninteresse stellt. Dies trägt dazu bei, eine gerechtere und nachhaltigere Welt für alle Menschen und für künftige Generationen zu schaffen. Und ist das nicht eigentlich die Definition von Unternehmertum, die wir für einen starken Innovationsstandort Deutschland brauchen? Wenn auch nicht unbedingt vor hunderten Jahren auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit geachtet wurde, haben deutsche Gründerfamilien die nachhaltigen Werte der Bodenständigkeit und Bescheidenheit geprägt. Und das hat dazu geführt, der deutschen Wirtschaft zu einem prosperierenden und nachhaltigem Wachstum zu verhelfen. In der Zwischenzeit haben wir geschlafen! Wir haben uns gerade im Startup-Bereich von schnellen Wachstumsinteressen und den möglichen kurzfristigen Gewinnen blenden lassen. Wir haben da, wo die Innovation am stärksten ist, noch viel zu wenig über nachhaltige Ansätze nachgedacht. Zum Glück wachen Großkonzerne und auch der Mittelstand mittlerweile auf. Nachhaltigkeitsstrategien werden neu gedacht, größere Investitionen in nachhaltige Geschäftsmodelle und Infrastruktur starten. Nutzen wir diese Entwicklung und vor allem auch den breiten Wissensaufbau und streichen bei negativen Marktentwicklungen nicht wieder als erstes bei Innovation und Nachhaltigkeit. Dann kann es uns gelingen, die nächste Generation an erfolgreichen und nachhaltigen Gründungen auf den Weg zu bringen.
Bescheidenheit und Bodenständigkeit sind beim Aufbau von Unternehmen absolut essenziell. Gründer:innen sollten beides können, um den Markt realistisch einschätzen zu können, agil notwendige Anpassungen am Geschäftsmodell vorzunehmen, mit Risiken umzugehen und keine unüberlegten Entscheidungen zu treffen. Dabei dürfen sie das “Groß-Denken” aber trotzdem nicht verlieren.
Beide Werte tragen allgemein dazu bei, bessere Beziehungen zu Dritten aufzubauen, beispielsweise zu Investor:innen, Mentor:innen, Mitarbeitenden und Kund:innen. Indem Gründer:innen bescheiden und zugänglich sind, können sie Vertrauen und Beziehungen zu diesen Akteuren aufbauen, was für die Sicherung von Unterstützung und Ressourcen wichtig ist.
Nachhaltige Unternehmen mit bodenständigen Gründer:innen sind vor allem in Zeiten der Ungewissheit in der Regel widerstands- und anpassungsfähiger, da sie ein starkes Zielbewusstsein haben. Dies macht sie für Investor:innen attraktiver, die nach Unternehmen suchen, die in der Lage sind, wirtschaftliche Abschwünge und andere Herausforderungen zu überstehen.
Für uns bedeutet das, uns immer wieder vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit selbst zu hinterfragen. Auch wenn es schon lange in unserer DNA lag, digitale Produkte und Unternehmen mit klaren Nachhaltigkeitsansätzen von der technischen Entwicklung bis hin zum Geschäftsmodell und der Organisationsstruktur zu begleiten, haben auch wir uns in 2022 intensiver damit auseinandergesetzt. Mit dem Fokus auf Klimaneutralität und die Weiterentwicklung von Konsumentenverhalten ist dadurch beispielsweise das Startup climony entstanden.
Wir plädieren für eine neue Bodenständigkeit des Startup-Marktes: Wachstumsziele gesund setzen, um Profitabilität nachhaltig zu steigern, um eine Wirtschaft zu unterstützen, die auch in unruhigen Zeiten mit Innovationskraft nach vorne schauen kann.
Über die Autor:innen
Anne Decker ist als Geschäftsführerin der wattx für den Venture Development, People, Culture & Finance Teil der Organisation zuständig. Nach dem Start ihrer beruflichen Laufbahn beim Startup Coffee Circle zog es sie zu einem Impact Capital Fund in die Schweiz, wo sie an internationalen Venture Capital Investments in Startups in den Bereichen Edtech, Last-Mile und Financial Inclusion arbeitete sowie Portfoliounternehmen in Süd- und Ostafrika, Indien und Deutschland strategisch beriet.
Simon Müller begann seine Karriere als wissenschaftlicher Mitarbeiter am WZL der RWTH Aachen an der Schnittstelle zwischen technischen Systemen und Geschäftsprozessen. Aus dieser Position heraus gründete er ein Industrie-4.0-Startup zur Optimierung von Fertigungprozessen und konzentrierte sich bis zum erfolgreichen Exit an einen strategischen Investor vor allem auf die technische Entwicklung. Im Anschluss baute er als CTO das Digital Lab der NEUMAN & ESSER GROUP auf.
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