#Gastbeitrag

Das Gründungsziel “Exit” limitiert den Horizont

Wir erleben einen Boom an hochbewerteten Startups. Aktuell zählt die deutsche Wirtschaft im Vergleich zum vergangenen Jahr viermal so viele Unicorns. Das führt dazu, dass sich Gründer:innen verleiten lassen, in kurzer Zeit möglichst teuer zu verkaufen. Ein Gastbeitrag von Kai Müller.
Das Gründungsziel “Exit” limitiert den Horizont
Freitag, 9. Dezember 2022VonTeam

Wann ist der Exit zum einzigen Ziel geworden, wenn man ein Unternehmen gründet? Keine Frage, ein Start-up braucht Momentum, viel Ausdauer, Geschwindigkeit und oftmals auch frisches Kapital, um seine Ziele zu erreichen. Aber was passiert, wenn das berühmte Big Hairy Audacious Goal (BHAG) plötzlich nur noch die Unicorn-Bewertung ist? Hat die Jagd nach dem magischen Einhorn nachhaltiges Unternehmertum abgelöst?

Das Gründungsziel “Exit” limitiert den Horizont

Wir erleben in Deutschland gerade einen wahren Boom an extrem hochbewerteten Start-ups. Aktuell zählt die deutsche Wirtschaft im Vergleich zum vergangenen Jahr viermal so viele Unicorns. Das führt dazu, dass sich Start-up-Gründer:innen schnell von dem Ziel verleiten lassen, in möglichst kurzer Zeit möglichst teuer zu verkaufen – und damit von vornherein mit einem stark limitierten Mindset an den Start gehen. Wer als BHAG die maximale Bewertung des Unternehmens für Investoren hat, der wird alles tun, um Wachstum um jeden Preis zu realisieren. Das Ergebnis sind sehr eng gesteckte, kurz- bis mittelfristige Ziele. Nachhaltige Investitionen in die Zukunft? Fehlanzeige. Weitsichtige Förderung junger und motivierter Talente? Schwierig. Wer mit der Gründung bereits eine Exit-Strategie verfolgt, wird nie unbequeme, aber entscheidende Weichen stellen, von denen das Unternehmen erst in ein paar Jahren profitiert. 

Zu gründen, um zu verkaufen, und zu gründen, um zu gestalten, sind zwei völlig verschiedene Herangehensweisen. Wer Dinge gestalten will, muss sich mit dem Wirkungsgrad der eigenen Entscheidungen über monetäre Ziele im Hier und Jetzt hinaus beschäftigen. Dadurch ergeben sich ganz andere Handlungsspielräume: von der Unternehmenswertsteigerung zur nachhaltigen Ausrichtung, die auch das Team und die Auswirkung auf die Gesellschaft miteinbezieht. Das Mindset, mit dem man die Gründung angeht, macht demnach den entscheidenden Unterschied für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. Und: In dem Moment, in dem nachhaltiges und zukunftsorientiertes Wachstum in den Fokus rückt, ist das Unternehmen auch für Krisen besser gewappnet. Man muss nur einen Blick auf die aktuelle Situation in der Tech-Branche und die Finanzierungsschwierigkeiten bei Start-ups werfen. Es wird sich bald zeigen, wer auf den schnellen Exit gesetzt und wer resilientere Unternehmen geschaffen hat. 

“Wie führst du?”

Initial ist die Start-up-Szene zunächst einmal darauf ausgelegt, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Momentum zu generieren, um Investoren zu gewinnen und die eigene Geschäftsidee an den Kunden zu bringen. In diesem Kontext werde ich häufig gefragt: „Wie pitchst du?“ Aber vor Kurzem hat mich ein junges Gründerteam unmittelbar vor der Einstellung der ersten Mitarbeiter gefragt: „Wie führst du?“ Welche Motivation hast du als Unternehmer:in? Was ist dir wirklich wichtig, was nicht? Was erzählst du deinen neuen Mitarbeiter:innen an dem so wichtigen ersten Tag? Aus einem spannenden Impulsvortrag kam die richtige Erkenntnis: Menschen folgen erstmal Menschen. Und sie stellen sich mehr und mehr die Frage, für welche Werte sie stehen und wie sie die Zukunft beeinflussen wollen. Einem glaubwürdigen und authentischen Narrativ werden auch die Besten folgen – ein Unicorn-Szenario an sich wird nicht ausreichen, um den Grundstein für eine positive Employee Experience zu legen.  

Wenn ich als Mitgründer und CEO auf unser Unternehmen blicke, dann habe ich meine drei Kinder vor Augen und frage mich, wie unser Unternehmen aussehen wird, wenn sie in 15 Jahren hier arbeiten möchten. Hätten wir bei den Fragestellungen unserer Zeit einen Unterschied gemacht und die Zukunft mitgestaltet? Welche Menschen und welches Mindset würden sie hier antreffen und würden sie gemeinsam an relevanten Herausforderungen arbeiten? Mit dieser Haltung treffe ich jede Entscheidung: Ich will ein Unternehmen bauen, das die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Egal, ob es die Wahl unserer Kunden und Partner betrifft, den Umgang mit unserem Team oder die Projekte, die wir realisieren. Ich bin mir der Verantwortung bewusst, die ich als Unternehmer trage – nicht nur für eine Legislaturperiode, sondern für eine ganze Generation – und deswegen agiere ich nicht limitiert auf ein kurzes Gastspiel, sondern immer mit einem Blick in die Zukunft. 

Das Mindset bestimmt den Erfolg

Ich bin davon überzeugt, dass dies Gründer:innen schlussendlich zu erfolgreichen Unternehmer:innen werden lässt. Zum Gründen braucht man eine Idee, Mut und Momentum. Aber nur, wer sich nicht limitieren lässt und mit Überzeugungskraft agiert, wird letztendlich immer gesündere, resilientere Unternehmen aufbauen. Zahlreiche Studien belegen, dass konsequentes, verantwortungsvolles Handeln auch unternehmerischen Erfolg mit sich bringt. Kurzum: Es mag gute Gründe für einen Exit zum richtigen und überlegten Zeitpunkt geben. Aber ein Exit sollte nie das einzige Ziel einer Gründung sein. Ich wünsche mir Unternehmer:innen, die die Zukunft gestalten wollen. Die weniger Einhörner jagen und sich häufiger die Frage stellen, in was für einem Unternehmen ihre Kinder einmal arbeiten wollen würden.

Über den Autor
Als Mitgründer und Chief Executive Officer verantwortet Kai Müller seit 2012 die strategische Entwicklung von Experience OneExperience One ist ein gründergeführtes Unternehmen, das 2006 aus der Überzeugung heraus entstanden ist, dass Marken und Unternehmen langfristig nur erfolgreich sein können, wenn sie das volle Potenzial der Customer Experience ausschöpfen. Dafür gestalten 150+ Experience Engineers digitale Lösungen an der Schnittstelle von Technologie, Design und Strategie – von der Personalisierung des Kundenerlebnisses bis zur User Experience des Produkts, von der Datenanalyse bis zur fertigen Applikation. 

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Foto (oben): Shutterstock