#Gastbeitrag

Wie nachhaltige Lösungen im automobilen Umfeld überzeugen

Bei der nachhaltigen Transformation der Automobilbranche geht es um mehr als um die Entwicklung alternativer Antriebsarten. Vielmehr gilt es, mit Innovationen die Wertschöpfungskette zu revolutionieren. Startups, die ihren Impact nachvollziehbar darlegen können, trumpfen bei Investor:innen. Ein Gastbeitrag von Marcus Behrendt.
Wie nachhaltige Lösungen im automobilen Umfeld überzeugen
Freitag, 2. September 2022VonTeam

Die Automobilindustrie befindet sich in einer dynamischen Transformationsphase: Die Hersteller stehen vor der Herausforderung, gleichzeitig CO2-Emissionen zurückzufahren, ihre Produkte zu elektrifizieren und ihre unternehmensinternen sowie Kundenprozesse zu digitalisieren. Bei dieser Mammutaufgabe kann die Automobilindustrie von Innovationen aus der Start-up-Szene profitieren. Die Wachstumsaussichten und Erfolgschancen von Start-ups im automobilen Umfeld hängen mehr und mehr davon ab, ob der Mehrwert einer Lösung transparent und nachvollziehbar ist und damit auch auf die Ziele der Industrie einzahlt. 

BMW i Ventures, der Venture-Capital-Fonds der BMW Group für die innovativsten und leistungsstärksten Start-ups im automobilen Umfeld, legt mit der Auflage des zweiten Fonds (2021, Volumen: 300 Mio. US-Dollar) einen verstärkten Fokus auf nachhaltige Lösungen. Bei dem neuen Suchfeld geht es um Ansätze, die Prozesse effizienter gestalten, den Einsatz von Rohstoffen und Energie reduzieren und Materialien wiederverwenden oder recyceln können. Circularity ist hier das neue Stichwort. Dass die Kreislaufwirtschaft bereits Gestalt annimmt, hat das Visionsfahrzeug BMW i Vision Circular eindrucksvoll auf der IAA 2021 demonstriert.

Die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick nehmen

Die Zirkularität und der Anspruch, künftig CO2-frei zu produzieren, stellen den Automobilbau vor neue Herausforderungen: Der Blick des Herstellers richtet sich immer mehr auf die ganze Wertschöpfungskette, denn diese soll zu seinen Zielen beitragen. Das gilt beispielsweise für die Batterieherstellung mit Lithium oder für die stark CO2 emittierende Stahlproduktion. 

Mit der steigenden Nachfrage nach Elektro-Pkw und deren Herzstück, der Batterie, geht ein wachsender Bedarf an Lithium einher. Schon heute ist deutlich, dass die bestehende Lithiumförderung die künftig steigende Nachfrage nicht bedienen kann. Auch aus diesem Grund bewegen sich die Preise für Lithium auf einem Allzeithoch: Im Jahresvergleich sind sie um 450 Prozent gestiegen. In diesem Umfeld kann Mangrove Lithium punkten: Das Start-up aus Kanada hat eine Lösung für eine kostengünstigere, effizientere und zugleich umweltfreundliche Lithiumgewinnung entwickelt. Die Technologie von Mangrove Lithium veredelt neues und recyceltes Lithium-Rohmaterial durch ein proprietäres elektrochemisches Verfahren direkt in batterietaugliche Lithiumverbindungen. Dieses Produkt kann in fast jeder Art von Lithium-Ionen-Batterie eingesetzt werden.

Ein anderes Start-up setzt bei der Stahlproduktion an, die allein für circa acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Boston Metal hat mit der Schmelzoxidelektrolyse ein innovatives Verfahren entwickelt, um Stahl in großem Maßstab CO2-neutral und zu wettbewerbsfähigen Kosten herzustellen. Voraussetzung dafür ist, dass der eingesetzte Strom klimaneutral gewonnen wird. Die innovative Technologie von Boston Metal könnte maßgeblich dazu beitragen, die CO2-Emissionen der Stahlindustrie massiv zu senken. 

Während das Silicon Valley jahrelang den Takt vorgegeben hat, gewinnt die Start-up-Szene in Deutschland und Europa zunehmend an Dynamik. BMW i Ventures nimmt die Szene nach überzeugenden innovativen Entwicklungen unter die Lupe. Jüngst haben wir uns beispielsweise an HeyCharge aus München beteiligt, das das Laden von E-Pkw in Tiefgaragen vereinfacht. Auch das Schweizer Unternehmen Bcomp, das naturfaserverstärkte Verbundstoffe als umweltfreundlichen Ersatz für Kohle- und Glasfaser-basierte Materialien herstellt, hat uns für sich gewinnen können.

Wir sind davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren zunehmend mehr Deals auch in Europa und Deutschland sehen werden. Dabei zeichnet sich ein großer Trend ab: Die Digitalisierung sowie künstliche Intelligenz und Machine Learning werden bei der Entwicklung von Innovationen immer wichtiger. Machine Learning wird zur Schlüsseltechnologie bei der Entwicklung von neuen Substanzen und Materialien und könnte Entwicklungszyklen in Zukunft massiv beschleunigen. Daneben wird der Einsatz von derartigen Softwarelösungen zu weiteren Optimierungen in der Produktentwicklung, der Produktion und auch der Logistik führen. 

Gründer:innen überzeugen mit nachvollziehbaren CO2-Einsparlösungen

Bei der Due Diligence achten wir genau darauf, dass die Prognosen der Start-ups der Realität Stand halten und die Berechnungen zu den CO2-Einsparungen realistisch sind. Im Einzelfall zieht das Team vor einer Investmententscheidung weitere Expert:innen und Fachabteilungen der BMW Group zu Rate, um die Erfolgschancen einer Lösung auf Herz und Nieren zu prüfen. Von dieser geballten technischen Kompetenz profitieren am Ende auch die Gründer:innen, weil sie ein valides Feedback zu ihren Innovationen bekommen. 

Nachhaltige Innovationen für emissionsarme Zukunft 

Für den Start-up-Markt im automobilen Umfeld kristallisieren sich einige Schwerpunkte im Bereich Nachhaltigkeit heraus, die jeweils auf einen sparsamen und effizienteren Verbrauch von Energie zielen. Dabei geht es zunehmend weniger um die Optimierung der ‚klassischen‘ Verfahren, die auf fossilen Brennstoffen beruhen. Stattdessen stehen alternative Energie- und Rohstoffquellen im Fokus. Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter: Innovative Technologie wird es uns in Kürze in immer mehr Bereichen ermöglichen, nachhaltig gewonnene Energie kostengünstiger als mit fossilen Brennstoffen zu produzieren. In der Erde nach Öl und Gas zu bohren, könnte sich schon bald nicht mehr lohnen. Wenn die Wirtschaftlichkeit für nachhaltige Lösungen spricht, wird dies den Wandel beschleunigen. Auch bei der Elektrifizierung von Fahrzeugen hat uns Erfindergeist eines Besseren belehrt. Die Energiedichte und Lebenszeit von Batterien ist mittlerweile automobil-tauglich.In Zukunft heißt das, dass wir täglich der Sonne unseren Energiebedarf abringen müssen und wir nicht mehr aus Jahrmillionen alten Speichern leben dürfen. Weitere Innovationen können uns helfen, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre wieder auf das richtige Maß zu drücken. Wir müssen nur wollen.

Über den Autor
Marcus Behrendt ist Managing Director bei BMW i Ventures, dem  Venture-Capital-Fonds der BMW Group. Der Fonds gehört zu den relevantesten Risikokapitalgebern im automobilen Umfeld. Der Fonds legt einen starken Fokus auf nachhaltige Lösungen (vgl. Boston-Metal oder Natural Fiber Welding, Bcomp, Our Next Energy, etc.) und war bereits an den Erfolgsgeschichten von über 60 Unternehmen beteiligt. Das Unternehmen unterhält Büros im Silicon Valley und in München. 

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Foto (oben): Shutterstock