Gastbeitrag von Nicolas Kittner

Unser Start-up ist tot – und es ist alleine unsere Schuld

Es gab mal ein Start-up, das hieß LABELit.cc. Wir haben es verkackt. LABELit ist tot und es ist unsere Schuld. Und dabei haben wir fast 50.000 Euro verbrannt. Wenn ich die investierte Zeit und den Verdienstausfall hinzurechne, komme ich wohl auf das Fünffache. Also lieber nicht dran denken.
Unser Start-up ist tot – und es ist alleine unsere Schuld
Dienstag, 11. November 2014VonTeam

Ich bin einer der Gründer von LABELit und ich habe viel gelernt: Das Geld ist weg, der Start-up existiert nicht mehr. Bin ich traurig? Ja, sehr. Bereue ich es? Nein, keine Minute und keinen Euro, den ich in LABELit investiert habe. Dieses Unternehmen war das beste, an dem ich jemals gearbeitet habe, mit dem meisten Spaß, den größten Emotionen, der steilsten Lernkurve.

Ich bin trotz allem ziemlich stolz auf das, was wir erreicht haben. Fast jeder hat eine große Idee, die er gerne umsetzen möchte, könnte, würde. Konjunktiv. Die allermeisten machen es nicht. Wir haben es gemacht, wir haben viel Zeit und Geld investiert, wir haben ein digitales Produkt entwickelt und auf den Markt gebracht. Und am Ende sind wir gescheitert.

Es gibt einige Gründe, warum LABELit keinen Erfolg hatte. Im Nachhinein sind sie ziemlich offensichtlich. Aber wenn man mittendrin steckt, sieht man vieles ganz anders.

Und es war nicht alles schlecht. Viele Dinge liefen sehr gut, wir haben einiges richtig gemacht?-?aber halt nicht genug. Und da die Weltherrschaft durch uns jetzt erstmal verschoben ist, kann ich gleich mal erzählen, was ich gelernt habe in den letzten zwei Jahren.

In unregelmäßigen Abständen werde ich über Themen wie Produktenwicklung, Team, Design, Finanzierung, Technologie und Marketing schreiben. Aber das ist nur die Oberfläche, denn eigentlich geht es um Blut, Schweiß und Tränen, und das ist besser als jede Daily-Soap.

Digitale Produktenwicklung: Von der Vision zum Launch

Am 5. Oktober 2011 starb Steve Jobs. Am selben Abend saßen ein guter Freund (wir nennen ihn Endrik, weil es Endrik ist) und ich auf der Schanze in Hamburg in einem Restaurant und er erzählte mir von einer Idee, die er seit seiner Diplomarbeit hat:

Was wäre, wenn man alle Dinge, die man im Fernsehen, auf Websites und in Videos sieht, direkt kaufen könnte? Was wäre, wenn an jedem Produkt ein Preisschild hängt? Wenn man den Anzug aus Mad Men kaufen könnte. Das Kleid auf Gala.de. Das T-Shirt aus dem Skate-Video, das man gerade auf YouTube gesehen hat.

Ja, das wäre ziemlich cool. Lass machen!

Das war die Geburtsstunde von LABELit. Gemeinsam mit Endriks Freund Helgo und dessen Bruder Götz starteten wir LABELit.

Die nächsten Monate recherchierten wir: Wettbewerber, Technologien, Mechaniken. Wie kann man Preisschilder an alle Dinge hängen, die man in ‘den Medien’ sieht?

Schnell wurde klar, dass wir uns (im ersten Schritt) auf das Web konzentrieren mussten. TV- und Kino-Markt waren zu abgeschottet. Für das Web könnten wir eine Technologie entwickeln, die unsere Vision in die Realität umsetzen würde.

Um auf jeder Website präsent zu sein, brauchten wir ein Tool, das genau dies ermöglicht: Preisschilder (wir nennen sie Labels) an jedes Produkt hängen. Eine Browser-Extension kann das. Wir konzipierten die Browser-Extension. Wir entwickelten die Browser-Extension.
Nichts davon gab es irgendwo. Keine Vorlage, kein Blaupause, keine Erfahrungswerte. Wir überlegten, konzipierten, verwarfen, konzipierten neu. Und es funktionierte.

Das Problem: wir brauchten-besser: wir wollten, einen Ort, wo wir alles sammeln. Unseren LABELit Hub. Also bauten wir eine Art shoppable Pinterest. Technisch und konzeptionell war das nicht ganz trivial. Hier nur ein paar Stichworte

  • Synchronisierung von Extension und Website
  • Bildskalierung und skalierte Positionierung der LABELs
  • Editierung von LABELs bzw. Bildern
  • Umgang mit mehreren LABELs in einem Bild
  • Umgang mit Fremdmaterial (Bilder)
  • Ownership des LABELs
  • E-Commerce Funktionen wie ein Unified Checkout für alle Produkte
  • On-the-Fly-Konvertierung von Affiliate Links
  • Aufteilung der Provision an unterschiedliche Parteien (Bild-Owner, User, Wir)
  • soziale Funktionen (Kommentare, Bewertungen, Sharing, Follow)
  • Performance der Datenbanken und Optimierung von Ladezeiten
  • Mobile Versionen der Website

Die Liste geht endlos weiter, immer weiter. Jeder Punkt hätte uns als komplettes Team eigentlich mehrere Tage gefordert. Da wir die Zeit nicht hatten, haben wir einfach gemacht. Das funktionierte mal gut, mal nicht so gut.

Hier liegt aber auch genau das Problem: Das alte Startup-Motto ‘Do one thing and do it well’ haben wir leider nicht befolgt.

Gerade als kleines Team mit begrenzten zeitlichen und finanziellen Mitteln ist es essentiell, sich auf eine Sache zu fokussieren.

In unserem Fall wäre es z.B. die Browser-Extension gewesen. Obwohl sie massive Limitierungen hatte (mobile!), kam sie unserer Vision, das Internet zu labeln, am nächsten. Und sie war verhältnismäßig einfach umzusetzen. Ein VC gab mir übrigens letztes Jahr genau diesen Tipp. Aber ich ignorierte ihn, wir hingen schon zu tief drin.

Der mangelnde Fokus war sicherlich eines unserer größten Probleme. Es führte letztlich dazu, dass das Produkt viel zu lange in der Entwicklung war, ständig an Features und der Technologie herumgeschraubt wurde und wir eine Ewigkeit brauchten, um zu launchen.

“If you are not embarrassed by the first version of your product, you’ve launched too late.” Reid Hoffman, Founder Linkedin

Das MVP ist das Minimum Viable Product. Die Betonung liegt auf Minimum. Es ist nicht so, dass wir noch nichts vom MVP gehört hatten. Im Gegenteil: Jeden Tag predigte ich, dass wir uns beschränken müssen, weniger ist mehr und so weiter.

Das Problem war: Wir dachten, alle diese Features sind essentiell. Wir dachten, wir bauen ein Minimum Viable Product. Dabei entwickelten wir ein Maximum Viable Product.

Wir wollten von Anfang an alles richtig machen?-?was letztlich nur dazu führte, dass wir zu viel auf dem Zettel hatten.

Christian Reber, der Gründer und CEO von 6Wunderkinder, hat einen spannenden Artikel darüber geschrieben, wie Wunderlist entstand. Die Vision war und ist bis heute, ein Projektmanagementtool zu entwickeln, das es so noch nicht gibt:

“That’s where we saw our opportunity of inventing a utility that’s as simple as a to-do app, but as powerful as a project management tool. It also helped us to start lean and simple, and grow Wunderlist into something bigger. Wunderlist, as you know it, was our MVP, our simplest approach to solve a problem that’s huge?-?helping people to organize their private and business life.”

Christian und sein Team hatten eine Vision. Aber sie starteten sehr, sehr klein. Wir hatten eine Vision und starteten groß. Wir wollten alles, sofort.

Ich sage nicht, dass es nicht möglich ist. Aber wir vier Gründer machten LABELit nebenbei. Nach unseren ‘richtigen’ Jobs, am Wochenende, abends, wenn wir Urlaub hatten. Zu viert.

Der Mangel an Zeit, Geld und Arbeitskraft liegt meist in der Natur einer Startup-Gründung. Diese Ressourcen gilt es zielgerichtet einzusetzen. Und das kann nur funktionieren, wenn man sich fokussiert.

Fazit: Eine Vision zu haben ist essentiell. Einen großen Plan für die Weltherrschaft zu haben ist toll. Aber man muss klein anfangen und eine Sache richtig gut machen. Der Rest kommt von alleine.

nicolas-kittner

Zur Person
Nicolas Kittner entwickelt digitale Produkte und Services. Er ist Creative Director bei der Digitalagentur Liquid Campaign und Gründer der Startup Plattform Silicon Pauli. Davor gründete er das Social Commerce Startup LABELit und das Service Design Studio What Happened to the Future?

Bild oben: Shutterstock, Geld verbrennen