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“weiblich. selbstständig. Erfolgreich.” – denn die Szene braucht mehr weibliche Vorbilder

Frauen gründen seltener. Das ist ein Fakt. Dennoch gibt es viele erfolgreiche Gründerinnen - sie sind jedoch kaum sichtbar. In "weiblich. selbstständig. ERFOLGREICH." stellt Gründerin Caro Müller 28 erfolgreiche Unternehmerinnen vor. Hier drei Auszüge aus dem Buch.
“weiblich. selbstständig. Erfolgreich.” – denn die Szene braucht mehr weibliche Vorbilder
Freitag, 24. Februar 2023VonTeam

In ihrem Buch “weiblich. selbstständig. ERFOLGREICH.” stellt Caro Müller 28 erfolgreiche Unternehmerinnen und Selbstständige vor. Denn seit sie 2019 selbst einfachpr gründete, ist sie umgeben von Frauen, die sich erfolgreich selbstständig gemacht haben. Mit dem Buch möchte sie einen Teil dazu beitragen, weibliche Vorbilder sichtbar zu machen und mehr Frauen dazu ermutigen, ihre Ideen in die Realität umzusetzen. Hier drei Auszüge aus drei der Kapitel. 

Anne-Sophie Panzer: Geschichte interaktiv erlebbar machen

Schon immer will Anne-Sophie Panzer Journalistin werden, um etwas zu bewegen. Während der Schule und dem späteren Geschichts- und Politik-Studium absolviert sie Praktika bei öffentlich-rechtlichen Sendern, doch der Job ist nicht wie erhofft. „Es war alles sehr bürokratisch und es gab keine Möglichkeit, spontan Neues auszuprobieren. Das hat mich frustriert.“ In ihr reift die Idee, dem Journalismus zu mehr Innovation zu verhelfen.

Gemeinsam mit Stefan Marx, der bereits Start-ups für Virtual Reality und Augmented Reality gegründet hatte, überlegt sie, wie man diese Technik nutzen könnte: Sie beschließen, eine Plattform für Augmented Reality (AR) zu bauen, mit der Journalist:innen ortsbasierte Geschichten erzählen können. Im Januar 2019 stellen sie die Idee in einem Förderzentrum für innovative Medienprojekte vor und erhalten eine Förderung. 

Der erste Auftrag

Auf einer Internetmesse im Mai 2019 entsteht der erste Auftrag: Für den Bayerischen Rundfunk und die KZ-Gedenkstätte in Dachau entwickeln sie die AR-App „Die Befreiung“. Mit der App erleben Besuchende die Befreiung des Lagers durch die US-Armee im April 1945 in einer selbstgeführten Tour – alles, was sie dazu brauchen, ist ein Smartphone oder Tablet. Um die Tour zu starten, scannen die User:innen einen der physischen Marker auf dem Gelände und folgen dem digitalen Pfad auf ihrem Display. Während sie sich in ihrer Umgebung umschauen, legen sich historische Fotos vom Tag der Befreiung zentimetergenau an die Stellen, an denen sie einst aufgenommen wurden. Parallel berichten Zeitzeug:innen im Audioguide, wie sie den Befreiungstag erlebt haben.

Den Prozess beschleunigen

Mit dem ersten Auftrag in der Tasche gründen Anne-Sophie und Stefan im Sommer 2019 ZAUBAR und bewerben sich für ein Accelerator-Programm in Hamburg. Accelerator (engl. Beschleuniger) unterstützen ausgewählte Startups dabei, schneller zu wachsen. Voraussetzung ist in der Regel ein erstes Produkt oder zumindest ein Prototyp, an dem Kund:innen Interesse zeigen. Die Vorstufe des Accelerators ist der Incubator (engl. Brutkasten), für Gründer:innen, die noch ganz am Anfang stehen. Zudem gibt es Scale-up-Programme (engl. vergrößern), die bereits etablierte Unternehmen beim nächsten großen Schritt, wie zum Beispiel der Expansion, unterstützen. 

Um wirklich davon zu profitieren, ist es ausschlaggebend, das richtige Programm zu wählen. „Neben der Entwicklungsstufe, muss das Thema zum eigenen Unternehmen passen. Da wir vor allem Medienunternehmen erreichen wollten, haben wir uns für einen Media Accelerator entschieden.“

Unterwegs in Deutschland

Mit vielen anderen Start-ups unter einem Dach arbeiten Anne-Sophie und Stefan während des Accelerator-Programms an ZAUBAR. Regelmäßig werden sie zu Pitch-Events eingeladen, bei denen sie ihr Unternehmen potenziellen Investor:innen und Kund:innen vorstellen. „Ein Accelerator öffnet dir die Türen zu großen Unternehmen. Wir haben deutschlandweit in Verlagen und Medienhäusern gepitcht, an die wir sonst nicht so schnell gekommen wären.“ Zudem lernen sie von den Expert:innen im Programm alles über Unternehmensaufbau und erhalten ein kleines Funding. Besonders wertvoll findet Anne-Sophie den Austausch mit den anderen Start-ups: „Es ist hilfreich, über die individuellen Herausforderungen zu sprechen. Alle Gründer:innen durchleben ähnliche Sorgen und Ängste und diese zu teilen, macht es leichter.“

Finanzierung durch Projekte

Durch die Kontakte im Accelerator und eigene Akquise ziehen Anne-Sophie und Stefan weitere Projekte für Medienhäuser, aber auch kulturelle Einrichtungen, an Land. Doch Apps wie „Die Befreiung“ für Kund:innen zu bauen, ist nur ein Zwischenschritt. „Alle Interessierten sollen in der Lage sein, mit ZAUBAR individuelle AR-Touren zu erstellen. Das ist die Vision.“ 

Den Aufbau dieser Plattform finanzieren sie mit den Kundenprojekten, denn die kleine Förderung und das Funding reichen bei Weitem nicht aus, um die Kosten zu decken. Zudem erhalten sie dadurch laufend Feedback auf ihre Entwicklung. „Kein Feedback ist ehrlicher als das von zahlenden Kund:innen. Im Gegensatz zu freiwilligen Tester:innen sind sie bereit, Geld dafür auszugeben und haben eine hohe Motivation, dass es funktioniert.“ Natürlich müssen diese Apps auch gebaut werden und das kostet Zeit, die nur teilweise in die Plattform gesteckt werden kann.

Christina Biermann: Für das glücklichste Hundeleben

Ende 2019 gründen Christina Biermann und Ellmar Jungschaffer people who kaer: Sie wollen Produkte auf den Markt bringen, die die Gelenke, aber auch die Verdauung und das Immunsystem von Hunden unterstützen. Obwohl sie durch die Coronapandemie mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen haben, geht Anfang 2020 ihr Onlineshop live. 

Geld und Know-how

Kurz darauf kommen die ersten Investor:innen an Bord. People who kaer ist teilweise über eine Crowdinvesting-Plattform und teilweise durch einzelne Investor:innen finanziert. Bei ihnen ist Christina und Ellmar wichtig, dass sie sie auch persönlich unterstützen können. Die beiden lernen extrem viel von ihren Investor:innen und profitieren von ihrem Netzwerk, insbesondere bei Finanzierungsrunden. Es ist möglich, Kontakte von potenziellen Investor:innen selbst zu recherchieren und sich beispielsweise über LinkedIn bei ihnen zu melden, doch „die kriegen jeden Tag so viele Nachrichten, dass es schwer ist, aufzufallen. Einen Namen zu nennen oder direkt vorgestellt zu werden, ist ein Türöffner.“

Christina rät allen, sich bei der Investorensuche vor allem Gedanken über die richtige Bewertung und Selbstpräsentation zu machen. Das Wichtigste bei der Investorensuche ist es, zu verdeutlichen, wie man mit dem eigenen Produkt einen relevanten Part in einem ausreichend großen Markt einnehmen kann. Diese Chance müssen Gründer:innen in ihrer Präsentation klar aufzeigen: „Du brauchst eine gute Idee, aber am Ende kommt es darauf an, wie du dich verkaufst. Komm auf den Punkt, kenn alle deine Zahlen und bereite dich auf potenzielle Nachfragen vor.“

Zeit und Druck

Christina sieht viele Vorteile in den Investor:innen, doch die Suche und Zusammenarbeit mit ihnen ist auch zeitintensiv und bringt einen hohen Druck mit sich. Monatlich legen Christina und Ellmar die Zahlen vor und müssen diese gegebenenfalls erklären. „Wir müssen nicht gleich Angst haben, wenn wir einen Monat kaum wachsen oder der Umsatz stagniert. Aber der Druck zu performen, ist einfach höher, als wenn man niemanden Rechenschaft schuldig ist.“

Besonders in diesen Momenten schätzt Christina es sehr, einen Mitgründer zu haben. „Niemand kann dir diesen Druck nehmen und wer es nicht selbst erlebt, kann es auch nicht verstehen, egal wie viel du deiner Familie und Freund:innen erzählst.“ Auch der Austausch mit anderen Gründer:innen ist nicht das Gleiche. „Sie können dir Tipps geben oder einen Kontakt herstellen, aber letztendlich sind sie nicht genau in deiner Situation.“

Der Kunde ist kein König

Über zwei Jahre bauen Christina und Ellmar einen loyalen Kundenstamm auf. Dabei sind ihnen der persönliche Kontakt und ein hoher Service extrem wichtig. Sprichworte wie „der Kunde ist König“ hält Christina jedoch für veraltet. Sie will die Kund:innen nicht anbeten, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnen. Passend zu ihrer jungen Zielgruppe ist Instagram ihr Hauptmarketingkanal und viele Kund:innen melden sich dort bei ihnen. Statt förmlicher Nachrichten beantwortet Christina Fragen einfach direkt mit einer Sprachnachricht. „Wir haben ein erklärungsbedürftiges Produkt und es ist oftmals leichter, etwas in einer kurzen Sprachnachricht zu erklären. Am Ende geht es uns darum, da zu sein, wo unsere Kund:innen sind und freundschaftlich mit ihnen umzugehen. Die Leute freuen sich über eine schnelle, unkomplizierte Antwort und sind erstaunt, wie persönlich ein Unternehmen sein kann.“

Emotionen wecken

Neben dem direkten Kundenkontakt geben sie auf Instagram Einblicke in den Büroalltag und teilen die Geschichten der Kund:innen. „Hundegesundheit ist ein wahnsinnig emotionales Thema und Hundeeltern lieben es, über ihren Hund zu sprechen. Ich kriege Gänsehaut, wenn uns jemand schreibt, dass der Hund nicht mehr humpelt oder wir Vorher-Nachher-Videos bekommen.“ Diese Emotionalität möchte Christina im gesamten Unternehmen widerspiegeln. 

So bekommen loyale Kund:innen zum Beispiel regelmäßig kleine Aufmerksamkeiten, wie eine Dankeskarte mit persönlichem Gruß an den Hund. „Wir fragen das nicht ab, aber viele Hundeeltern erwähnen den Namen ihres Hundes irgendwann. Wir tragen ihn in das System ein und die Leute freuen sich bei ihrer nächsten Bestellung so sehr über die kleine Geste.“ Auch Kund:innen, die das Abo kündigen, weil ihr Hund gestorben ist, werden nicht einfach abgeschrieben, sondern erhalten eine Aufmerksamkeit. Einerseits wissen Christina und Ellmar, wie schrecklich es ist, den eigenen Hund zu verlieren, andererseits wollen sie einfach positiv in Erinnerung bleiben.

Ingrid van Onna: Bio-Kosmetik statt Rock’n‘Roll

Ingrid van Onna ist die Gründerin von Flowing Cosmetics: Seit 2012 importieren ihr Mann und sie Bio-Marken aus dem Ausland, entwickeln mit HIRO eine eigene Make-up-Linie und vertreiben alles in ihrem Onlineshop Amazingy. Sie schalten kaum Werbung und wollen keine Investor:innen an Bord. Ingrid ist klar, dass das auch ein langsameres Wachstum bedeutet – dennoch entwickelt das Unternehmen sich stetig weiter. 

Ein Unternehmen im Unternehmen

Mittlerweile ist aus der Handvoll Mitarbeitenden ein fast 30-köpfiges Team geworden. Statt auf klassischen Hierarchien beruht die Zusammenarbeit auf gegenseitigem Vertrauen und Eigenverantwortung: Die Arbeit ist in verschiedenen Kreisen, wie Kundenservice, Vertrieb, Lager und Marketing organisiert. Jede Person arbeitet in einem Kreis, unterstützt projektbezogen aber auch in anderen Kreisen. Zu dieser Organisation wurde Ingrid durch das Buch Reinventing Organizations von Frederic Laloux inspiriert, in dem es darum geht, sinnstiftende Formen der Zusammenarbeit zu finden. 

Unabhängig davon, in welchem Kreis Mitarbeitende am Ende arbeiten werden, fangen alle beim Packen an. „So lernen sie das Unternehmen und unsere Marken kennen und sehen, was unsere Kund:innen schreiben.“ Zusätzlich trägt jedes Teammitglied die Hauptverantwortung für eine oder mehrere Marken aus dem Amazingy-Sortiment. Das bedeutet, dass sie Ansprechperson für diese Marken sind, die Produkte einkaufen und die Zusammenarbeit mit den Unternehmen koordinieren. So wollen beispielsweise alle Marken regelmäßig im Newsletter erwähnt werden und wenn sich ein passendes Thema ergibt, nimmt das verantwortliche Teammitglied am Content-Meeting des Marketingkreises teil und bringt Ideen ein. „Ohne diese Aufteilung müssten ein oder zwei Personen das Marketing für knapp 100 Marken machen. Ich glaube, das kann ein Gehirn überhaupt nicht erfassen. Zudem bleiben die einzelnen Jobs so spannender. Jede Person führt ein Unternehmen im Unternehmen; das fördert die Eigenverantwortung und Identifikation.“ Es ist keine Verpflichtung, die Verantwortung für eine Marke zu übernehmen, doch bisher entschied sich nur eine Person nach einer Weile dagegen.

Eigeninitiative, Motivation und Offenheit

Bei der Auswahl der Mitarbeitenden spielen Studium und Ausbildung keine Rolle für Ingrid. Viel mehr achtet sie auf die Eigeninitiative und Motivation, das Interesse, neue Sachen zu lernen sowie die Offenheit und Energie einer Person. „Sie sollten Lust haben, bei und mit uns zu wachsen und keine ‚Das kann ich nicht schaffen‘-Einstellung an den Tag legen.“ Auch wenn Ingrid auf langsames Wachstum setzt, will sie das Unternehmen stetig vorantreiben. Ihr Opa, der selbst Unternehmer war und mittlerweile über 86 Jahre alt ist, ist hier ihr großes Vorbild. „Er hat mir viel beigebracht und sein Motto ‚Stillstehen ist Zurückgehen‘ habe ich immer im Kopf.“

So überlegt sie immer, was der nächste Schritt für Amazingy sein kann und bindet hierbei auch das Team mit ein. „Auf dem Papier gehört die Firma Floris und mir, aber am Ende sitzen wir alle im gleichen Boot. Wenn alle ihren Job gut machen, kommt mehr Geld rein und wir können auch mehr verteilen.“ Tatsächlich erhalten alle Mitarbeitenden im Unternehmen das gleiche Gehalt. Jedes Teammitglied trägt Verantwortung und jede Aufgabe ist für den Erfolg der Firma gleich wichtig. Macht die Firma mehr Gewinn, wird das Gehalt von allen Stück für Stück angehoben. Es gab auch schon Mitarbeitende, die das nicht fair fanden und die Firma verlassen haben. „Sie wollten gern zehn Leute unter sich, aber das gibt es bei uns einfach nicht. Mir geht es darum, zusammen eine Firma zu bauen und da ist jeder Stein wichtig.“

Vertrauen schenken

Entscheidend ist für Ingrid die Verlässlichkeit, „denn Mitarbeitende haben bei uns sehr viel Freiheiten und nicht jede Person kann damit umgehen.“ Ingrid und Floris geben nur einen Rahmen für die Jobs vor und lassen die Mitarbeitenden selbst entscheiden, wie sie diesen ausfüllen. Solange die Arbeit erledigt wird, ist das Wie nicht so wichtig. „Die Leute mögen es, wenn man ihnen vertraut. Dann fühlen sie sich wertgeschätzt. Zudem glaube ich, dass die meisten Menschen gut sind. Wo leben wir denn, wenn ich meinem Team nicht vertrauen kann?“

Es gab schon Mitarbeitende, mit denen es langfristig nicht geklappt hat, aber meist muss Ingrid sich gar nicht einschalten. Damit das System für alle funktioniert, müssen die Teammitglieder aufeinander bauen können und klären es untereinander, wenn das bei einzelnen Personen nicht so ist. Stellt Ingrid doch fest, dass die Motivation von Mitarbeitenden nachlässt, sucht sie das Gespräch mit ihnen und versucht herauszufinden, woran es liegt und ob sie unterstützen kann. „Ich sehe mich mehr als Coachin der Mitarbeitenden, nicht als Chefin oder Geschäftsführerin. Das gibt mir viel zurück, denn die jungen Leute bleiben lange bei uns und es ist toll, sie wachsen zu sehen.“

weiblich. selbstständig. ERFOLGREICH.

Dieser Artikel beinhaltet Auszüge aus dem Buch „weiblich. selbstständig. ERFOLGREICH.“ über 28 erfolgreiche Selbstständige und Unternehmerinnen: Sie gründeten in den verschiedensten Branchen, aus den unterschiedlichsten Motivationen und Lebenssituationen heraus. Leser:innen erhalten einen echten Einblick in die persönlichen Geschichten, Herausforderungen und Erfolge der Unternehmerinnen und Selbstständigen. Zudem beinhaltet das Buch viele wertvolle Tipps für alle, die selbst ein Unternehmen gründen wollen oder sich bereits selbstständig gemacht haben.

Caroline Müller: “weiblich. selbstständig. ERFOLGREICH.“, Tredition, 304 Seiten, ab 19,99 Euro. Jetzt bei amazon.de bestellen

Foto (oben): Shutterstock