Von Elke Fleing
Dienstag, 1. März 2016

Customer Development: Und was soll ich die Kunden fragen?!

Das coolste, schönste und 'nützlichste' Produkt taugt nichts. Gar nichts – wenn niemand es haben bzw. nutzen will. Mit Versuchen, Produkte zu verkaufen, für die es keinen Bedarf gibt, werden Milliarden versenkt. Wie aber entwickelt man Produkte, die reißenden Absatz finden?

In diesem Gastbeitrag zeigt Anastasia Podolean, wie Startups es verhindern,’Ladenhüter’ zu produzieren, indem man nämlich schon vor der Entwicklung eines Produkts mit Personen der Zielgruppe ins Gespräch kommt.

Was in der Theorie so einfach klingt, ist in der Praxis meist verzwickt:

  • Wo finde ich meine Kunden?
  • Wie finde ich heraus, was sie wirklich möchten?
  • Welche Fragen sind überhaupt relevant und
  • wie muss ich diese richtig formulieren, damit ich nützliche Antworten bekomme?

Bekanntlich projizieren Gründer oft eigene Wünsche in ihre Geschäftsidee und entwickeln folglich am Markt vorbei. Doch das ist nicht alles: Kunden lügen oft in Interviews, wenn auch häufig unbewusst – meistens aus Höflichkeit.

Angesichts der Verkettung so vieler falscher Informationen lässt sich die hohe Anzahl von Startups mit Produkten, die keiner nutzt, leicht erklären.

Mit Customer Development hat Steve Black, erfolgreicher Unternehmer und Professor für Entrepreneurship an der Stanford University, ein weltweit anerkanntes Vorgehensmodell entwickelt, mit dessen Hilfe Geschäftsideen systematisch analysiert und nachhaltige, skalierbare Geschäftsmodelle identifiziert werden können.

In seinem Buch Startup Owner’s Manual (deutsche Ausgabe: Handbuch für Startups teilt Blank Customer Development in vier Phasen ein:

Customer Discovery: Mit Hilfe von Interviews sollen in dieser Phase Annahmen über den Kunden, sein Problem und die Lösungs-Idee überprüft werden. Ziel ist es, ein Verständnis dafür zu erlangen, wer die eigenen Kunden sind und ob die angestrebte Lösungs-Idee ein relevantes Problem adressiert.

Customer Validation: Anschließend geht es darum zu prüfen, ob nicht nur ein paar einzelne Kunden, sondern ein größerer Markt für die Geschäftsidee existiert. Mit Hilfe von Verkaufsgesprächen sollen deshalb insbesondere Annahmen über den Vertriebskanal und die Zahlungsbereitschaft der Kunden untersucht werden.

Company Creation: Es wird in die Skalierung des Geschäftsmodells investiert, weil das Vertriebsmodell nachweislich funktioniert. Ziel dieser Phase ist es, wiederholbare und effiziente Prozesse für Marketing, Vertrieb und Produktentwicklung zu finden und zu testen.

Company Building: In der letzten Phase werden die zuvor verifizierten Prozesse und Business Units ausgebaut, um ein schnelles Wachstum zu ermöglichen.

Die ersten beiden Phasen (Customer Discovery und Validation) befassen sich also mit der Suche (Search) nach einem skalierbaren Geschäftsmodell, die letzten beiden Phasen (Company Creation und Building) beschreiben die Skalierung (Scale) des Geschäftsmodells.

Da die letzten beiden Phasen sich eher im Bereich der klassischen BWL bewegen, fokussiert sich Customer Development vor allem auf die ersten beiden Phasen, und damit auf die Überprüfung einer Geschäftsidee mit Hilfe von Kundeninterviews und Prototypen.

Customer Discovery

In der Customer Discovery Phase werden Risiken bezüglich der Geschäftsidee, des Kunden und seines Problems systematisch minimiert. Die folgenden vier Schritte nach Steve Blank bauen aufeinander auf.

Hypothesen aufstellen
Im ersten Schritt sollen Gründer ihre Annahmen oder – in der Sprache der Methodologie – Hypothesen zu den einzelnen Bereichen des Geschäftsmodells festhalten.

Ein in der Startup-Szene sehr weit verbreitetes Werkzeug hierfür ist beispielsweise das Business Model Canvas von Alexander Osterwalder (dazu später in dieser Serie ein separater Beitrag) oder das Lean Canvas von Ash Maurya.


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Beide Tools ermöglichen es, ein Geschäftsmodell strukturiert in neun Geschäftsfeldern abzubilden. Auf diese Weise lässt sich die eigene Geschäftsidee übersichtlich festhalten und schnell anpassen.

Häufig verwenden Gründer zu viel Zeit auf diesen Schritt und vergessen, dass es hier nicht um richtig oder falsch geht. Denn wie die nächste Phase zeigt, überleben die meisten Hypothesen den ersten Kontakt mit dem Kunden sowieso nicht.

Problem validieren
Hat man Hypothesen zu seiner Geschäftsidee aufgestellt, geht es um den zentralen Leitsatz des Customer Development: Get out of the building! (Raus auf die Straße!)

Das Ziel ist es, den Kunden und seine Bedürfnisse, Probleme und Wünsche wahrhaftig zu verstehen. Hierzu braucht man vor allem eines: Empathie.

Ein anschauliches Beispiel hierzu bietet Clayton Christensen, Professor an der Harvard Business School. In seinem Video zeigt er, welches Problem ein allgemein bekanntes Standardprodukt wie ein Milchshake eigentlich löst und leitet daraus seine Produkteigenschaften ab.

Minimum Viable Product bauen und Lösung (über)prüfen
Erst, wenn Kunde und Problem richtig verstanden sind, kann man sich an die Überprüfung der Lösung wagen.

In dieser Phase heißt die Devise: Fake it until you make it!

Da die Entwicklung des vollständigen Produkts zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, bedient sich das Customer Development des Konzept des so genannten Minimum Viable Products, kurz MVP.

Dabei handelt es sich um einen Prototypen, der das Wertangebot in einer reduzierten Form abbildet, so dass potenzielle Kunden die Funktionalität und ihre Vorteile durch das Produkt erkennen und es eventuell sogar ausprobieren können.

Ein MVP könnte beispielsweise in Form von Landing Pages, Paper Prototyping, Mockups oder 3D-Druck Objekten präsentiert werden.

In einem Lösungsinterview wird dann mit dem Kunden getestet, ob das Produkt das Problem des Kunden wirklich löst.

Kurs wechseln oder weitermachen
Im vierten Schritt werden die gesammelten Erkenntnisse aus allen Interviews verdichtet und das Team formuliert eventuell neue Hypothesen und entscheidet darüber, ob der bisher eingeschlagene Kurs weiterverfolgt wird oder nicht.

Falls nicht, startet man wieder mit Punkt 1 und eine neue Lernschleife beginnt.

Auf diese Weise durchläuft man so viele Iterationen, bis man genug Daten gesammelt hat, die belegen, dass die wichtigsten Hypothesen die Realität widerspiegeln.

Customer Validation

Hat man Zielgruppe, Problem und Lösung identifiziert und verstanden, gilt es nun zu beweisen, dass sich die Geschäftsidee verkaufen lässt. Auch die Customer Validation Phase unterteilt Steve Blank in vier Schritte.

Verkaufsvorbereitung
Fanden Verkäufe des Produktes bisher eher sporadisch und meist auf persönliche und direkte Weise statt, soll nun versucht werden, diese zu systematisieren.

Ein entsprechend skalierbarer Verkaufsablauf muss jedoch vorbereitet werden. Dafür ist es erforderlich, eine weiterentwickelte Produktversion bereitzustellen und Marketingbausteine wie beispielsweise eine Website oder Verkaufsbroschüren zu erstellen oder zu verbessern.

Außerdem ist es hilfreich, eine Liste möglicher Vertriebs- und Marketingkanäle aufzustellen und systematisch zu testen.

Verkauf an Early Adopter
Es sollte nicht versucht werden, von Beginn an den gesamten potenziellen Markt zu adressieren.

Vielmehr sollten sich Vertrieb und Marketing zunächst ausschließlich an die Early Adopter richten. Dabei handelt es sich um Kunden, die ein besonders hohes Interesse daran haben, neue Produkte auszuprobieren. Dieser Wunsch kann aus sozialen Motiven entspringen – zum Beispiel der Reputation innerhalb des eigenen Umfelds – oder der Dringlichkeit des Problems.

Unternehmenspositionierung
Wurden die ersten Verkäufe erfolgreich abgeschlossen, sollten die Erkenntnisse hieraus genutzt werden, um das Unternehmen und sein Produkt auf dem Markt klar zu positionieren.

Dies umfasst zum einen die eindeutige Formulierung des Wertangebotes und zum anderen die Abgrenzungen zu etwaigen Konkurrenten. Hierzu müssen die Marketingmaterialien oft erneut angepasst werden.

Außerdem wird die Wirksamkeit einzelner Vertriebskanäle analysiert und entschieden, welche sich wirklich lohnen und welche eventuell zu teuer sind.

Kurs wechseln oder weitermachen
Zuletzt muss entschieden werden, ob die aktuelle Strategie weiterverfolgt wird, oder ob ein Kurswechsel erforderlich ist.

Kurswechsel bedeutet meist, das Geschäftsmodell in entscheidenden Teilen anzupassen oder zu verwerfen (Pivot).

Das ausschlaggebende Kriterium hierbei ist, ob tatsächlich eine Formel gefunden wurde, um das Geschäftsmodell zu skalieren.

Einige sehr nützliche Checklisten zu dem Prozess der Customer Discovery und Validation Phase sind bei Guide-a-rama zu finden.

Kundeninterviews

Sowohl bei der Customer Discovery als auch der Customer Validation stellen Kundeninterviews eine zentrale Methode dar, um die aufgestellten Hypothesen zu validieren.

Doch wie führt man ein Interview und wie stellt man gute Fragen? Gründer und Autor Rob Fitzpatrick liefert in seinem Buch The Mom Test (es gibt auch eine deutsche Ausgabe von ‘The Mom Test’) drei praxisnahe und einfache Tipps für eine gute Fragetechnik:

1. Anfangs nicht über die eigene Idee reden
Damit kann der Gründer sicherstellen, dass seine Gefühle und sein Ego außen vor bleiben, und automatisch bessere Fragen formulieren.

Schlechte Frage: “Ich habe eine Geschäftsidee und dafür habe ich meinen Job gekündigt, es geht um X. Was sagen Sie dazu?” Dies lädt förmlich dazu ein, ein Kompliment zu machen. Komplimente sind aber wertlos, denn man kann daraus nicht lernen.

Gute Fragen: “Wie gehen Sie im Moment mit dem Problem um? Welchen Einfluss hätte eine Lösung auf Ihren Alltag? Führen Sie mich gedanklich durch Ihre Arbeitsschritte durch.” Gute Fragen zielen auf den Interviewpartner, seine Probleme und sein Leben.

2. Fragen sollen zu konkreten Vorkommnissen aus der Vergangenheit und nicht zu allgemeinen Meinungen oder Vorstellungen über die Zukunft gestellt werden.

Schlechte Fragen: “Würden Sie ein Produkt kaufen, das X kann? Könnten Sie sich vorstellen, X zu nutzen? Wie viel würden Sie für X bezahlen?” Schlechte Fragen sind häufig hypothetischer Natur.

Gute Fragen: “Erzählen Sie mir, was passiert ist, als X eingetreten ist? Wann haben Sie das letzte Mal X gemacht? Welche Lösungen haben Sie bereits ausprobiert?” Gute Fragen sind konkret, sie beleuchten reale Fälle und liefern Fakten.

3. Man soll weniger reden und mehr zuhören.
Weitere Beispiele für gute und schlechte Fragen bietet LIFFFTInc in seiner Videoreihe.

Wie anfangs angedeutet, lügen Kunden oft in Interviews. Warum? Weil sich jeder Befragte eine positive Gesprächsatmosphäre wünscht. Er will den Gründer ermuntern und wird ihm in etwa das sagen, was er hören möchte.

Für den Gründer bedeutet dies, seine Erwartungen an das Interview genau zu formulieren. Im Laufe des Gesprächs muss herausgefunden werden, ob das Gegenüber es ernst meint, und tatsächlich bereit wäre, in die Lösung zu investieren.

Dabei muss es sich nicht immer um Geld handeln. Im frühen Stadium eines Startups können auch Zeit (z. B. weitere Interviews) oder Reputation (z. B. Veröffentlichung einer gemeinsamen Fallstudie) als Investment von Seiten des Kunden gesehen werden.

Mit Customer Development hat Steve Blank ein Set von Methoden aufgebaut, die Gründern dabei helfen können, Geschäftsideen systematisch zu überprüfen und zu skalierbaren Geschäftsmodellen weiterzuentwickeln. Damit ist der Erfolg von Startups nicht mehr dem Schicksal überlassen, sondern liegt vielmehr in den Händen ihrer Gründer.

Zur Person:


Anastasia Podolean ist Innovationsmanagerin bei der EnBW AG und Gründerin von CUUSO. Zusamen mit mak3it gibt sie Ihre Erfahrung in der Interviewführung und Customer Development an Corporate Startups gerne weiter. 2015 hat sie die deutsche Ausgabe von ‘The Mom Test’ veröffentlicht.

Bisher erschienen in der Serie Startup Challenges:

Ohne die richtige Motivation ist alles nichts

Kreativität: So kommt man auf richtig gute Ideen

Product Thinking mit dem Product Field – so geht es!

Product Field: So funktioniert die Validierung

Rockt eure Produkt-Optimierung mit dem Product Field

Das Experiment Board hilft: Findet Euer Produkt überhaupt Kunden?

Bild oben: Shutterstock, Interviews