Zwischen Wahlkampf, Sommerloch und verheerenden Signalen

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler will bekanntlich den Neuen Markt wiederbeleben – und alle reden mit. Und blitzschnell ist der Wahlkampf mitten in der deutschen Gründerszene angekommen, was wohl auch Sinn und Zweck dieser exklusiven Ankündigung im Handelsblatt war. Ein kurzer Streifzug durch die schönsten Kommentaren, die besten Zitate, die merkwürdigsten Äußerungen.

“Nicht die Fehler des Neuen Marktes wiederholen”

Die Ausgangslage: Im Juni trafen sich laut Handelsblatt-Bericht erstmals Vertreter des Ministeriums, der Börse und des Startup-Verbandes, um die Chancen für eine Wiederbelebung auszuloten. Zielgruppe des “neuen” Neuen Markts sollen laut Florian Nöll vom Bundesverband Deutsche Startups institutionelle Investoren, etwa Versicherer, und nicht Privatanleger sein. “Wir wollen nicht die Fehler des Neuen Marktes wiederholen”, sagte Nöll dem Handelsblatt. Er hoffe, dass das neue Börsensegment bereits Mitte 2014 starten könne.

“Wir haben in Deutschland Nachholbedarf”

Was Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler dazu sagt, steht bei Süddeutsche.de: “‘Wir sind noch sehr am Anfang’, sagte Rösler am Montag der Nachrichtenagentur Reuters, doch trotz der unrühmlichen Geschichte des Neuen Marktes Anfang des Jahrtausends sehe er Chancen für einen Erfolg.’Ich glaube schon, wenn wir das klug machen, dass es dann auch Investoren geben wird’, sagte er”. Beim Wall Street Journal gibt es noch weitere offizielle Worte aus dem Bundeswirtschaftsministerium: “‘Ein neues Börsensegment ist eine Chance, um die Finanzierungsmöglichkeiten für junge innovative Unternehmen in Deutschland zu stärken’, sagte ein Sprecher. ‘Hier haben wir in Deutschland Nachholbedarf’.”

“Eine der zentralen Aufgaben”

Bleibt noch Blick auf die Deutsche Börse, die sich gegenüber Süddeutsche.de und Wall Street Journal wie folgt äußerte: “‘Die Deutsche Börse sieht die Finanzierung von Wirtschaftswachstum als eine der zentralen Aufgaben der von ihr organisierten Kapitalmärkte. Neu entstehende Marktsegmente wird die Börse genau beobachten’. Es gebe aber mit dem Marktsegment ‘Entry Standard’ schon heute ein Angebot für wachstumsbereite und börsenreife Unternehmen. Fraglich also, ob man ein neues Segment überhaupt brauche”.

“Da bin ich relativ skeptisch”

Die Grünen sind laut Süddeutsche.de gegen den neuen Neuen Markt: “Da bin ich relativ skeptisch”, sagte Spitzenkandidat Jürgen Trittin dem verlinkten Bericht zufolge am Montag in Berlin. Heute seien kapitalkräftige Unternehmen wie Google oder Microsoft beherrschend, die teils eine monopolähnliche Stellung hätten. Ein nostalgisches Zurück zur “Garagenmentalität und Aufbruchmentalität” sei zweifelhaft.

“Ein verheerendes Signal an junge Menschen”

Trittins Worte kommen beim Startup-Verband nicht gut an! Dazu BVDS-Vorstandssprecher Florian Nöll: “Wenn es nach Jürgen Trittin geht, müssen wir besser heute als morgen aufhören in Deutschland Unternehmen zu gründen. Aus meiner Sicht ein verheerendes Signal an junge Menschen, die sich die eigene Unternehmensgründung zutrauen und von denen es schon heute immer weniger gibt. Es gibt einen Wettbewerbsnachteil zu Start-up-Hochburgen wie beispielsweise dem Silicon Valley, den wir in Deutschland möglicherweise nie aufholen können. Dort ist das Glas immer halb voll.

“Ist der richtige Weg”

Der Wirtschaftsrat der CDU begrüßt dagegen den neuen “Neuen Markt”. Zitat aus der Presseaussendung: “Ein eigenes Börsensegment einzuführen, um jungen, innovativen Unternehmen in Deutschland leichteren Zugang zum Kapital zu ermöglichen, ist der richtige Weg. Seit dem Platzen der Dotcom-Blase ist viel passiert und die Branche ist erwachsen geworden. Ein „euer Markt 2.0 mit vereinfachten Anforderungen würde nicht nur aus regulatorischer Sicht den Gang an die Börse erleichtern, sondern hätte auch eine öffentlichkeitswirksame Schaufensterfunktion”, sagt Rainer Gerding, Bundesgeschäftsführer des Wirtschaftsrates der CDU.

“Genau der falsche Kapitalmarkt”

buch.de-Gründer Michael Urban sieht das ganz anders: “Totaler Blödsinn. Die Börse ist für ein junges Unternehmen genau der falsche Kapitalmarkt. Da werden junge und unerfahrene Jungunternehmer nur von Banken ausgenommen. Ich selber habe mit buch.de ein Unternehmen an den Neuen Markt gebracht, dieses Unternehmen gibt es heute noch und ist immer noch an der “normalen Börse”. Ich würde das nie wieder machen. Man wird als Unternehmer völlig aus dem operativen Geschäft gerissen und ist nur noch mit dem Kapitalmarkt beschäftigt. Alles zu Lasten vom eigentlichen Geschäft, das darunter leidet. Die Politik scheint aus Fehlern nicht zu lernen. Oder ist es der Druck der Banken, die wieder ein Geschäft wittern?

“Pläne erscheinen nicht hundertprozentig durchdacht”

Und was sagen die Banker? “‘Angesichts der Geschichte und der öffentlichen Meinung in Deutschland wäre es ein sehr steiniger Weg bis zu einem Comeback’, betonen die Analysten vom Bankhaus Close Brothers”, schriebt das manager magazin online. Weiter heißt es: “Marktanalyst Heino Ruland gibt den Plänen ebenfalls geringe Chancen auf Umsetzung. Wagniskapital-Geber brauchten für den Ausstieg aus einem Unternehmen keine Börsen-Plattform, sagt er. Ihm erscheinen die Pläne nicht hundertprozentig durchdacht”.

“Börse könnte Finanzierungslücke schließen”

Und noch einmal der Startup-Verband in Form von Thomas Bachem: “Während sich die Möglichkeiten für Start-ups bei der Akquise von Kapital in der Gründungsphase stetig verbessern, sind beim Thema Wachstumskapital so gut wie keine deutschen Investoren in Sicht. Ein Weg an die Börse könnte diese Finanzierungslücke schließen.”

“Wahlkampf und Sommerloch kommen zusammen”

Deutliche Worte gegen den neuen Neuen Markt findet Anlegeranwalt Klaus Nieding – beispielsweise im Wall Street Journal: “Wahlkampf und Sommerloch kommen zusammen – daher die Idee der ‘Wiedergeburt’ des Neuen Marktes. Unsere Mandanten winken dankend ab, sie haben zu viel Geld mit den Skandalunternehmen des früheren Neuen Marktes verloren.”

“Natürliche Konsequenz”

Torsten Oelke, Börsenexperte beim Bundesverband Deutsche Startups, sieht dies ganz anders: “Ein neues Wachstumssegment an der Börse ist die natürliche Konsequenz einer gereiften Start-up-Szene und damit ein zentraler Standortfaktor für die Digitalisierung der deutschen Industrie”.

“Es gibt in Deutschland zehn bis 20 Unternehmen”

Und noch einmal BVDS-Vorstandssprecher Florian Nöll – im Gespräch mit Gründerszene: “Es gibt in Deutschland zehn bis 20 Unternehmen, die ernsthaft über einen Börsengang nachdenken. Mit denen stehen wir im regen Austausch”.

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