Gründer ohne Stimme – Ein Plädoyer für mehr Unternehmer in der Politik

Gründer ohne Stimme – Ein Plädoyer für mehr Unternehmer in der Politik” – Gastbeitrag von Florian Nöll (siehe links), Gründer von spendino (www.spendino.de) und Gründungsmitglied des Entrepreneurs Club Berlin e.V.

Die deutsche Start-up-Szene ist in heller Aufruhr. Gar vom Ende privater Eigenkapitalinvestitionen durch Business Angel ist die Rede, wenn mit dem Jahressteuergesetz 2013 die vorgeschlagene Änderung des § 8b Körperschaftsteuergesetz beschlossen wird. Der Sachverhalt wurde mehrfach erklärt (siehe auch: “Steuervergünstigungen für Business Angels sollen fallen: Die Gründerszene läuft Sturm” und dennoch bleibt der Eindruck, dass die öffentliche Diskussion neben Emotionen von einer großen Portion Halbwissen geprägt ist. Ich habe daher mit Tim Dümichen, Steuerberater und Partner bei der KPMG, einen Experten gebeten, uns den Sachverhalt zu erklären: „Um die teilweise sehr emotional geführte Diskussion zu versachlichen und Wege zu einer sinnvollen Lösung zu finden, ist es hilfreich sich zunächst noch einmal die Ausgangslage vor Augen zu führen”, erklärt der Corporate Tax-Experte.

„Der Bundesrat hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Jahressteuergesetz 2013 angeregt, den § 8b Körperschaftsteuergesetz zu ändern. Dieser sah bisher vor, dass von einer Kapitalgesellschaft empfangene Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung einer Beteiligung grundsätzlich steuerfrei sind. Dieser Grundsatz soll nunmehr dahingehend geändert werden, dass diese Steuerbefreiung für sogenannte Streubesitzbeteiligungen, das sind Beteiligungen von unter 10 %, nicht mehr angewendet wird. Diese Neuregelung soll bereits für nach dem 1. Januar 2012 erzielte Dividenden und Veräußerungsgewinne gelten, was zu einer faktischen Rückwirkung der Regelung auf das ganze Jahr 2012 führt.“ Zwei wichtige Stichworte sind gefallen: 10 % und die Rückwirkung. Beide Punkte kritisierte Christian Vollmann bereits hier auf deutsche-startups.de. Ein ehemaliger Finanzpolitiker sprach mir gegenüber sogar von Willkür.

Was sagt der Steuerberater dazu? „Diese Aussage muss man differenziert betrachten. Der deutsche Gesetzgeber wird in dieser Frage zunächst einmal nicht aus eigenem Antrieb tätig. Vielmehr muss er auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2011 reagieren, dass ihn zu einer Änderung der geltenden Rechtslage zwingt. In diesem Urteil hat der EuGH entschieden, dass das deutsche Steuerrecht in Bezug auf die Behandlung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. Während eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft die Steuerbefreiung des § 8b KStG grundsätzlich ohne weitere Voraussetzungen an die Höhe der Beteiligung oder eine Haltefrist in Anspruch nehmen kann, unterliegen ausländische Dividendenempfänger mit einer Streubesitzbeteiligung einer deutschen Kapitalertragsteuer. Hierin sieht der EuGH eine europarechtswidrige Diskriminierung ausländischer Dividendenempfänger. Um diese europarechtswidrige Situation zu beseitigen sieht der Gesetzgeber grundsätzlich zwei Möglichkeiten: entweder muss man die Steuerbefreiung für ausländische Dividendenempfänger erweitern – was zunächst zu Steuermindereinnahmen führen würde – oder Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Streubesitzbeteiligungen sind analog der Behandlung für ausländische Empfänger auch im Inlandsfall zu besteuern, was ceteris paribus zu höheren Steuereinnahmen führen würde.

In dieser Situation hat sich der Gesetzgeber entschlossen, mit Hinweis auf die aktuelle Haushaltssituation und ähnlich strenge Regeln in Bezug auf Beteiligungsquote und Haltefristen im internationalen Vergleich, die zweite Alternative zu wählen. Unter diesem Blickwinkel erscheint die Entscheidung des Gesetzgebers zunächst nachvollziehbar. Was in der politischen Diskussion nach meinem Dafürhalten bislang aber nicht ausreichend berücksichtigt wird, sind die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Gesetzesänderung. Die “ceteris paribus“-Annahme in der vom Gesetzgeber getroffenen Folgenabschätzung dürfte gerade nicht zutreffend sein. Es wird dabei nämlich übersehen, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen für Wagniskapitalbeteiligungen in Deutschland gerade im Vergleich zu unseren wichtigsten europäischen und außereuropäischen Wettbewerbern nicht konkurrenzfähig sind. Dieses Problem ist der Politik durchaus bewusst und ist unlängst wieder in einem Gespräch der Bundeskanzlerin mit wichtigen Vertretern der Internetindustrie als großer Hemmschuh für Wachstum in Deutschland thematisiert worden.

Die sich aktuell in Deutschland als zarte Pflanze entwickelnde Business Angel- und damit einhergehend auch Gründer-Kultur würde durch die geplante Gesetzesänderung mit Sicherheit empfindlich geschwächt. Dies kann nicht ohne negative Folgen für Innovation und Wachstum bleiben, was man in der Folgenabschätzung berücksichtigen und sich alternativen Gesetzesänderungen öffnen sollte. Zu kritisieren ist sicherlich die geplante Rückwirkung der Rechtsänderung, die leider der aktuellen Gesetzgebungspraxis entspricht. Diese Vorgehensweise ist zwar durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich legitimiert, steht aber bereits seit langem in der allgemeinen Kritik, weil sie negativ in bereits getroffene Entscheidungen der Steuerpflichtigen eingreift.“

Gründer in Deutschland haben keine Stimme

Für mich ist diese aktuelle Diskussion nur eine Ausprägung des eigentlichen Problems, dass die deutsche Gründerszene lösen muss. Alexander Görlach und Jens Tönnesmann haben das Problem erkannt: Gründer in Deutschland haben keine Stimme. Und so muss man feststellen, dass es gar kein „Anti-Angel-Gesetz“ gibt. Auch nach zahlreichen Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern fehlt jeder Hinweis darauf, dass die Urheber dieses Gesetzentwurfs die Steuerungswirkung im Bereich der Frühphasenfinanzierung auch nur erahnt haben. Wir sind schlicht unsichtbar. Und selbst der Aufschrei scheint zu leise und unkoordiniert, um in der Berliner Republik gehört zu werden. Mehr als 1.400 Unterschriften für das Start-up Manifesto lassen zwar hoffen, dass viele Gründer dieses Problem erkannt haben und sich stärker engagieren wollen.

Aber es hatte noch nie recht, wer am lautesten Schreit! Und deshalb halte ich diese Petition im aktuellen Fall nicht für den richtigen Weg. Es fehlt, so meine Meinung, an Kenntnis über politische Entscheidungsprozesse und schlicht die Argumentation, um einen Haushälter mit Sparzwang im Bundesfinanzministerium zu überzeugen. Gleichzeitig ist Fingerspitzengefühl gefragt: Nichts würde einen Befürworter der Gesetzesänderung aktuell davon abhalten, uns Profitgier zu unterstellen. Immerhin pochen wir auf nicht unerhebliche Privilegien. Ehssan Dariani hat bewiesen, wie leicht die bislang publizierten Kommentare genutzt werden können, um eine Diskussion über arm und reich und Steuerschlupflöcher für wohlhabende Unternehmer zu eröffnen. Aber darum geht es nicht. Wir reden über die mittlerweile relevante Zahl von Start-ups unter den mehr als 36.000 Unternehmen in den Bereichen ICT, Media und Kreativwirtschaft in Berlin und Brandenburg. 200.000 Menschen, vielleicht auch mehr, haben bereits einen Job in diesen Branchen in der Region. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg macht es vor: “Technology is going to define the 21st century economy, and I want to make sure those jobs are created in New York City.”

Das Stimmungsbild in der Politik

Die Urheber des Gesetzentwurfs, so konnten wir in Erfahrung bringen, gehen von 0,4 bis 2 Milliarden Euro Steuermindereinnahmen aus, würde man die Privilegien auch ausländischen Investoren gewähren. Den Berechnungsschlüssel kennen wir bislang nicht. Fest steht, dass diese Zahl angesichts von nur rund 690 Millionen Euro Venture Capital-Investitionen in 2011, von Seed bis Later-Stage, nicht aus der Start-up-Welt kommt. Wir sind nur ein kleiner Fisch. Tatsächlich laufen hinter den Kulissen Schwergewichte wie die Bankenverbände, DIHK, Handwerkskammern und auch die Versicherungswirtschaft Sturm.

Wenn ich von „Wir“ spreche, dann sind Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Freunde der Start-up-Szene gemeint, die gemeinsam einen Verein für Gründungspolitik gründen. Wir suchen das Gespräch mit den politischen Entscheidungsträgern und werben für gründerfreundliche Positionen. Erste Gespräche machen Hoffnung – beispielsweise mit Berlins Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz. “Für den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens ist es von entscheidender Bedeutung, ob es in der Konsequenz dazu führen wird, dass Investoren auch künftig bereit sind, Wagniskapital risikofreudig breit zu streuen. Denn damit stellen sie der Start-up-Szene zur Umsetzung ihrer Geschäftsideen das nötige Kapital zur Verfügung. Für Berlin ist die aktive Start-up-Szene von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Deshalb wollen wir Voraussetzungen dafür schaffen, dass Erträge aus der Frühphasenfinanzierung von Gründungen der Branche wieder re-investiert werden. Damit bietet sich die Chance auf neue Arbeitsplätze und erfolgreiche Unternehmen. Grundsätzlich sehe ich bei aller auch haushaltspolitischen Sensibilität, dass wir erheblich mehr gewinnen, wenn wir Reinvestitionen in die Start-up-Szene motivieren“, sagte sie uns und setzt sich damit deutlich für eine gründerfreundliche Lösung ein.

Gleichermaßen gibt es auch unter den Berliner Senatoren noch keine einheitliche Position. Das Gesetz muss vor dem Bundesrat auch den Bundestag passieren. Auch hier erhielten wir ein überraschend positives Stimmungsbild von Frank Schäffler, der als Bundestagsabgeordneter für die FDP im Finanzausschuss sitzt: „Seit langem setze ich mich für eine Sparkultur in Deutschland ein. Dazu gehören natürlich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bildung von Eigenkapital in jungen und alten Unternehmen. Die vom Bundesrat vorgeschlagene generelle Besteuerung von Streubesitzdividenden gehört nicht zu meiner Vorstellung einer Sparkultur. Das träfe vor allem Business Angels im Venture Capital-Bereich, also dort, wo Eigenkapital am dringendsten gebraucht wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine andere Lösung finden können, ohne die Unternehmensfinanzierung derart zu erschweren.”

Es ist noch nichts entschieden – umso mehr lohnt es sich zu kämpfen, könnte ein Zwischenfazit sein. Wir müssen dazu lernen und nach den Regeln der Politik mitspielen. Wenn wir in Zukunft nicht mehr überhört werden möchten, müssen wir mit einer Stimme sprechen. Der Verein für Gründungspolitik soll die Plattform werden, auf der sich jeder Gründer für sein Anliegen stark machen kann. Jeder politik-interessierte Unternehmer ist herzlich willkommen (www.gruendungspolitik.de).

Zur Person
Florian Nöll ist Unternehmer und engagiert sich seit 2004 – unter anderem mit der Startup Lounge und als Gründungsmitglied im Entrepreneurs Club Berlin e.V.- in der Gründungspolitik und –förderung.

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