Crowdsourcing in den USA – was Start-ups hüben von drüben lernen können – Gastbeitrag von Christine Weißenborn

Längst ist die Crowdsourcing-Welle auch nach Europa geschwappt. Vor allem Deutschland macht mit innovativen Startup-Ideen von sich reden. An die USA reicht die Entwicklung trotzdem noch lange nicht – dabei ist Aufholpotential vor allem an der Spree vorhanden.

Zweimal im Jahr verlegt Frederik Fleck für ein paar Wochen seinen Wohn- sowie Arbeitssitz vom Pazifik an die Spree. Der gebürtige Berliner hat dann nicht nur Frau und Kind im Gepäck, sondern auch viele frische Ideen aus dem Silicon Valley, die er in Europas Start-up-Metropole Berlin zu installieren, zu diskutieren und voranzubringen hofft. Immer wieder stellt er dabei fest: im Bereich Crowdsourcing tut sich viel in seiner deutschen Heimat. Aber nie reicht die Entwicklung an die heran, die er aus dem sonnigen Kalifornien kennt. Am schlechteren Wetter allein wird es kaum liegen. Woran also dann?

Grundsätzlich ist „Crowdsourcing“ sowohl in der Start-up-Metropole Berlin als auch im Silicon Valley eines der am heißesten diskutierten Themen der Stunde. Das Modell verbreitet sich hüben wie drüben in atemberaubender Geschwindigkeit – manchmal so schnell, dass es schwer fällt, die jeweilige Entwicklung nachzuvollziehen. Die Crowdsourcing-Branche gehört deshalb zu den derzeit am rasantesten wachsenden überhaupt. So hat sich das Medieninteresse nach Angaben von crowdsourcing.org innerhalb des letzten Jahres verdoppelt. Monatlich wird der Begriff “crowdsourcing” inzwischen laut dem Branchendienst 150.000 Mal in Suchmaschinen eingegeben – dreimal so oft wie noch vor einem Jahr. Jede Woche gehen drei neue Crowdsourcing- oder Crowdfunding-Seiten an den Start. Und auch in der Old Economy, bei Großkonzernen und im öffentlichen Sektor, haben das Interesse an dem Thema und die Nutzung von crowdsourcing insgesamt signifikant zugenommen, insbesondere im politischen und Hightech-Bereich je um 17 % und im Konsumgüterbereich um 14 %.

Trotzdem wird Crowdsourcing in Deutschlands öffentlicher Wahrnehmung noch immer häufig mit Billiglohn-Arbeit von Amateuren gleichgesetzt. Welche Möglichkeiten das Phänomen bietet, nämlich Wertschöpfungsprozesse, innerhalb derer Menschen außerhalb eines Unternehmens Dienstleistungen und Problemlösungen deutlich schneller, günstiger und effizienter erbringen, als es mit Inhouse-Lösungen der Fall wäre, geht dabei manchmal noch unter. Völlig zu Unrecht, findet etwa Investor Fleck.

Auf die Generalisten folgen die Spezialisten

Auch in den USA haben bereits viel mehr Unternehmen das Potential von Crowdsourcing erkannt als hierzulande – weshalb dort bereits die zweite Crowdsourcing-Welle rollt. Branchenkenner Fleck bezeichnet sie als die der „Spezialisierung”. Mit der ersten wurden die Generalisten angespült, breit aufgestellte Dienstleister wie Amazon Mechanical Turk (www.mturk.com) oder Crowdflower (www.crowdflower.com) in den USA, in Deutschland zeitversetzt Unternehmen wie Clickworker (www.clickworker.de), Crowdguru (www.crowdguru.de) oder expertcloud.de (www.expertcloud.de). Diese seien inzwischen gut etabliert, sagt Fleck.

Im nächsten Schritt nun folgten die Expertenanbieter. Das US-Unternehmen Trada (www.trada.com) etwa konzentriert sich nur noch auf crowdbasiertes Online-Marketing. Andere Firmen bieten ausschließlich Dienstleistungen wie die Transkription von Videos oder die Erstellung von SEO-Texten an. Auch der Markt für Übersetzungen boomt auf beiden Seiten des Atlantiks. In Deutschland zieht außerdem der für in die Masse verlagertes Software-Testing an, ein Dienst, den etwa das Berliner Start-Up testcloud (www.testcloud.de) anbietet.

Fleck vergleicht diese Entwicklung im Bereich Crowdsourcing mit der im E-Commerce. Erst gab es Amazon und Ebay, dann tauchten plötzlich Spezialanbieter für Luxusklamotten, Hundefutter, Möbel oder Babybedarf auf. Gründern empfiehlt der Kenner der amerikanischen Crowdsourcing-Landschaft deshalb, intensiv über das Thema Spezialisierung nachzudenken. Allerdings knüpft er daran auch eine Warnung. Man müsse immer im Blick behalten, ob das Feld, das beackert werden soll, auch groß genug ist. Eine Gefahr für Expertenanbieter sei, sich in Nischen aufzureiben, sagt er.

Zur rechten Zeit am rechten Ort

Damit das nicht passiert, sollte sich jeder Entrepreneur, empfiehlt Fleck, folgendes fragen: Gibt es schon eine Nachfrage, die aber wie etwa im Bereich Software-Testing noch gar nicht oder nur ungenügend befriedigt wird? Müsste ich den Bedarf, den ich schaffen will, komplett neu kreieren? Gibt es vor allem einen, der sich in die Crowd outsourcen lässt? Ist der Markt reif für meine Dienstleistung – oder bin ich zu früh dran? Mit Videotranskriptionen etwa, erzählt Fleck, sei der eine oder andere vor zwei Jahren noch auf die Nase gefallen. Inzwischen brummt das Geschäft, vor allem in den USA. Zur Zwei-Jahres-Regel rät er deshalb grundsätzlich jedem Crowdsourcing-Enthusiasten: Schau’ Dir an, was in der Bay Area vor etwa 24 Monaten „in“ war, rät er. Gibt es die Dienstleistung immer noch, lohnt es sich in den meisten Fällen, sie nach Deutschland zu holen.

Dorthin schwappt auch die Welle der Spezialisierung – wie üblich ein gutes Dutzend Monate später. Das liegt vor allem daran, dass es zwischen dem amerikanischen und deutschen Markt einen Hauptunterschied gibt, der so banal wie entscheidend ist: die Sprache. „Die Sprache limitiert den Markt“, sagt Fleck. Englisch spricht praktisch jeder besser oder schlechter. Fast alle Crowdsourcing-Themen im Netz werden auf Englisch diskutiert. Und die meisten Aufgaben erfordern global gesehen englische Sprachkenntnisse. Der US-Markt ist deshalb deutlich größer. Er macht an den Landesgrenzen nicht halt, weder wenn es darum geht Kunden zu gewinnen noch eine Crowd zu rekrutieren. „Crowdsourcing kann in Indien oder Pakistan natürlich deutlich günstiger angeboten werden, sagt Fleck. Vor allem im Schriftverkehr falle gar nicht auf, wer dahintersteht.

Ein amerikanisches Unternehmen, das eine Crowdsourcing-Dienstleistung auf den Markt bringt, kann deshalb theoretisch auch in Billiglohnländern operieren. Das ist bei deutschen Angeboten nicht möglich, ausweichen lässt sich nur auf den österreichischen oder schweizerischen Markt. Denn vor allem deutsche Unternehmen wollen Muttersprachler – gerade, weil sie auf den Qualitätsaspekt den größten Wert legen, anders als das Gros der amerikanischen Anbieter. In den USA zählt ähnlich wie in Großbritannien zunächst der Kostenvorteil.

Der Sprache ein Schnippchen schlagen

„Wenn man das Augemerk wie in Deutschland auf Qualität legt, ist man als deutscher Anbieter allerdings klar im Vorteil“, sagt Fleck. Außerdem hat die Not hierzulande, wenn man sie den als solche bezeichnen mag, erfinderisch gemacht. Da der US-Markt unerreichbar und deshalb konkurrenzlos ist, verlegen Investoren wie Fleck schlichtweg das Geschäft. „Wir peilen nicht den anglo-amerikanischen sondern den französischen und spanischen Markt an“, sagt er. Dort sei das Potential enorm und der Kostendruck für die krisengeschüttelte Wirtschaft genauso groß wie die damit einhergehende Notwendigkeit, auf günstigere Dienstleistungsangebote zurückzugreifen. Amerika sei so auf sich selbst konzentriert, sagt Fleck, dass es sich lohne, die Märkte drumherum im Blick zu behalten.

Woran es derzeit allerdings noch hapert, ist die Nachfrage. Ein Verständnis für das Thema Crowdsourcing, wie es in den USA bereits vorhanden ist. Das Problem ist dabei nicht, eine genügend große Crowd zusammenzutrommeln. Es gebe einen Angebotsüberhang und zu wenig Nachfrage von Kundenseite, sagt Fleck. Denn vor allem europäische Großkonzerne näherten sich dem Phänomen Crowdsourcing nur zögerlich. Zwar probieren sich immer mehr Unternehmen daran. Nokia etwa ließ seinen letzten Klingelton, der den altbekannten ablösen sollte, nicht mehr mithilfe eines internen Entwicklungsteams kreieren sondern von der Crowd. Die Community konnte Vorschläge machen, die beste Komposition wurde prämiert und realisiert.

Trotzdem monierte Pia Erkinheimo, Crowdsourcing Manager bei Nokia, auf der ersten europäischen Branchenkonferenz “Crowdconvention”, die letztes Jahr in Berlin stattfand, fehle es allerorten noch am Verständnis. In Unternehmen gelte es noch erhebliche Hindernisse zu übewinden, um Crowdsourcing dauerhaft zum Teil der Entwicklungsprozesse zu machen. Etwa 60 Prozent ihrer Zeit verbringe sie mit internen Predigten, so Erkinheimo.

Vertriebsvorbild USA

Das mag auch daran liegen, dass die USA Deutschland im Vertrieb um Längen voraus ist. „Da sind die amerikanischen Unternehmen einfach weiter und vor allem: sehr gut“, sagt Fleck. In Deutschland würden viel mehr Eventualitäten im Vorfeld abgeklopft und Bedenken und Risiken gegeneinander abgewogen. Die Amerikaner indes „machen einfach“ und fangen an zu verkaufen. Ist die Katze im Sack, überlegen sie, wie sie die Dienstleistung konkret realisieren können. Fleck rät deshalb, lieber erst das Produkt an den Mann zu bringen und dann die große Plattform zu bauen – statt umgekehrt.

Und noch etwas verhindert in Deutschland bislang noch den endgültigen Durchbruch für das Thema Crowdsourcing: um richtig groß einzusteigen mangelt es an der Spree noch immer an finanzstarken Investoren. „Was in Deutschland 10 Millionen Venture Kapital sind, sind in den USA locker 100 Millionen“, sagt Fleck. Der Markt in den USA sei einfach weiter und das Thema bei Investoren deshalb bekannter.

Das allerdings soll sich bald ändern. So hat etwa Kanzlerin Angela Merkel kürzlich angekündigt, für Jungunternehmer mehr Wagniskapital zur Verfügung zu stellen, um Deutschlands Rolle als Innovationsmekka im internationalen Vergleich zu stärken. Auch ergab laut der Wochenzeitung “Die Zeit” eine Studie der Venture Capital Firma „Early Bird“, dass europäische Venture Kapitalisten höhere Gewinne erzielten als Kollegen in den Vereinigten Staaten. Gerade in den vergangenen zwölf Monaten sei deshalb zusehends mehr Geld nach Deutschland geflossen und immer mehr Venture Kapitalisten aus New York und London landeten inzwischen an der Spree. Eine Entwicklung, die natürlich auch der Crowdsourcing Branche zugute kommt.

Deutschland holt auf

Zusammenfassend lässt sich deshalb sagen: die deutsche Crowdsourcing-Industrie holt auf. Immer mehr Unternehmen etablieren sich vor allem in Berlin. Inzwischen gibt es sogar einen Verband (www.crowdsourcingverband.de), der als Interessenvertretung und Aufklärungsorgan rund um Crowdsourcing Themen (wie auch verwandte Felder, z.B. Open Innovation und Future of Work) dienen und helfen soll, die noch sehr junge Branche besser zu vernetzen. Und nicht zuletzt trifft sich die Branche inzwischen wie im Valley regelmässig, um über den eigenen Erfolg zu fachsimpeln.

So fand die Crowdconvention in Berlin im vergangenen Sommer ein gutes Jahr nach der ersten Crowdsourcing Konferenz in San Francisco, der sogenannten CrowdConf, statt. Hüben wie drüben tummelten sich im ersten Jahr der Veranstaltung lediglich rund 200 Gleichgesinnte, um über das Phänomen Crowdsourcing zu diskutieren und zu philosophieren. Im zweiten Jahr in San Francisco waren es im letzten Herbst bereits viermal so viele Teilnehmer, die plötzlich nicht mehr nur das Phänomen analysieren sondern konkrete Abgrenzungsmaßstäbe entwickeln, sprich, eine richtige eigene Branche definieren wollten. Die Teilnehmer kamen aus aller Welt, vor allem aus dem europäischen und asiatischen Raum.

Ob Deutschland auch schon soweit ist, wird im April die zweite deutsche Crowdsourcingveranstaltung in Köln unter dem Titel „Crowdsourcing Summit 2012“ zeigen, ein selbsternanntes Branchenevent für Crowdsourcing, Open Innovation und Future of Work Themen. Über eines aber ist sich Investor Fleck schon jetzt sicher: Die Zeit sei reif, auf der zweiten Crowdsourcing-Welle nach Deutschland zu surfen.

Zur Person
Christine Weißenborn ist freiberufliche Journalistin für Print/Online/Radio – und interessiert sich für alles rund um die Themen „Entrepreneurship“ und „Crowdsourcing“. Nach einem Studium der Kulturwirtschaft in Passau und Chile, Stationen unter anderem beim ZDF, dem Tagesspiegel, der Zeit und einem Volontariat bei der Verlagsgruppe Handelsblatt, schrieb sie mehrere Jahre über Handels- und Konsumgüterthemen für das Handelsblatt.

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