Von Alexander
Dienstag, 25. November 2025

“Unser Erfolg ist nicht lange unbemerkt geblieben”

In den vergangenen Monaten flossen rund 60 Millionen in das junge KI-Startup voize, das eine App zur Pflegedokumentation per Spracheingabe entwickelt. Derzeit arbeiten knapp 100 Mitarbeitende für das umtriebige Unternehmen.

Das Berliner Startup voize, 2020 von den Zwillingen Fabio und Marcel Schmidberger sowie Erik Ziegler in Potsdam gegründet, entwickelt eine App zur Pflegedokumentation per Spracheingabe. “Die KI erkennt Dialekte und Akzente, unterstützt mit Grammatikkorrektur und weiteren KI-Funktionen”, teilt das Team mit. Balderton Capital sowie die Altinvestoren HV Capital, Redalpine und Y Combinator investierten kürzlich 50 Millionen US-Dollar in das Unternehmen. Spannend dabei: Erst im Frühjahr sammelte das Team 9 Millionen ein.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Gründer Fabio Schmidberger einmal ganz ausführlich über den Stand der Dinge bei voize.

Wie würdest Du Deiner Großmutter voize erklären?
Stell dir vor, eine gute Freundin von dir lebt in einer Pflegeeinrichtung. Wenn du sie besuchst, siehst du oft Pflegekräfte, die während der Vitalwertkontrolle oder beim Prüfen, wie viel sie getrunken hat, alles schnell auf einem Handrücken oder Zettel notieren müssen, nur um es später am PC mühsam abzutippen. Genau diese umständlichen Arbeitsschritte nehmen wir ihnen ab. Dank voize kann die Pflegekraft mit deiner Freundin ganz normal sprechen, während unsere App auf dem Smartphone die Werte automatisch versteht, strukturiert und in die passende Dokumentation überträgt. Am Ende muss die Pflegekraft nur noch kurz prüfen und bestätigen. Dadurch fallen Chaos-Notizen, unnötige Laufwege und doppelte Dokumentation weg. Und am wichtigsten: Deine Freundin und die Pflegekraft haben mehr Zeit, sich über die Enkelkinder oder Alltagsgeschichten auszutauschen, statt sich über Formularfelder zu ärgern.

War dies von Anfang an Euer Konzept?
Da unser Produkt aus einer echten Beobachtung im Pflegealltag entstanden ist, mussten wir nie grundlegend pivoten. Die Kernidee – Pflegekräfte durch KI zu entlasten – ist gleich geblieben. Was sich jedoch stark verändert hat, ist die Tiefe und Breite unseres Produkts. Aus einer reinen Dokumentations-App ist längst eine umfassende KI-Assistenz geworden, die Pflegekräfte in vielen administrativen Aufgaben unterstützt. Ein Beispiel dafür ist die intelligente Schichtübergabe, die Informationen automatisch strukturiert und für das Team verständlich aufbereitet. Unser Fokus liegt inzwischen nicht mehr nur auf Dokumentation, sondern auf dem gesamten Informationsfluss in der Pflege.

Wie hat sich voize seit der Gründung entwickelt?
Wir haben voize 2020 gegründet, damals noch als kleines Team, das aus meiner WG heraus entwickelt und am Produkt gefeilt hat. Auf diese Zeit schauen wir heute mit einem Lächeln zurück. Anfang dieses Jahres waren wir etwa 25 Personen, inzwischen sind wir knapp 100 Mitarbeitende und unterstützen über 75.000 Pflegekräfte in Deutschland. Dieses schnelle Wachstum ist vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Pflegekräfte echt begeistert voize an andere Träger weiterempfehlen.

In den vergangenen Monaten konntet Ihr rund 60 Millionen einsammeln. Wie seid Ihr mit Euren Investor:innen in Kontakt gekommen?
Unser Erfolg ist in der Branche nicht lange unbemerkt geblieben und so wurden wir früh und regelmäßig proaktiv von verschiedenen Fonds kontaktiert. Bevor wir jedoch in Gespräche eingestiegen sind, haben wir eine Liste von VCs erstellt, mit denen wir uns strategisch eine Zusammenarbeit vorstellen konnten. Auf dieser Basis haben wir dann sehr gezielt Gespräche geführt, Calls aufgesetzt und gemeinsam evaluiert, wer zu unserer Mission passt. Das Ergebnis war ein Investorenkreis, der nicht nur Kapital, sondern vor allem Expertise und Netzwerk mitbringt.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Natürlich ist einiges schief gegangen. Ein prägendes Beispiel ist unsere Bewerbung bei Y Combinator. Heute sind wir stolz, YC als Unterstützer an unserer Seite zu haben, aber der Weg dorthin war alles andere als einfach. Die ersten drei Bewerbungen wurden abgelehnt. Mit jeder Bewerbung haben wir viel gelernt, Feedback aufgenommen und tiefer zeigen können, dass voize von unseren Anwendern wirklich geliebt wird. Diese Erfahrung hat uns Durchhaltevermögen gelehrt. Gerade im Startup-Leben wird selten darüber gesprochen, wie oft etwas nicht klappt, bevor es dann wirklich erfolgreich ist.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Unsere größte Stärke war und ist unser extrem starker Product-Market-Fit. Wir haben Tausende Stunden in Pflegeeinrichtungen verbracht, Prozesse beobachtet, Pflegekräfte begleitet und verstanden, wie Pflege wirklich funktioniert. Diese Vorarbeit ist ein unschätzbarer Vorteil und der Grund, warum voize in der Praxis so sehr von Pflegekräften geliebt wird. Außerdem haben wir früh gelernt, wie wichtig starke Partnerschaften sind. Die tiefe Zusammenarbeit mit großen Integrationsanbietern wie Connext Vivendi und MEDIFOX DAN hat uns ermöglicht, nahtloser Teil bestehender Systeme zu werden und schneller zu skalieren. Ein weiterer Punkt: Wir haben sehr früh auf eigene KI gesetzt und ein eigenes LLM speziell für die Pflege entwickelt. Diese Spezialisierung wird immer ein Vorteil gegenüber offenen Modellen sein. Durch inzwischen mehr als 100 Millionen verarbeitete Pflegeeinträge wird unser Modell kontinuierlich besser und das kann uns so schnell niemand nachmachen.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Sprich ständig mit deinen Nutzer:innen und hör wirklich zu. Die größte Falle bei der Gründung ist, zu viel Zeit im eigenen Kopf und zu wenig im echten Problem zu verbringen. Wenn man nah am Nutzer bleibt, trifft man bessere Produktentscheidungen, entwickelt nachhaltiger und schafft echte Traktion, was wiederum Investor:innen überzeugt.

Wo steht voize in einem Jahr?
In einem Jahr wird voize in vielen Pflegeeinrichtungen nicht mehr “die neue Lösung” sein, sondern der Standard. Unsere KI wird weitere Bereiche des Pflegealltags vereinfachen, Prozesse intelligent vernetzen und noch mehr Zeit für echte Pflege schaffen. Außerdem werden wir voize in weitere Pflegebereiche wie in der Eingliederungshilfe, Amublanten Pflege und im Klinikum ausweiten und In die USA expandieren. Kurz gesagt: Wir stehen erst am Anfang und die nächsten zwölf Monate werden entscheidend dafür sein, wie schnell wir unsere Vision in der Breite Realität werden lassen.

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Foto (oben): voize