Jugendschutz im deutschen Internet – Warum werfen wir der internationalen Konkurrenz unseren Markt zum Fraß vor?

Jugendschutz im deutschen Internet – Warum werfen wir der internationalen Konkurrenz unseren Markt zum Fraß vor?” – Gastbeitrag von Thomas Promny, Internet-Unternehmer aus Hamburg. Vielleicht muss ich doch irgendwann noch mal Politiker werden. Auf jeden Fall bin ich schon mal genervt genug um hier mal wieder was zu bloggen.

Mittlerweile ist es schwierig mit anzusehen, wie die deutsche Politik und Justiz immer größere Teile des Internetgeschäfts für einheimische Unternehmen so wesentlich erschwert, dass sie am Ende nur noch von den US-Amerikanern bedient werden, denen deutsche Rechtsvorschriften egal sind.

Video on Demand und Alterskontrolle

Ein Markt, in dem ich zum Glück nicht selbst unternehmerisch engagiert bin, aber den ich immerhin als Kunde und Nutzer kenne. Apple, Google und co. verkaufen an deutsche Kunden nach deutschem Recht jugendgefährdende Inhalte (Filme, Musik usw.) ohne adäquate Alterskontrolle:


Itunes Alterskontrolle – eine Farce

Ein einfacher Klick genügt hier, um den Inhalt zu erwerben. Ein deutscher Anbieter müsste mit einigermaßen drakonischen Strafen rechnen, wenn er keinen dem deutschen Recht entsprechenden Alterscheck dazwischen schaltet. Die praktikabelste Variante dessen ist Postident: ein Verfahren, bei dem der potenzielle Kunde persönlich zur Postfiliale laufen muss um dort seinen Ausweis vorzulegen. Man muss kein Online-Marketing-Experte sein um sich vorstellen zu können, dass das so gut wie niemand macht. Insbesondere dann nicht, wenn es die gleichen Inhalte bei der US-Konkurrenz ohne solchen Aufwand zu kaufen gibt.

Dabei geht es natürlich nicht darum, dass die deutschen etwas weniger Umsatz mit dem Verkauf von Pornos machen können als die Amerikaner. Altersbeschränkungen gelten ja auch für viele andere Filme und kaum ein Nutzer benutzt dauerhaft verschiedene derartige Anbieter sondern entscheidet sich früher oder später dafür, alles bei dem bequemsten zu kaufen. Die deutschen Wettbewerber haben also keine Chance. Die Politik will es so.

User Generated Content

Ein anderer Markt, mit dem ich allerdings unternehmerisch zu tun habe, seit vielen Jahren. Seit dem Jahr 2000 habe ich User-Generated-Content-Seiten wie lustich.de oder FunFire.de betrieben. Mittlerweile ist das aber in Deutschland leider nicht mehr möglich. Früher gab es mit diesen Seiten gelegentlich Ärger mit Urheberrecht, weil diese Seiten in Wahrheit in erster Linie “User Stolen Content” beinhalten. Das geht auch Facebook oder Youtube nicht anders und hat sich mittlerweile halbwegs beruhigt, weil der Kampf für die Rechteinhaber auf Dauer ohnehin nicht zu gewinnen ist.

Eine andere Front ist aber erst in den letzten Jahren wesentlich schwieriger geworden und hat das Geschäft leider mittlerweile unmöglich gemacht, in Deutschland zu betreiben: Der Jugendschutz.

Bei solchen Seiten ist es selbstverständlich, dass die teilweise dummen Kinder auch dumme Kommentare abgeben, die neben Sexismus auch Nazi-Hirnlosigkeiten beinhalten. Das kann man nicht verhindern, solange es keine Möglichkeiten der Zugangsbeschränkung aufgrund des IQ gibt.
Früher gab es das Rechtskonstrukt der Haftung ab Kenntnisnahme um den Betreibern solcher Plattformen in die Situation zu bringen, die mit etwas gesundem Menschenverstand die einzig logische ist: Kein Mensch kann die Millionen Kommentare, die täglich auf Seiten wie Facebook oder Youtube eintrudeln, vorab kontrollieren. Dass manche davon beleidigend oder sexistisch sind, ein paar sogar rassistisch, liegt in der Natur der Sache. Es ist nicht zu verhindern.

Auch auf unseren Seiten wurden regelmäßig pornographische Bilder hochgeladen oder obszöne und dumme Kommentare hinterlassen. Es sind natürlich auch teilweise ziemliche dumme Menschen im Internet unterwegs und deren Meinungsfreiheit, ihre Dummheit kundzutun, scheint im deutschen Rechtssystem nicht hoch im Kurs zu stehen.

Haftung ab Kenntnisnahme bedeutete für die Betreiber solcher User-Generated-Content-Plattformen, dass man rechtswidrige Inhalte umgehend löschen musste, wenn man beispielsweise von Jugendschutz.net darauf hingewiesen wurde. Der Vorteil war: Man haftete erst ab diesem Moment und wenn man umgehend löschte, war alles erstmal gut.

Der Abschied von der Haftung ab Kenntnisnahme

Leider ist die deutsche Justiz in den letzten Jahren vom Prinzip der Haftung ab Kenntnisnahme weitgehend verabschiedet. Auch den letzten Jugendschützern scheint klar geworden zu sein, dass sie gegen Windmühlen kämpfen, wenn sie uns und sicher auch vielen anderen Betreibern von UGC-Seiten monatlich Briefe mit Löschungswünschen schicken wollten. Man könnte jetzt auch “Zensur!” schreien, aber das führt jetzt zu weit vom Thema weg.

Also haben die Jugendschützer und Wirtschaftsverhinderer der Landesmedienanstalten – wir haben v.a. mit der von Hamburg und Schleswig-Holstein zu tun – beschlossen, dass Seiten, die immer wieder durch “jugendgefährdende Inhalte” auffallen, eine Altersbeschränkung einführen müssten, also nur Zugang nach Postident ermöglichen. Das kommt natürlich vom Effekt her der Abschaltung der Seite gleich.

Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben sie uns in den letzten Jahren immer wieder Bußgelder auferlegt, zuletzt ca. 3.800 Euro Strafe allein für FunFire.de für das Jahr 2012. Das ist ungefähr alles, was so eine Seite im Jahr überhaupt an Umsatz generiert. Davon kann man keine Redaktion bezahlen, die jeden Nutzerkommentar prüft. Es ist also unmöglich geworden, so ein Geschäft hier zu betreiben. Leider darf ich keine Auszüge aus den Unterlagen und Bußgeldbescheiden hier veröffentlichen, das ist verboten laut StGB § 353d (“Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen”).

Die US-Konkurrenz von Cheezburger, 9Gag und co. aber auch Youtube und Facebook lacht sich vermutlich kaputt, wenn sie ein Fax von Jugendschutz.net bekommen. Wir können das leider nicht tun und müssen uns der deutschen Medienzensur beugen. Oder es eben lassen und aus Deutschland heraus keine solchen Projekte mehr betreiben. Der Landesmedienanstalt ist das egal. Sie freuen sich über den Sieg des deutschen Jugendschutzes gegen die adfire GmbH während Youporn und co. weiterhin Hardcore-Pornos verbreiten und Facebook, Youtube und co. weiterhin die gleichen dummen Nutzerkommentare beherbergen wie unsere Seiten, nur in tausendfach größerer Menge.

Für mich klingt das als würde sich ein Feldherr über das Zerquetschen einer gegnerischen Mücke freuen, während das feindliche Heer ungehindert einmarschiert.


Kommentare auf Youtube – für derartige Inhalte gibt’s für einheimische Unternehmen Bußgelder. Youtube muss da nicht mitmachen.

Als deutsches Kleinunternehmen mit einer Landesmedienanstalt ernsthaft vor Gericht ziehen?

Ich habe in Situationen akuter Verärgerung über diesen Mist natürlich darüber nachgedacht, das ganze vor Gericht auszufechten. Tatsächlich ist das aber ziemlich unrealistisch. Erstens habe ich wesentlich mehr Lust, meine Zeit produktiv einzusetzen und Gerichte sind verdammt unproduktiv. Zweitens kann eine Landesmedienanstalt sicher wesentlich mehr Geld aufbringen um ihre Daseinsberechtigung vor Gericht zu verteidigen als ich um ein kleines, für mich ziemlich unwichtiges, Geschäft zu retten.

Irgendeine Besserung in Sicht?

Es gäbe zwei Möglichkeiten, um die Situation wieder gerechter zu gestalten:
Entweder könnte man den ganzen deutschen Jugendschutzunsinn abschaffen wegen offensichtlicher Undurchsetzbarkeit. Wem nützt es, Kommentare von dummen Kindern auf FunFire.de zu löschen, während auf Youporn & co. Hardcore-Pornos für jeden frei verfügbar sind? Aber auf so ein konsequentes Eingeständnis politischer Machtlosigkeit hofft man wohl vergeblich.

Oder man müsste juristische und/oder technische Wege finden, auch die internationalen Anbieter den deutschen Jugendschutzbeschränkungen zu unterwerfen. Juristisch wird das kaum umsetzbar sein, also müssten technische Hürden her. Möglich ist das sicher: Chinesen und andere Feinde des freien Wortes schaffen das ja auch.

Aber das ist wohl in Deutschland kaum vorstellbar: Youporn und co. werden nicht gesperrt werden, wohl in erster Linie, weil die amtierenden Politiker fürchten, damit den Piraten die perfekte Wahlkampfvorlage zu liefern und sie so mit dem Thema Netzzensur wieder in die Landtage zu heben.

Also ist wohl auch keine Besserung in Sicht. Welche Teile des deutschen Internetmarktes werden wir als nächstes der internationalen Konkurrenz zum Fraß vorwerfen, während die deutschen Anbieter kaputtreguliert werden?

Zur Person
Thomas Promny, 32, ist mit seiner Velvet Ventures GmbH Internet-Unternehmer aus Hamburg. Neben den im Artikel genannten Online-Publishing-Geschäften ist er Mitgründer verschiedener Online-Marketing-Unternehmen und Veranstaltungen wie dem Online-Karrieretag und der d3con Konferenz.

Foto: person holding a paper chain family between its fingers from Shutterstock