Der Investitionszuschuss Wagniskapital ist gut gemeint – muss aber mit weiteren Maßnahmen ergänzt werden

Der Investitionszuschuss Wagniskapital ist gut gemeint – muss aber mit weiteren Maßnahmen ergänzt werden – Gastbeitrag von Alexander Stoeckel, Partner bei b-to-v Partners: Am 15. Mai ist das Programm „Investitionszuschuss Wagniskapital“ gestartet, das vom deutschen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Zusammenarbeit mit professionellen Wagniskapital-Investoren entwickelt wurde.

Erste Einzelheiten zu diesem Programm, das mit 150 Millionen Euro dotiert ist, sind auf den Internetseiten der BAFA verfügbar. Das Programm in Kurzform: Mit dem „Investitionszuschuss Wagniskapital“ will die Bundesregierung private Investitionen in innovative deutsche Start-ups fördern. Venture Capital-Geber bekommen pro Start-up 20 % ihrer Investitionen – bis zu einer Maximalsumme von 250.000 Euro – erstattet – siehe dazu auch “Bundesregierung schenkt privaten Investoren 20 % ihrer Investitionssumme“.

Seitens b-to-v nehmen wir den Start des Programms „Investitionszuschuss Wagniskapital“ zum Anlass, die Sicht eines Marktteilnehmers auf dieses Programm darzustellen. b-to-v ist als seit mehr als 10 Jahren aktiver institutioneller Venture Capital-Investor in Start-ups und begleitet darüber hinaus eines der aktivsten und traditionsreichsten Privatinvestorennetzwerke in Europa, den b-to-v Investorenkreis. In 2012 wurden von den Mitgliedern des b-to-v Investorennetzwerks und den b-to-v Funds insgesamt 24 Millionen Euro in Direktbeteiligungen an unternehmerischen Projekten investiert. Das Gesamtvolumen der in 2012 von b-to-v begleiteten Finanzierungsrunden belief sich auf über 90 Millionen Euro.

Grosses politisches und öffentliches Interesse an Start-ups

Start-ups leisten wichtige Beiträge zur langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung einer Region oder eines Landes. Als Paradebeispiel wird regelmässig auf das Vorbild Silicon Valley in den USA verwiesen. Und natürlich sind die Impulse des Silicon Valley auf die Wirtschaft im Bundesstaat Kalifornien nicht von der Hand zu weisen. Würde Kalifornien nicht zu den Vereinigten Staaten gehören, wäre es die achtgrösste Wirtschaftsmacht der Welt.

Das Interesse der Politik an der Förderung der Start-up Kultur in Deutschland ist also nachvollziehbar. Eine weitere Grundüberzeugung wirtschaftspolitischen Denkens mit Blick auf Start-ups ist der Glaube an die Kraft der mittelständisch geprägten Wirtschaft. Das Mantra der deutschen Wirtschaftspolitik ist bekannt: Im Mittelstand entstehen die meisten Arbeitsplätze, aus dem Mittelstand heraus wachsen Großunternehmen bzw. Innovationen, die dann von Großunternehmen im internationalen Wettbewerb eingesetzt werden. Und worauf basiert der Fortbestand des Mittelstands? Auf dem Erfolg der angestammten Mittelstandsunternehmen und auf erfolgreichen Unternehmensgründungen, aus denen sich neue mittelständische Unternehmen entwickeln bzw. die von grösseren Mittelstandsunternehmen akquiriert werden. Gelingt der erfolgreiche Markteintritt von Start-ups, so dient er gemäß dieses Paradigmas nicht nur den jungen Unternehmern selbst, sondern kommt dem gesamten Wirtschaftssystem der Region zugute, zu dem Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, Investoren, Großunternehmen und letztlich die Gesellschaft an sich zu zählen sind. Start-ups tragen zudem in sich ein besonderes Reproduktions-Gen: Nicht selten entwickeln sich aus erfolgreichen Start-up-Teams neue Business Angels, die bevorzugt in Start-ups investieren, sowie neue Start-ups. Es gibt also positive Schneeballeffekte – und auch hier ist das Silicon Valley schillerndes Vorbild.

Vom Wohl und Weh staatlicher Anreizprogramme

Sind staatliche Anreizprogramme grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Förderung von Start-ups? Die Antwort muss in unseren Augen differenziert ausfallen. Es gibt wenige Beispiele für staatliche Anreizprogramme, denen es gelungen ist der Privatwirtschaft signifikante Impulse zu geben, aus denen sich in der Folge nachhaltige wirtschaftliche Realitäten entwickelt haben. Häufiger ist zu beobachten, dass staatliche Subventionen sich unbeabsichtigt zu einem elementaren (und scheinbar unverzichtbaren) Pfeiler von Industrien entwickeln, siehe Landwirtschaftssektor oder Bergbausektor. Mit dem Wegfallen der Programme geraten dann häufig auch die zuvor geförderten Bereiche in Existenznöte. Und ganz überraschend ist das auch nicht: Häufig führt der mit staatlichen Anreizprogrammen einhergehende zu weniger Wettbewerb in den geförderten Branchen. Das ist für die Unternehmen zwar kurzfristig angenehm, langfristig aber ungesund. Geförderte Unternehmen sind nicht dem mitunter kühlen Gegenwind des Marktes ausgesetzt, spüren zum Beispiel auch den Druck von Kosten erst später oder in geringerer Härte und verlieren in dieser Zone der Bequemlichkeit ihre Schärfe und Wettbewerbsfähigkeit, die für den nachhaltigen Erfolg unerlässlich ist.

Nur ein politisch motiviertes Strohfeuer?

Wenn also die Wirksamkeit staatlicher Anreizprogramm hinterfragt werden kann, steht dann hinter dem hier vorliegenden Programm ein anderes taktisches Kalkül? Handelt es sich um ein politisch motiviertes Strohfeuer? Diese Befürchtung kann wohl verneint werden. Die Lancierung des Programms rund vier Monate vor den Bundestagswahlen dürfte zwar von Vertretern der Opposition im deutschen Bundestag als Wahlkampfinitiative bezeichnet werden, aber das Programm hat bei Lichte betrachtet nicht das Format einer rein wahltaktisch motivierten Aktion. Man beachte nur das bis dato sehr geringe Presse-Echo, das für eine gezielte Wahlkampfaktion zu gering ist. Und auch die Anzahl der Köpfe im Business Angel Segment in Deutschland ist zu gering, um in wahltaktischen Erwägungen überhaupt Beachtung zu finden. Genaue Marktzahlen zur Anzahl von Business Angels in Deutschland gibt es zwar nicht, Dachorganisationen wie das Business Angel Netzwerk Deutschland e.V. gehen aber von nur etwa 5.000 aktiven Business Angels in Deutschland aus. Auch von Klientelpolitik kann man nicht gesprochen werden, denn das Programm liefert keine Freifahrscheine, sondern bedingt, dass der Grossteil (80 %) des in ein Start-up investierten Kapitals weiterhin aus dem Vermögen des Investors kommt. Erst nachdem das Investment aus privaten Mitteln in voller Höher getätigt und das eigene Geld des Investors damit komplett dem Verlustrisiko ausgesetzt wurde, kann der Zuschuss beantragt werden. Und die Verlustrisiken für die genannten 80 % des eigenen investierten Kapitals sind für jeden Investor auch weiterhin start-up-typisch extrem hoch. Empfinden Sie die Aussicht, von Ihrem privaten Investment in Höhe von 250.000 Euro (vorbehaltlich Gewährung des Zuschusses) einen Rückfluss von 50.000 Euro zu erhalten wirklich als eine massive Dämpfung Ihres Risikos?

Praxisorientiertes Programm

Das vorgelegte Programm ist keine Einzelmassnahme ohne Kontext; es wurde in Zusammenarbeit mit Kennern der Venture Capital- und Business Angel-Szene entwickelt. Es ist eingebettet in einen breiten Kanon staatlicher monetärer und nicht-monetärer Start-up-Förderungsmassnahmen. Verschiedene staatliche oder staatlich geförderte Institutionen stehen Unternehmensgründern schon heute mit Kapital und anderen Leistungen zur Seite. Die Anforderungskriterien für den Bezug einer Förderung im Rahmen des Programms „Investitionszuschuss Wagniskapital“ sind einfach, transparent und erreichbar. Und übrigens können auch Privatinvestoren, die nicht in Deutschland ansässig sind, für Start-up Investments in Deutschland diese Förderung beantragen. Zudem wurde das Programm nicht als „Tropfen auf den heißen Stein“ entwickelt: Mit 150 Millionen Euro ist das Budget durchaus ansprechend dotiert, wenn man bedenkt, dass gemäß des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften bundesweit im Jahr 2012 nur rund 520 Millionen Euro Venture Capital-Investitionen getätigt wurden. Es ist davon auszugehen, dass eine Nutzung des Investitionszuschusses fester Bestandteil der Investmentstruktur der meisten Start-up Beteiligungen in Deutschland nach dem 15. Mai 2013 wird.

Welche Wirksamkeit ist von diesem Programm zu erwarten?

Es fällt sofort auf, dass sich das Programm gezielt an private Start-up-Investoren richtet und nicht an Unternehmensgründer. Das ist ein neuer und spannender Akzent. Die Plausibilisierung ist eigentlich klar: Wer wäre besser geeignet junge Unternehmer bei der Entwicklung ihrer Start-ups mit Kapital, Know-how und Erfahrung zu unterstützen als erfahrene Unternehmer, die sich als Business Angels engagieren und ihre Expertise aus eigenen Unternehmensgründungen zur Verfügung stellen? Die Gestalter des Programms „Investitionszuschuss Wagniskapital“ gehen offenbar auch davon aus, dass man diese Konstellation fördern sollte. Und das Ziel ist vermutlich noch weiter gesteckt, denn idealerweise gelingt es, sogar mehr Business Angel Investments in Start-ups zu motivieren.

Die dem Programm zugrunde liegende Annahme ist in der Struktur reflektiert: Wenn das Risiko-Rendite-Potential von Start-up-Investments attraktiver gemacht werden könnte, d.h. wenn das Risiko etwas gedämpft würde bei gleichzeitiger Beibehaltung der hohen Renditechancen, dann würde man mehr Business Angel Investments sehen. Also beteiligt sich der Staat nun im Rahmen des Programms mit bis zu 20 % (und maximal 50.000 Euro) an den Start-up-Investments von privaten Investoren und dämpft dadurch deren Ausfallrisiko.

Ob die implizite These des Programms stimmt, d.h. ob ein Investor, der vorher fünf Investments à 50.000 Euro tätigen wollte, nun tatsächlich sechs Investments à 50‘000 Euro tätigt, weil ein Investment quasi von Vater Staat subventioniert wird, bleibt abzuwarten. Skeptiker mögen einwenden, dass viele Investoren ihre Investments nicht so sehr vor dem Hintergrund von Kapitalengpässen beschränken, sondern sie machen bewusst nicht „mehr“, weil ihr Portfolio ab einer bestimmten Größe unübersichtlich zu werden droht. Gerade im Start-up-Bereich ist persönliches Engagement des Investors gefordert und gewünscht. Daraus ergibt sich, dass nicht unendlich viele Investments parallel getätigt und aktiv begleitet werden können.

Eine weitere implizite Annahme der Gestalter des Programms ist offenbar: „Mehr bringt mehr“. Mit anderen Worten: Mehr Business Angel Investments bringen mehr Start-ups auf den Weg und bringen auch mehr der oben skizzierten schönen Effekte, also mehr Arbeitsplätze, mehr Innovation, mehr Mittelstandsnachwuchs usw. Aber ist das so? Wurde das Silicon Valley, wenn man sich schon an Vorbildern orientieren möchte, auf diese Weise aufgebaut und erfolgreich? Und ist eine staatliche Subvention von 50.000 Euro mit dem Ergebnis der Risikodämpfung von Privatinvestoren besser investiert als zum Beispiel eine betragsgleiche Investition in den Bildungsbereich? Die Wirksamkeit des Programms ist mit Sicherheit zu beobachten und zu untersuchen. Insbesondere hinsichtlich (a) Führt das Programm tatsächlich zu „mehr“ Start-up Investitionen und (b) lässt sich (und wenn ja, mit welchen Parametern?) belegen, dass das „Mehr“ an Start-up Investitionen auch zu „mehr“ nachhaltigem volkswirtschaftlichem Nutzen führt.

Blick nach vorn

Start-up-Investoren blicken, wie eingangs dieses Beitrags erwähnt, durchaus mit einer Mischung aus Faszination und Neid nach Kalifornien ins Silicon Valley. Nur wenige professionelle Venture Capital Investoren und Business Angels werden die Entwicklung eines ähnlich erfolgreichen und strahlkräftigen Start-up-Systems in Deutschland kurzfristig für möglich halten. Aber die meisten werden zustimmen, dass man sich an dieser Vorgabe durchaus orientieren kann. Drei Vorschläge für weitere Massnahmen wollen wir – wenn auch nicht zum ersten Mal – nochmals ins Gespräch bringen:

1) Für Unternehmertum begeistern – auch die Kleinen
Die gezielte Förderung / Ermunterung zu unternehmerischem Denken und Handeln beginnt nicht erst an der Berufsschule oder in der Universität, sondern in der Schule. Und unternehmerisches Handeln hat dabei nicht notwendigerweise nur mit Wirtschaft zu tun, sondern vielfach auch mit kulturellen Projekten. Die Organisation eines schulischen Musikabends ist ein erstes Start-up. Es ist nicht nötig, Mark Zuckerbergs Lebensgeschichte zu einem Musterbeispiel zu verklären. Aber es kann nicht schaden, Schüler zu ermutigen, sich in Projekten aller Art mit unternehmerischer Kreativität zu engagieren, Projekte zu gestalten, Probleme zu umschiffen, Risiken zu übernehmen und Dinge eigenverantwortlich zu entwickeln.

2) Know-how teilen und Start-ups auch neuen Investoren zugänglich machen
Die Venture Capital Branche hat sich, wie die meisten Bereiche der Finanzindustrie, mit einem bunten Strauss mehr oder weniger präziser und nützlicher Anglizismen umgeben. Das macht es Menschen, die sich grundsätzlich für Start-up Investments interessieren, nicht immer leicht, Zugang zu solchen Bereichen zu finden. An Universitäten werden Venture Capital Investments immerhin im Zusammenhang mit anderen Asset Management Themen erläutert. Aber für gestandene Unternehmer, die sich vielleicht erst im Alter von 50 Jahren für Start-up Investments interessieren, gibt es nur vereinzelt Fortbildungsangebote. Und selbst mit dem entsprechenden Wissen ausgestattet ist der Weg noch nicht leicht: Wie erhalte ich Zugang zu Start-ups? Wie beurteile ich Start-up Business Pläne? Wie beteilige ich mich an Start-ups? Hier sollten sich Venture Capital Unternehmen und ggf. Universitäten, Volkshochschulen und staatliche Einrichtungen zusammensetzen und – wie zum Beispiel in der Schweiz und Österreich schon zu beobachten – gezielt und vermehrt Business Angel Kurse anbieten.

3) Universität als Geburtsstätte von Start-ups
Einige Universitäten, u.a. die WHU/Otto Beisheim School of Management in Deutschland oder die Universität St. Gallen in der Schweiz, haben bereits sehr bewusst einen Schwerpunkt des Curriculums auf den Bereich Unternehmertum gesetzt. An vielen anderen Universitäten, insbesondere an Hochschulen mit diversen Fakultäten unter einem Dach, wird die Vernetzung von Studenten unterschiedlicher Fachbereiche noch zu wenig systematisch betrieben. Und nur in absoluten Ausnahmefällen gelingt es, Studenten beispielsweise aus den Bereichen Maschinenbau, Medizin, Recht und Wirtschaft systematisch zusammenzuführen und auf die Möglichkeit interessanter gemeinsamer unternehmerischer Projekte aufmerksam zu machen. Das Potential, das derzeit an europäischen Hochschulen noch mehr oder weniger brachliegt, dürfte unabschätzbar wertvoll sein.

Zusammengefasst sagen wir als Akteur in der Start-up-Szene, dass wir die Initiative „Investitionszuschuss Wagniskapital“ ausdrücklich befürworten. Die Wirksamkeit bleibt abzuwarten und sollte nicht nur von Marktteilnehmern beurteilt werden. Und wir regen an, diese Initiative mit weiteren nicht-monetären Aktivitäten, die deutlich langfristiger angelegt sind zu flankieren. Hierzu gehört wie gesagt allem voran eine feste Verankerung unternehmerischen Denkens und Handelns in den Ausbildungsstätten des Nachwuchses, d.h. an den Schulen und Universitäten, die „Ausbildung“ von Business Angels als professionell agierenden Investoren sowie nachgelagert ein Abbau von Administration und Regulierungen. Der Jobs Act in den USA hat u.a. dazu beigetragen, dass sich die ohnehin florierende Venture Capital Industrie in den Vereinigten Staaten weiter modernisiert und beispielsweise im Rahmen von Crowd Funding auch für ein breiteres Publikum und somit für grössere Finanzierungsvolumina öffnet. Mit gewissen Anpassungen könnten ähnliche gesetzliche Regelungen auch der Venture Capital Industrie und damit der Start-up Szene in Europa neue Impulse geben.

Flyer zum Investitionszuschuss Wagniskapital (PDF). Merkblatt für Investoren (PDF), Merkblatt für Unternehmen (PDF). Weitere Infos auf der Internetseiten der BAFA und der Richtlinie zur Bezuschussung von Wagniskapital privater Investoren für junge innovative Unternehmen (PDF).

Foto: BAFA

Zur Person
Alexander Stoeckel ist Partner bei b-to-v Partners. Stoeckel kam 2007 zu b-to-v, wurdeEnde 2011 zum Principal und Ende 2012 zum Partner berufen. Stoeckel studierte BWL an der European Business School (ebs) sowie der International School of Management (ISM) und absolvierte seinen MBA an der University of Oxford. Vor b-to-v war Stoeckel als Dachfondsmanager für Hauck & Aufhäuser Privatbankiers und als Vorstandsassistent für KPMG tätig.