Gastbeitrag: Coworking Boom im Lande – Die Professionalisierung einer Bewegung

Noch vor kurzem wurde Coworking und die daraus hervorgegangenen Coworking-Spaces als die „Arbeitsheimat“ der „digitalen Boheme“ belächelt. Der Begriff Coworking (engl. “zusammen arbeiten”) ist eine amerikanische Wortschöpfung und bezeichnet ursprünglich nicht viel mehr als ein auf Grund hoher Mieten gemeinschaftlich genutztes Büro in innerstädtischen Zentren mit der dazugehörigen Infrastruktur, sprich Internetzugang, Telefon und vielleicht noch einer Kaffeemaschine. Dieser pragmatische Ansatz, der vor allem von Freiberuflern gerne genutzt wurde, erhielt im Zuge des anhaltenden Outsourcing-Trends in Branchen wie der IT oder den kreativen Dienstleistungen im letzen Jahrzehnt immer größeren Zulauf. In den Ballungszentren der USA, etwas später auch in Europa, entstanden in der Folge große Coworking – Spaces mit angegliederten Cafes und modern ausgestatteten Meeting- und Veranstaltungsräumen.

Einer der ersten und derzeit größten Coworking-Spaces in Deutschland ist das 2008 gegründete Betahaus (www.betahaus.de) in Berlin mit einer Grundfläche von 700 Quadratmetern und über 150 Arbeitsplätzen. Erst vor wenigen Tagen hat mit dem Werkheim (www.werkheim-hamburg.de) der erste Coworking Space Hamburgs mit 80 Arbeitsplätzen seine Pforten geöffnet. Inzwischen gibt es in nahezu jeder größeren deutschen Stadt eine oder mehrere Coworking-Einrichtungen (ein Überblick findet sich auf www.hallenprojekt.de) und die Vernetzung der einzelnen Standorte mit dem Ziel einheitlicher Zugangs- und Nutzungsbedingungen ist bereits im vollen Gange.

Aus benachbarten Schreibtischen wird ein Kompetenz-Cluster

Viele hochqualifizierte Freiberufler schätzen flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, ihre Projekte frei auswählen zu können. Als negative Begleiterscheinungen der Selbständigkeit gelten hohe administrative Kosten, wie beispielsweise Buchhaltungsaufgaben, die neben dem eigentlichen Job bewältigt werden müssen. Hinzu kommen die Auftrags-Akquise und die Organisation des eigenen Arbeitsplatzes. Noch komplizierter wird es, wenn man im Team arbeiten möchte. Zumindest in punkto flexibler und einfacher Arbeitsorganisation leisten die Coworking-Einrichtungen schon jetzt Abhilfe. Neben dem physischen Arbeitsplatz, der tageweise oder auch längerfristig angemietet werden kann, finden Freiberufler und Unternehmensgründer eine weitere wichtige Ressource für die kreative und erfolgreiche Arbeit: einen professionellen und sozialen Rahmen für ihre Projektarbeit. „Freelancern haftete lange Zeit das Stigma des präkarisierten Einzelkämpfers an, der einsam vor seinem Laptop im Café sitzend seiner brotlosen Kunst nachgeht“, beschreibt Wolfgang Wopperer ein weitverbreitetes Klischee. Wopperer ist Mitgründer der Web-Entwicklungsagentur mindmatters und einer der Vordenker der Hamburger Coworking-Szene. Er konzipiert gemeinsam mit den Betreibern des Betahaus bereits den nächsten Coworking-Standort in der Hansestadt. Dieser regelrechte Coworking-Boom hängt nach Meinung von Christian Thron, Projektsprecher für Werkheim, mit ungenügenden Förderungen der neuen „Creative Industries“ zusammen: „In Hamburg arbeiten circa 65.000 Menschen in der Kreativwirtschaft, von denen 75 % in Klein- und Kleinstunternehmen tätig sind. Nach unserer Erfahrung sind das Unmengen an kreativen Einzelkämpfern, die ganz andere Angebote brauchen, als das, was gegenwärtig in Hamburg zu finden ist.“ Thron, der selbst aus der Hamburger Kreativ-Szene stammt und jetzt bei der Betreiberfirma des Werkheim, der Hamburger Kommunikationsagentur deepblue angestellt ist, sieht vor allem in der persönlichen und fachlichen Interaktion vor Ort einen deutlichen Kommunikationsmehrwert: „Der Austausch ist gewollt und geht in seiner Vielfalt weit über das hinaus, was digitale Networking-Angebote wie Xing oder Facebook leisten.“ Auch Wolfgang Wopperer vom Betalab sieht in dem direktem Austausch von Ideen, der durch die Coworking-Strukturen begünstigt wird, einen perfekten Nährboden für fruchtbare Kooperationen: „Wir beobachten unter den Coworkern eine Tendenz zum vernetzten Arbeiten und damit einhergehend die Entstehung neuer Kompetenz-Cluster. Diese Wissenszentren sind oftmals die Keimzelle für neue Geschäftsideen und mittelfristig auch für Unternehmensgründungen.“

Dieses enorme Produktiv-Potenzial der Coworking-Spaces hat auch die auf Vermittlung von IT- und Kreativ-Dienstleistungen spezialisierte Hamburger Projektbörse, Projektwerk (www.projektwerk.de), erkannt. Die Geschäftsführerin des Online-Portals, Christiane Strasse, erhofft sich durch das Entstehen und die Vernetzung der Coworking -Spaces eine höhere Sichtbarkeit der Interessen von Freelancern. „Freiberufler haben in Deutschland bisher keine Lobby, obwohl sie in vielen Branchen, wie beispielsweise der IT oder in den kreativen Berufen, eine zentrale Rolle in der Wertschöpfungskette spielen.“ Projektwerk soll sich nach dem Willen von Strasse künftig eng mit den Coworking-Spaces verzahnen und als Kontaktpunkt zur Auftraggeberseite fungieren. Eine Software-Schnittstelle, so eine gemeinsam entwickelte Idee der Hamburger Spezialisten Strasse und Wopperer, würde den Nutzern der Coworking-Spaces die Möglichkeit bieten, ihre Dienstleistungen auf einer zentralen Plattform anzubieten und ihnen einen direkten Zugriff auf die Projektanfragen von Unternehmen ermöglichen.

Freelancer als begehrte Zielgruppe

Aber auch auf Investorenseite wächst das Interesse an den Coworking-Spaces. „Wir haben bereits Gespräche mit Seed-Finanzierern und Business Angels geführt, die sich für eine engere Zusammenarbeit mit Coworking-Spaces interessieren “, berichtet Wolfgang Wopperer. „Für Investoren auf der Suche nach neuen Geschäftsideen sind die Coworking-Spaces interessante Innovations-Cluster. Auch an dieser Schnittstelle sehen wir großes Potenzial für die Hamburger Kreativwirtschaft.“

Zurzeit sind die Organisationsmodelle und die Ausrichtung der unterschiedlichen Coworking-Einrichtungen deutschlandweit noch relativ heterogen, doch scheint sich bei den Akteuren der Wunsch nach optimalen Arbeitsbedingungen in einem professionellen und sozialen Arbeitsumfeld als gemeinsamen Nenner deutlich herauszukristallisieren. Mit der fortschreitenden Vernetzung der einzelnen Projekte, aber auch mit der Öffnung gegenüber der Auftraggeberseite könnte Coworking den Freelancern nicht nur eine neue Arbeitsheimat, sondern darüber hinaus eine Organisations-Struktur und eine Stimme geben.

Zur Person
Eric Eitel verfasst Beiträge zum Thema Netzkultur und leitet in Berlin das Hauptstadtbüro der PR-Agentur Frische Fische (www.frische-fische.de). Zuvor war er vier Jahre bei PR Newswire, zuletzt als International Account Manager.