#Gastbeitrag

So können Startups bei der Fertigungsindustrie landen

Wer heute in Software für die Fertigungsindustrie investiert oder gründet, kann ein riesiges Potenzial erschließen - sofern man bereit ist, sich auf die Besonderheiten des Sektors einzulassen. Ein Gastbeitrag von Videesha Böckle.
So können Startups bei der Fertigungsindustrie landen
Freitag, 6. Juni 2025VonTeam

Die industrielle Transformation Europas beginnt nicht bei Großkonzernen – sondern im Mittelstand. Gemeinsam mit Fortino Capital hat unser Team von altitude die 50 vielversprechendsten Startups im Bereich “SME Manufacturing Tech” im DACH-Raum identifiziert. Die Ergebnisse zeigen: Wer heute in Software für die Fertigungsindustrie investiert oder gründet, kann ein riesiges Potenzial erschließen – sofern man bereit ist, sich auf die Besonderheiten des Sektors einzulassen.

Eine unterschätzte Chance – mit grundlegender ökonomischer Bedeutung

Mittelständische Unternehmen sind nicht nur das wirtschaftliche Rückgrat Europas, sondern auch eine oft unterschätzte Plattform für technologische Innovation. In Deutschland allein zählen 99,4 % aller Unternehmen zu den kleineren und mittleren Betrieben, die rund 55 % aller Arbeitskräfte beschäftigen. Trotz dieser Größe ist die Digitalisierung in vielen Bereichen kaum fortgeschritten, was enorme Chancen für Softwarelösungen eröffnet – insbesondere im produzierende Gewerbe

Die Analyse der “SME Manufacturing Tech DACH 50” zeigt unter anderem folgende Aspekte:

  • Zwei Drittel der ausgewählten Startups wurden seit 2020 gegründet – ein Zeichen für frische Ideen und Technologien, die zeitnah bereit für Wachstum und Skalierung sind.
  • Gemeinsam beschäftigen diese Jungunternehmen bereits über 3.000 Mitarbeitende.
  • Die Top 50 Unternehmen haben bislang €922 Millionen an Risikokapital aufgenommen, mit einem durchschnittlichen Investment-Volumen pro Startup von €18,4 Millionen (Median = €13,25 Millionen).
  • Die meisten Startups befinden sich noch in der Seed- oder Series-A-Phase – ein attraktiver Zeitpunkt für Early-Stage-Investoren.

Wo das industrielle Rückgrat auf moderne Software trifft

Was viele nicht wissen: Der Großteil der ausgewählten Startups ist software-first, mit klarem Fokus auf industrielle Effizienz. Besonders stark vertreten sind Technologien für:

  • Manufacturing Execution Systems (MES)
  • Qualitätssicherung
  • KI-gestützte Predictive Maintenance

Hinzu kommen aufstrebende Themen wie Digital Twins, Smart Factory Automation, Industrial IoT, Edge Computing und Robotics – alles Technologien, die teilweise gerade erst beginnen, den industriellen Mittelstand zu durchdringen.

Geografisch betrachtet zeigt sich: Deutschland dominiert mit 42 der 50 Startups, gefolgt von der Schweiz (5) und Österreich (3). Die Gründer:innen bringen häufig eine exzellente technische und akademische Ausbildung (u.a. TU München, KIT – Karlsruhe Institute of Technology) und Industrieerfahrung bei OEMs oder Mittelständlern mit – ein starkes Fundament für produktnahe Innovation basierend auf Praxiswissen aus erster Hand.

Warum Kunden noch zögern – und wie man sie überzeugt

Trotz des technologischen Fortschritts bleibt die Adoption in der mittelständischen Industrie mühsam. Die Gründe dafür:

  • Komplexe Abläufe und Prozesse, die schwer zu digitalisieren sind
  • Wenig interne IT-Kompetenz, um Softwarelösungen zu implementieren
  • Skepsis gegenüber Black-Box-Lösungen, insbesondere bei KI
  • Angst vor Produktionsausfällen, die durch ungetestete Systeme entstehen könnten

Der Vertriebsprozess in dieser Branche ist zudem alles andere als linear: Viele Projekte scheitern nicht am Produkt, sondern an mangelnder interner Abstimmung – oft muss der digitale Wandel von unten angestoßen und nach oben verkauft werden.

Go-to-Market (GTM) als Erfolgsfaktor – nicht nur Produktqualität zählt

Gerade für Startups gilt: Wer ein skalierbares Technologieunternehmen mit industriellen Mittelständlern als Zielgruppe aufbauen möchte, muss auch den eigenen Vertrieb als Produkt denken. Erfolgreiche Gründer:innen der SME Manufacturing Tech DACH 50 haben dabei eines gemeinsam:

  • Sie investieren früh in die Validierung ihres Ideal Customer Profile (ICP) und vermeiden “fake product market fit”
  • Sie testen Hypothesen durch “Shadowing” in der Produktion, intensive Use-Case-Validierung und regelmäßige Feedback-Schleifen
  • Sie entwickeln nicht nur horizontale Lösungen, sondern fokussieren sich auf hochrelevante Nischen (“vertical SaaS”)
  • Sie bauen Kundennähe und Vertrauen auf – durch Präsenz auf Messen, persönliche Gespräche und ein tiefes Verständnis industrieller Abläufe

Insbesondere der letzte Punkt ist nicht zu unterschätzen: In traditionellen Industrien wird Vertrauen nicht über Slide Decks, sondern durch Vereinbarungen per Handschlag und belastbare Partnerschaften aufgebaut. Entscheidend ist nicht nur, was ein Software-Produkt kann, sondern dass es bei Werksleitern, Schichtführern und Digitalverantwortlichen gleichermaßen landen und eingeführt werden kann.

Was der Status Quo für Investoren bedeutet

Für Risikokapitalgeber  – und deren Limited Partner (LPs) – eröffnet sich eine große Chance für Investitionen in Technologien, die das Rückgrat der Wirtschaft in der DACH-Region stärken:

  • Ein Markt, der tief verwurzelt, aber technologisch unterversorgt ist
  • Frühphasige Startups mit großem Kapitalbedarf und klaren Wachstumspfaden
  • Themen wie KI, Automatisierung und IIoT, die auch regulatorisch Rückenwind bekommen
  • Ein Ökosystem, das zunehmend Gründer:innen mit Industrie-Background hervorbringt

Zusätzlich zu Kapital können – und müssen – Venture-Capital-Investoren und LPs echten Mehrwert stiften, etwa durch GTM-Support, Netzwerk-Zugang und operative Exzellenz.

Fazit: Der ideale Zeitpunkt, um industrielle Zukunft zu gestalten

Die digitale Transformation der europäischen Fertigung, insbesondere in den deutschsprachigen Ländern, steht immer noch erst am Anfang. Mit unserer Startup-Auswahl der SME Manufacturing Tech DACH 50 möchten wir Gründer:innen, Investor:innen und Industriepartnern Mut machen: Die Voraussetzungen sind da für tiefgreifende Veränderungen, neue Marktführer und nachhaltige Innovation. Auch wenn es fundiertes Branchenverständnis und Ausdauer bei der Kunden- und Produktentwicklung benötigt – jetzt ist der Moment, um zu investieren und zu gründen, um die Zukunft des produzierenden Mittelstands aktiv mitzugestalten.

Über die Autorin
Videesha Böckle ist General Partner bei altitude. 

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Foto (oben): KI