#Gastbeitrag

Warum Wagniskapital nicht weiterhilft …

… und vier weitere wichtige Lehren, die wir aus der Pandemie für den Klimawandel ziehen sollten. Ein Gastbeitrag von Felix Staeritz, Seriengründer, Buchautor und Impact-Investor.
Warum Wagniskapital nicht weiterhilft …
Donnerstag, 22. April 2021VonTeam

Wir können in neun Monaten Impfstoffe gegen eine Pandemie entwickeln – aber schaffen es seit zwei Jahrzehnten nicht, den Klimawandel zu bremsen. Warum? Die naheliegende Antwort ist, dass uns die Pandemie im Unterschied zur Klimakrise als Individuen unmittelbar bedroht und der Feind ein genau identifizierbares Virus ist. Aber diese Antwort blendet eine tiefer liegende Wahrheit aus: Dass unser Wirtschaftsmodell nicht mehr auf die heutigen Herausforderungen passt. Wir sind innovativ, aber oft nicht dort wo es dringend nötig ist. Unser bisheriges System braucht dringend ein Update. Oder wie Martina Larkin vom Weltwirtschaftsforum es in einem unserer Gespräche ausgedrückt hat: “Anstatt zu alten Wirtschaftsmodellen zurückzukehren, ist dies tatsächlich eine große Chance, Wirtschaftsmodelle, Geschäftsmodelle und die Art und Weise, wie wir arbeiten, grundlegend zu überdenken.” Was bedeutet das konkret? Fünf Lehren können wir aus der Pandemie für den Klimawandel ziehen:

Wir können uns nicht auf Wagniskapital verlassen
Heute gilt die Biontech-Story als Ausweis deutscher Innovationskraft. Dabei war es pures Glück, dass es den Impfstoff-Pionier aus Mainz zu Beginn der Pandemie überhaupt noch gab. Hätten die Gebrüder Strüngmann nicht mit dem Verkauf ihres Arzneimittelherstellers Hexal Milliarden verdient, und hätten sie das Geld nicht genutzt, um das Biotech-Start-up nahezu alleine über Jahre zu finanzieren, stünde Deutschland heute ziemlich blank da. Ähnliches gilt für die anderen Impfstoffe: Das zweite deutsche Start-up, CureVac, hielt sehr lange fast nur die Milliarden des SAP-Mitgründers Dietmar Hopp am Leben. Und das Vakzin von AstraZeneca entstammt einem Labor der Universität Oxford. Klassisches Wagniskapital spielte bei der Entwicklung zumindest in Europa nahezu keine Rolle. Mit wenigen Ausnahmen folgen VCs im Wesentlichen Hypes oder dem raschen Geld, aber die großen Aufgaben der Moderne sind weder Hypes noch lässt sich damit das schnelle Geld verdienen. Hinzu kommt, dass VCs, obwohl sie gerne um hohe Einsätze spielen, überraschend risikoscheu sind. Sie finanzieren gerne Unternehmen, die das Potenzial haben, schnell und ohne allzu große externe Abhängigkeiten Umsatz zu generieren. Stark regulierte Märkte, wissenschaftsbasierte Unternehmen und Industrien mit eingefahrener Kultur und vielen Stakeholdern sind nicht ihre bevorzugten Ziele. Doch leider bewegen sich jene Unternehmen, die unsere größten Klimaprobleme lösen könnten, typischerweise genau in diesen Branchen. Wagniskapital wird die Welt daher nicht retten, auch wenn seine Befürworter es immer wieder behaupten. Wir brauchen mehr Unterstützung vom Staat, aber vor allem viel mehr Engagement der großen Firmen. Wie beides aussehen könnte, zeigen die zweite und dritte Lehre.

Wir müssen Innovation neu denken
Als sich das Corona-Virus weltweit ausbreitete, waren die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Tureci überzeugt, ein Mittel dagegen zu haben. Eigentlich entwickelte das Mainzer Start-up eine revolutionäre Therapie, um Krebs zu bekämpfen. Die Idee ist, das Immunsystem auf Tumorzellen zu lenken. Doch Sahin war überzeugt, dass sich mit dem Ansatz auch Infektionskrankheiten bekämpfen lassen. Sie behielten recht, und doch ist dies nur ein Teil der Geschichte. Denn ohne die Hilfe von Pfizer wäre Biontech wohl nicht der erste weltweit zugelassene Impfstoff gegen Sars-CoV-2 gelungen. Der Pharmagigant steuerte seine Erfahrung mit groß angelegte klinischen Studien, Zulassungsverfahren, der Massenproduktion und Logistik bei. Biontech brachte eine radikal neue Denkweise ins Spiel, Pfizer seine bestehende Marktmacht. Wollen wir dem Klimazusammenbruch entgehen, brauchen wir Verbindungen wie diese auch in anderen Branchen – statt dem Innovationstheater, das wir immer noch zu oft veranstalten. Und wir sollten diese Verbindungen viel enger gestalten als bisher, um gezielt gute Ideen zu produzieren – statt sie nur aufzusammeln, wenn sie zufällig auf dem Weg liegen. Eine Möglichkeit dazu ist Corporate Venture Building. Der Ansatz ist, die Stärken großer Unternehmen zu analysieren, um sie dann als Basis zur Gründung eines Start-ups zu nutzen und groß zu machen. Gewissermaßen Start-up-as-a-Service – mit einem entscheidenden Vorteil gegenüber der klassischen Gründung: Das Wachstum gelingt viel schneller. 17 Jahre hat Tesla gebraucht, um endlich das Ende des Verbrennungsmotors einzuleiten. Diese Zeit haben wir nicht mehr.

Regierungen müssen Bedarf schaffen
Ohne eine staatliche Zusage, Milliarden Impfdosen abzunehmen, hätte sich wohl kein Pharmaunternehmen in dieser Intensität in die Entwicklung gestürzt. Doch beim Klimawandel sind diese Ansätze immer noch viel zu zögerlich. Seit 2018 etwa fördert das Bundesumweltministerium die Anschaffung von Elektrobussen. Aber gerade einmal rund 1.300 Busse sind bis jetzt auf den Straßen unterwegs – bei etwa 75.500 Bussen und Omnibussen insgesamt. Dabei würde ein mutigeres Programm nicht nur die Innenstädte sauberer machen, sondern auch einen gewaltigen Schub für die Batterieentwicklung bedeuten. Die Anreize müssen aber keineswegs direkt als Geld fließen. Auch ein hoher Preis für CO2-Emissionen ist ein guter Weg. Ab dem 1. Januar sind hierzulande 25 Euro pro Tonne fällig, ab 2025 sollen es 55 Euro sein. Aber Analysen unter anderem des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zeigen, dass er gut doppelt so hoch sein müsste, damit Deutschland seine Klimaziele bis 2030 erreicht. Warum so zögerlich? Alain Uyttenhoven, bis Ende letzten Jahres Geschäftsführer von Toyota Deutschland, sprach unlängst mit mir ganz offen über die Notwendigkeit eines Zuckerbrot-und-Peitsche-Ansatzes: “Wir müssen unser Mobilitäts-Ökosystem neu erfinden, indem wir Anreize für die richtigen Entscheidungen schaffen. Und wir müssen es auf eine Art und Weise neu erfinden, die Belohnungen und ein wenig Bestrafung beinhaltet.”

Deutschland braucht endlich eine klare Langzeit-Strategie für Innovationen
China hat eine Vision 2030. Singapur hat eine Vision 2030. Dubai hat eine Vision 2030. Und Deutschland? Hofft darauf, dass Superreiche ein glückliches Händchen haben – wie bei Biontech oder CureVac. Wir brauchen endlich eine klare Vorstellung davon, welche Fortschritte wir erreichen wollen und müssen dafür dann auch die nötigen Mittel bereitstellen und Marktanreize schaffen. Stattdessen heben wir unzählige kleinere Programme aus der Taufe, gründen hier eine Agentur für Sprunginnovationen und statten sie mit einer Milliarde Euro für zehn Jahre aus, schaffen dort einen Zukunftsfonds über zehn Milliarden Euro, um Start-ups in der Wachstumsphase zu unterstützen. All das ist wichtig, aber immer noch zu fragmentiert gedacht. Wir werden weitaus ehrgeiziger sein müssen, was den Einsatz neuer Technologien wie 3D-Druck, KI, Robotik und Ubiquitous Computing angeht. Und wir müssen erkennen: Nichts davon wird ausreichen, wenn wir Unternehmens- und Regierungsstrukturen nicht radikal überdenken.

Begreifen wir Digitalisierung endlich als Teil der Lösung, nicht als Teil des Problems.
Corona hat einen mächtigen Schub für die Digitalisierung Deutschlands gegeben, aber gleichzeitig die alten Reflexe geweckt: Bei der Entwicklung der Corona-App standen oft die Probleme, selten die Chancen im Vordergrund. Am Ende war sie im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ziemlich nutzlos bei der Pandemie-Bekämpfung. Das sollten wir uns in der Klimakrise nicht leisten, denn auch sie ist ohne Digitalisierung praktisch nicht zu bewältigen. Es geht nicht darum, den Wilden Westen aus der Frühphase der digitalen Disruption zu wiederholen. Mark Zuckerbergs kämpferischer Slogan “Move fast and break things” ist gerade in stark regulierten Sektoren wie Verkehr oder Energie kontraproduktiv. Aber es geht darum, durch kooperative Zusammenarbeit Daten aus ihren Silos zu befreien. Die Pandemie hat die Entwicklung beschleunigt, Gesundheitsdaten aus dem Griff der Kliniken, Krankenkassen oder Gesundheitspraxen zu lösen und sie endlich dafür zu nutzen, Patientinnen und Patienten besser zu versorgen. Nun brauchen wir diese Befreiung der Daten auch in anderen Bereichen. Ein gutes Beispiel ist der Energiesektor: Wir müssen Informationen über Stromverbrauch und Stromerzeugung viel breiter teilen, um die Versorgung mit sauberer Elektrizität zuverlässiger und günstiger zu machen. Das Start-up Solytic, das wir mit gemeinsam mit Vattenfall aufgebaut haben, macht genau das mit Daten aus Photovoltaik-Anlagen. Es ist mittlerweile das am schnellsten wachsende Solarunternehmen der Welt. Gleiches gilt für den Transport: Mit Mobilitätsdaten aus vernetzten Autos oder Carsharing-Modellen lässt sich der Verkehr in Städten deutlich besser planen und nachhaltiger gestalten.

Wenn wir diese Lehren ziehen, werden wir zum einen genügend Ideen haben, um die Klimakrise abzuwenden. Und wir werden sie – noch entscheidender – auch rasch genug umsetzen können. In einem unserer Gespräch erzählte mir Linda Hill, Professorin an der Harvard Business School, von einer ihrer Studien mit einem großen Unternehmen. Dort hatte der durch die Pandemie ausgelöste Druck die Innovationskultur auf beeindruckende Weise geändert: Die unternehmerischen Aktivität breitete sich über jene Abteilungen hinaus aus, die normalerweise für die Entwicklung neuer Ideen zuständig sind. “Die Führung begann zu betonen, dass Innovation von jedem gemacht werden kann”, erzählte Hill. “Dies setzte innovative Lösungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf allen Ebenen des Unternehmens frei, von denen viele entscheidend für die Reaktion auf Covid waren.” Nun müssen wir dieses Potenzial auch für die Klimakrise wecken.

Über den Autor
Felix Staeritz ist Seriengründer, Buchautor und Impact-Investor. 2016 gründete er FoundersLane, einen Corporate Venture Builder im Bereich Gesundheit und nachhaltige Technologien. Zu den Kunden gehören unter anderem Vattenfall, die Gothaer Versicherungen, Siemens und Bosch. Zusätzlich ist Staeritz Initiator und Beiratsmitglied der FightBack-Initiative, einer gemeinnützigen Organisation internationaler Entscheidungsträger, die gemeinsam an einer gesunden, nachhaltigen und lebenswerten Zukunft arbeiten. Gemeinsam mit Dr. Sven Jungmann hat Staeritz das Buch “Das entscheidende Jahrzehnt – Wie wir mit digitaler Innovation die nächsten Krisen meistern können” geschrieben

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Foto (oben): Shutterstock