Gastbeitrag

Real Estate Tech in Deutschland – Eine (R)evolution?

Insgesamt zählen wir 46 Startups im Deutschen Real Estate Tech-Ökosystem Ende 2015. In den letzten zwei Jahren haben wir lediglich vier Finanzierungsrunden beobachten können, welche insgesamt ein Investitionsvolumen von ca. zwölf Millionen Euro hatten.
Real Estate Tech in Deutschland – Eine (R)evolution?
Montag, 15. Februar 2016VonTeam

Der Immobilienmarkt in Deutschland hat eine beträchtliche Größe: 2014 wurden insgesamt 195 Milliarden Euro in den deutschen Immobilienmarkt investiert. Im Bausektor wird 2015 ein Investmentvolumen von 230 Milliarden Euro erwartet. Trotz 245 Tausend neu errichteten Gebäuden, ist die Anzahl an Immobilien vielerorts unter dem nachgefragten Niveau. Laut des deutschen vdp-Immobilienpreisindexes steht das dritte Quartal 2015 im Vergleich zum Vorjahresquartal für einen signifikanten Anstieg der Immobilienpreise: Wohnimmobilien verteuerten sich um 5,7% und Gewerbeimmobilien um 1,5%.

Laut der WirtschaftsWoche Online plant jeder dritte Deutsche seinen Wohnsitz in den nächsten zwei Jahren zu ändern. Die Gegebenheiten in Deutschlands Großstädten haben sich somit verschärft, z.B. in Bayerns Hauptstadt München war die durchschnittliche jährliche Bevölkerungswachstumsrate in den letzten zehn Jahren bei ca. 14%. Daher ist es immer schwieriger eine Wohnung in Deutschlands Ballungszentren wie Berlin, Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart zu finden. Und für Vermieter wird es auch immer komplizierter, die große Anzahl von Interessenten für jedes Objekt zu bewältigen.

Die aktuellste Gesetzesänderung bringt nun zudem eine einschneidende Veränderung der bisherigen Regelung bei Vermietungen von Wohnimmobilien: am 1. Juni 2015 trat das Bestellerprinzip in Kraft. Dies beinhaltet, dass involvierte Immobilienmakler von derjenigen Partei bezahlt werden müssen, von der sie beauftragt wurden und nicht – wie zuvor – in jedem Fall zu Lasten der Mieter gehen. In der Regel bedeutet dies, dass nun die Vermieter die Makler bezahlen, welche in der Vergangenheit oft einen kostenlosen Service genießen durften.

Während die Vermieter von ca. 850,000 Wohnungen, die in Deutschland pro Jahr mit Hilfe von Maklern vermietet werden, nun zusätzliche Kosten schultern müssen (eine Erhöhung der Miete ist kurzfristig vermutlich keine flächendeckende Lösung, da der Markt oft reglementiert ist), ergreifen viele Startups die Gunst der Stunde und bietet die Vermarktung von Mietobjekten zu Kampfpreisen an. Für Immobilienmakler bedeutet dies höchstwahrscheinlich eine disruptive Veränderung ihrer Branche, obwohl sich deren Provisions-Umsätze – Schätzungen zufolge –durchschnittlich zu 80% aus Verkäufen und nur zu 20% aus Vermietungen zusammensetzen. Daher ist es nicht überraschend, dass sich auch einige Startups auf Dienstleistungen im Immobilienverkauf spezialisieren oder diese zumindest mitanbieten.

Real Estate Tech-Ökosystem Deutschland 2015

Mehr als 24 Startups sind allein im letzten Jahr in Deutschland gestartet und bieten jeweils Verkaufs- und/oder Vermietungsdienstleistungen an. Unser Real Estate Tech-Ökosystem für Deutschland zeigt eine Übersicht der Startups und ihrer Geschäftsmodelle (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

graph 1 DE (1)

Wir identifizieren sieben verschiedene Geschäftsmodelle. Die etablierten Unternehmen im Markt der ca. 150,000 Immobilienmakler in Deutschland sind nicht Teil unserer Übersicht, große Player sind z.B. Sparkassen-Finanzgruppe, Engel & Völkers, LBS Immobilien NordWest und Postbank Immobilien. Insgesamt haben die Top 15 ca. eine Milliarden Euro Vermittlungsprovision in 2014 ausgewiesen.

Startups mit Fokus auf Verkaufen und Vermieten sind darauf aus, die Wertschöpfer des Immobilienmaklers abzubilden (wie oben beschrieben). Diese Startups nutzen in der Regel bestehende Marktplätze als Vertriebskanäle – sowohl um Immobilienangebote zu bewerben, aber auch um Vermieter und Verkäufer als Kunden zu gewinnen. Wir sehen ähnliche Konzepte in anderen Industrien wie beispielsweise bei Gebrauchtwagen (Beepi.com).

Demzufolge sind die Immobilien-Marktplätze nach wie vor die Grundlage des Ökosystems, wie z.B. ImmobilienScout24. So auch für Meta Listing-Startups, die dem Immobilieneigentümer helfen, eine Anzeige auf mehreren Marktplätzen in einer Benutzeroberfläche zu erstellen. Meta Search-Startups bieten eine ähnliche Dienstleistung für Immobilien-Suchende an und liefern Suchergebnisse von unterschiedlichen Marktplätzen auf einer Benutzeroberfläche.

Startups, die Makler-Vermittlung anbieten, helfen ihren Nutzern, den richtigen Makler in ihrer Umgebung zu finden. Crowdfunding / Investment-Akteure sind die FinTech-Elemente des Ökosystems und ermöglichen Immobilien-Investitionen auf eine einfache, zugängliche Art und Weise.

Insgesamt zählen wir 46 Startups im Deutschen Real Estate Tech-Ökosystem Ende 2015. In den letzten zwei Jahren haben wir lediglich vier Finanzierungsrunden beobachten können, welche insgesamt ein Investitionsvolumen von ca. zwölf Millionen Euro hatten. Sobald Vermieten/Verkaufen-fokussierte Startups Traktion am Markt zeigen können, sind weitere Finanzierungsrunden zu erwarten. Uns stellt sich aber die kritische Frage, ob diese Geschäftsmodelle mit Technologie tatsächlich skalierbar sind?

Fallstudie Verkaufen/Vermieten Startups

graph 2 DE (2)

Notiz: Bei den Preisen für Vermieten nehmen wir an, dass die Vermieter den Makler beauftragen.

Basierend auf jeweils drei ausgewählten Startup-Beispielen aus dem Segment Verkaufen und Vermieten zeigen wir auf, wie diese einzelne Dienstleistungselemente entlang des typischen Verkaufs- bzw. Vermietungsprozesses erfüllen (offline vs. online). Aktuell unterscheiden sich aber die Startups nicht erkennbar in der Gestaltung ihrer Prozessschritte von den etablierten Unternehmen. Alle Anbieter bieten ihren Kunden ähnliche, persönliche Dienstleistungen, z.B. telefonische Auftragsklärung, Datenerfassung und Besichtigungen vor Ort. Wir schätzen, dass der Vermittlungsprozess von Immobilien bestenfalls marginal durch Technologie unterstützt werden kann. Hier haben sich aber weder die Startups noch die etablierten Unternehmen signifikante Effizienzvorteile erarbeitet oder nennenswerte Innovationen gezeigt.

Die Disruption zeigt sich bei der Preisgestaltung – im Vergleich zu etablierten Unternehmen bieten alle betrachteten Startups zu signifkant günstigeren Preisen an. Beispiel-Kalkulation: ein Immobilienmarkler bekam vor der gesetzlichen Neuregelung bis zu 2.380 Euro Provision für eine Wohnimmobilie mit einer monatlichen Miete von 1.000 Euro vom Mieter (2,38 x Monats-Miete inklusive MwSt.). Dies hätten die etablierten Unternehmen nun auch gerne vom Vermieter. Der günstigste Startup-Anbieter in unserer Fallstudie verlangt jedoch lediglich 198 Euro (also ca. 92% unter bisherigen Marktpreis). Hierbei gibt es bei einigen Startups noch „Premium“-Dienstleistungen, wie z.B. umfangreichere Objektbeschreibungen – sowohl auf der Vermieter- als auch vereinzelt auf der Mieter-Seite. Die etablierten Makler sind aktuell sehr zurückhaltend in der Vermittlung von Mietobjekten bzw. bieten Dienstleistung nur noch im gewerblichen Bereich oder gar nicht mehr an (das genannte Preisbeispiel in der Abbildung bezieht sich auf eine gewerbliche Immobilie).

Ausblick

Unserer Meinung nach sind viele Startups zu sehr und zu früh auf einen Preiskampf fokussiert. Aktuell ist es noch unklar, wie sie so einen signifikanten Marktanteil auf einem nachhaltig profitablen Niveau erreichen können. Das Startup-Team, das den Verkaufs- bzw. Vermietungsprozesses am effizientesten gestalten kann, hat womöglich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Mitbewerbern und den etablierten Unternehmen. Aufgrund der notwendigen offline-Komponenten im Prozess, müssen die Startups einen Ansatz finden, diese effizient und zumindest auf regionaler Ebene skalierbar abzubilden. Ohne signifikante Differenzierung ist zudem ein schnelles Wachstum auf Basis einer intelligenten Roll-out Strategie der Schlüssel zum Erfolg. Ein Team mit überzeugenden Lösungen für diese Probleme, ist für eine größere Finanzierungsrunde gut positioniert.

Etablierte Unternehmen müssen allein schon auf Grund der Gesetzesnovellierung  leistungsorientiertere Preismodelle finden. Durch die Preis-aggressiven Startups sind sie umso stärker unter Druck. Kleinere Immobilienmakler, die stark von Vermietungstransaktionen abhängig sind, werden die Auswirkungen zuerst spüren. Aber auch große Maklerfirmen sind mittelfristig nicht gefeit und wären gut beraten, hier eigne Innovationen zu treiben.

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Zu den Autoren
Strtg.io berät Unternehmen und strategische Investoren in digitalen Wachstumsthemen. Alexander Mahr ist Co-Founder & Partner und Helena Auer ist Business Analyst bei Strtg.io.

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