Gastbeitrag von Benno Grunewald

Nahles verunsichert Selbständige und deren Auftraggeber

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles arbeitet schon längere Zeit an einem Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit. Allein die Vorlage des geplanten Gesetzes führt nun zu einer (weiteren) erheblichen Verunsicherung Selbständiger und deren Auftraggeber!
Nahles verunsichert Selbständige und deren Auftraggeber
Freitag, 4. Dezember 2015VonTeam

Nun liegt er also auf dem Tisch: Der Referententwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 16.11.2015 mit dem eigentlich wenig aufregenden Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“. Deutlich aufregender als der Titel ist für Selbständige und deren Auftraggeber aber der Inhalt dieses Gesetzentwurfs; wobei ich an dieser Stelle nicht auf die geplanten Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sondern auf die „anderen Gesetze“ und hier speziell auf den neu einzuführenden § 611 a BGB eingehen möchte.

Der Text des neuen § 611 a BGB

Der neue § 611 a BGB soll folgendermaßen gefasst werden:

Vertragstypische Pflichten beim Arbeitsvertrag

(1) Handelt es sich bei den aufgrund eines Vertrages zugesagten Leistungen um Arbeitsleistungen, liegt ein Arbeitsvertrag vor. Arbeitsleistungen erbringt, wer Dienste erbringt und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt. Wenn der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung einander widersprechen, ist für die rechtliche Einordnung des Vertrages die tatsächliche Durchführung maßgebend.

(2) Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand

  1. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten

oder seinen Arbeitsort zu bestimmen,

  1. die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
  2. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
  3. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von ei- nem anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
  4. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
  5. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu erbringen,
  6. Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimm-

ten Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,

  1. für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.

(3) Das Bestehen eines Arbeitsvertrages wird widerleglich vermutet, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch insoweit das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat.”

Zurück in die Zukunft?

Dieser Kriterienkatalog erinnert zunächst (fatal) an die ehemals im SGB enthaltenen drei bzw. später fünf – letztlich unpraktikablen – Kriterien, die aber seit über 10 Jahren Geschichte sind. Und auch der geplante Absatz 3, wonach das Ergebnis eines Statusfeststellungsverfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung Bund für die Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses spricht, erinnert – zumindest in den Grundzügen – an die ehedem ebenfalls im SGB enthaltene Regelung zur Umkehr der Beweislast bei Vorliegen mehrerer Kriterien.

Meines Erachtens sind besonders zwei sehr widersprüchliche Aspekte dieses Gesetzesvorhabens bemerkenswert:

Sozialrecht ist nicht Arbeitsrecht!

Frau Nahles begründet ihr Gesetz damit, dass durch die vorgeschlagenen Kriterien die „gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung“ umgesetzt werden würde und zitiert in diesem Zusammenhang ausschließlich Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG); und zwar nur Urteile des BAG, die für die ihre Auffassung sprechen. Allerdings ist das BAG ausschließlich für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zuständig! Und: Das BAG ist ein Gericht, was bedeutet, dass eine Anwendung des § 611 a BGB nur dann passieren würde, wenn sich der Selbständige mit seinem Auftraggeber einen Rechtsstreit vor Gericht liefert. Dies ist aber aus meiner Erfahrung die absolute Ausnahme, da in der Regel sowohl der Selbständige wie dessen Auftraggeber eben gerade nicht von einem abhängigen sondern einem freien Vertragsverhältnis ausgehen!

Die Deutsche Rentenversicherung Bund und der § 611 a BGB

Das Interesse festzustellen, dass kein selbständiges sondern ein sozialversicherungs­pflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, hat in Deutschland nur eine Institution: die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRB)! Allerdings sehe ich zurzeit nicht, wie die DRB aus dem geplanten § 611 a BGB Nutzen ziehen kann. Denn die DRB ist auf der Grundlage der Sozialgesetze und der in diesem Zusammenhang entwickelten Recht­sprechung tätig. Und hier ist nicht die Rechtsprechung des BAG sondern die des Bundessozialgerichts (BSG) relevant! Zwar kann sich die DRB teilweise auch auf Entscheidungen des BAG berufen – einschlägig sind diese jedoch nicht, denn Arbeitsrecht ist nicht gleich Sozialrecht.

Somit kann die DRB meines Erachtens nicht direkt mit der Norm des § 611 a BGB arbeiten, zumal diese ja weder im Arbeits- noch Sozialrecht sondern im Zivilrecht verankert ist. Zwar könnte man über eine analoge Anwendung dieser zivilrechtlichen Bestim­mung im sozialrechtlichen Bereich nachdenken – einer analogen Anwendung gesetzlicher Vorschriften sind aber schon den Gerichten enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Dies gilt umso mehr für die DRB, die als Verwaltungsbehörde – auch wenn sie dies manchmal offensichtlich anders sieht – nicht über dem Gesetz steht und nach den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht ohne gesetzliche Grundlage tätig werden darf. Eine solche Grundlage stellt der geplante § 611 a BGB für die DRB aber eben gerade nicht dar!

Ein bunter Strauß widersprüchlicher Kriterien

Und schließlich ist festzustellen, dass der § 611 a BGB acht in sich widersprüchliche Merkmale mit zahlreichen auslegungsfähigen unbestimmten Rechsbegriffen enthält. Widersprüchlich ist vor allem, dass die beiden letzten Kriterien g) und h) eindeutig Merkmale eines Werkvertrags sind und insofern der Abgrenzung zum Dienstvertrag dienlich sein können, für eine Differenzierung zwischen Dienst- und Arbeitsvertrag aber überhaupt nichts taugen, da sie bei einem Dienstvertrag ohnehin nicht gegeben sind.

Hinzu kommt, dass bei den sechs anderen Kriterien diverse interpretationsfähige Begriffe verwendet werden: so beim Kriterium unter b) „überwiegend“; beim Kriterium unter c) „regelmäßige Nutzung von Mitteln eines anderen“; beim Kriterium unter d) „von anderen eingesetzte oder beauftragte Personen“; beim Kriterium unter e) „ausschließlich oder überwiegend“ und beim Kriterium unter f) „betriebliche Organisation“.

Allein dadurch würde die Anwendung dieser Norm letztlich wieder bei den Gerichten „landen“ und dort entsprechend ausgelegt werden müsen, wobei – wie bei unbestimmten Rechtsbegriffen naturgegeben – diese Auslegung sicherlich nicht bei jedem Gericht exakt gleich ausfallen wird!

Und wenn man in diesem Zusammenhang außerdem bedenkt, dass es in der Begründung zum Gesetz zu dem geplanten Kriterienkatalog heißt „Der Katalog greift die von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien auf, ohne diese abschließend zu benennen“ und zum Kriterium unter b) ausgeführt wird: „Für die Abgrenzung von Arbeitsvertrag und Werkvertrag ist dieses Kriterium allerdings nicht allein ausschlaggebend; denn auch für viele Werkverträge ist es typisch, dass der Auftragnehmer in den Räumen eines anderen tätig wird. Deshalb gilt hier besonders, dass im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung die weiteren Kriterien geprüft werden müssen“, wird deutlich, dass selbst der Gesetzgeber davon ausgeht, dass diese Kriterien nicht abschließend sind.

Der § 611 a BGB vs. § 7 Abs. 1 SGB IV

Und die Verwirrung wird noch größer! So findet sich in der Gesetzesbegründung auch noch die folgende Aussage: „Soweit andere Rechtsvorschriften eine abweichende Definition des Arbeitsvertrages, des Arbeitsverhältnisses oder des Arbeitnehmers vorsehen, um einen engeren oder weiteren Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften festzulegen, bleiben diese unberührt“.

Dies bedeutet, dass die Norm des § 7 Abs. 1 SGB IV („Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“) neben der des § 611 a BGB gilt!

Damit aber wäre der § 611 a BGB definitiv im Arbeitsrecht verortet, welches – wie ich oben bereits erwähnte – im Bereich der Scheinselbständigkeit in der Regel keine Rolle spielt.

Arbeitsrecht + Sozialrecht = Schöne neue Welt?

Andererseits versucht Frau Nahles über den geplanten Absatz 3 des § 611 a BGB eine Verknüpfung zwischen Sozialrecht und Arbeitsrecht herzustellen, die meines Erachtens ohenhin nicht zulässig ist. Denn: Das BSG hat schon vor vielen Jahren entschieden, dass die DRB nicht pauschal ein Beschäftigungsverhältnis feststellen darf, sondern die mögliche Versicherungspflicht des Selbständigen in jedem einzelnen Zweig der Sozialversicherung prüfen muss. Und selbst wenn die DRB im Einzelfall eine derartige Versicherungspflicht feststellen würde, ist dies nicht gleichbedeutend mit der Feststellung eines Arbeitsverhältnisses.

Ein (vorläufiges) Fazit zur Zukunft

Was nach vorläufiger Analyse des Gesetzentwurfs zum § 611 a BGB bleibt, sind zunächst Fragen über Fragen, die sowohl die rechtliche aber auch tatsächliche Anwendung des geplanten § 611 a BGB betreffen. Denn nicht nur die Kriterien sondern auch deren Begründung sind in höchstem Maße widersprüchlich und interpretationsfähig. Jedenfalls sind hier – wie in der Gesetzesbegründung erwähnt – für die Prüftätigkeit der Behörden(?) „transparente“ und „subsumtionsfähige“ Rechtsnormen nur schwer erkennbar.

Aber vielleicht verfolgt Frau Nahles noch ein ganz anderes Ziel: Es ist schon sehr ungewöhnlich, dass ein Gesetz vorgeschlagen wird, dass erst in über einem Jahr (am 01.01.2017) in Kraft treten soll. Ich halte es daher nicht für ausgeschlossen, dass beabsichtigt ist, mit der jetzigen Vorlage des Gesetzes zunächst einmal Reaktionen der Betroffenen zu provozieren und dann im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens sowohl inhaltliche Änderungen aber eben auch erweiterte Anwendungsmöglichkeiten für die Deutsche Rentenversicherung Bund zu schaffen. Hier gilt es meines Erachtens sehr genau hinzuschauen, selbst wenn wohl auch für diesem Fall die Aussage Bismarcks gelten dürfte: „Beim Wurstmachen und beim Gesetzemachen darf man nicht hinsehen – es könnte einem schlecht werden“.

Ein (vorläufiges) Fazit zur Gegenwart

Auch wenn die Ziele von Frau Nahles noch in weiterer Ferne liegen – eines hat sie bereits jetzt erreicht: Allein die Vorlage des geplanten § 611 a BGB hat zu einer (weiteren) erheblichen Verunsicherung Selbständiger und deren potentieller Auftraggeber geführt! Zwar trägt dazu bereits seit langem die DRB und deren regelmäßig einseitiges Vorgehen bei, das bei der ganz überwiegenden Anzahl von Prüfungen stets zum Ergebnis führt, dass eine vermeintliche Sozialversicherungspflicht vorliegt. Frau Nahles feuert mit ihrem Gesetzesvorschlag diese Praxis weiter an und ermutigt damit mehr oder weniger direkt die DRB so weiter zu machen um im Wege eines Zangenangriffs – hier die Praxis der DRB und dort der Gesetzgeber mit konkreten Kriterien – die Selbständigkeit letztlich abzuschaffen.

Ist dies die vielleicht eigentliche Intention von Frau Nahles und ihrem geplanten Gesetz? Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Zur Person
Benno Grunewald ist Fachanwalt für Steuerrecht.

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