Datenklau und mehr

Kelsen ist kein Killer-Startup, nur ein großes Luftschloss

Das Konzept von Kelsen klang nach einer grandiosen Lösung: Als selbstlernender Algorithmus für Rechtsangelegenheiten, der sich Daten im Netz in Echtzeit zieht, wollte das Berliner Start-up nicht weniger als die Rechtsberatungsbranche aufmischen. Doch Kelsen war nur ein simples Luftschloss.
Kelsen ist kein Killer-Startup, nur ein großes Luftschloss
Montag, 11. Mai 2015VonAlexander Hüsing

Das Berliner Start-up Kelsen begeisterte in den vergangenen Monaten zahlreiche Leserinnen und Leser so wie viele andere. Wir schrieben unter der Überschrift “Kelsen beantwortet Rechtsfragen automatisch in Echtzeit” kürzlich: “Das Berliner Startup Kelsen will mit künstlicher Intelligenz die Rechtsberatungs-Branche aufmischen. Der ‘Legal-Bot’ versteht natürlich Sprache, nutzt Big Data und einen lernenden Algorithmus’ und beantwortet im Netz rund um die Uhr Rechtsfragen kostenlos und in Echtzeit”. Und auch Gründerszene, Basic thinking, und das Venturate Magazin berichteten zuletzt fleißig über das Rechts-Start-up und sein tolles Konzept.

ds-kelsen

Vor dem Landgericht Berlin musste die Kelsen-Crew um Sergio Aragón (selbst Anwalt), nun aber einräumen, dass ihr Konzept, ihre Geschichte, ihr Modell so nicht stimmt, bisher gar nicht funktioniert. Die Hauptstädter haben quasi ihre hochtrabende Vision von Kelsen, die sie erst noch programmieren müssen, als Status Quo verkauft und ins Netz gestellt. Kelsen ist bisher gar kein selbstlernender Algorithmus für Rechtsangelegenheiten, Kelsen strukturiert bisher auch nicht die rechtlichen Daten aller existierenden deutschen Rechtsquellen, um seine Antworten in Echtzeit auszuliefern, und Kelsen ist bisher auch keine innovative Big Data und Machine Learning-Technologie. Die Wahrheit ist banal: Kelsen ist bisher nicht mehr als eine Kopie der Datenbank von Frag einen Anwalt, einer Plattform, auf der Nutzer Fragen an Anwälte stellen können.

Die Kelsen-Crew zog sich die Datenbank von Frag einen Anwalt und speicherte diese auf seinen eigenen Servern ab. Die Internet-Suchmaschine Kelsen gab es somit bisher überhaupt nicht. Nutzer, die die kleine Plattform ausprobiert haben, suchten darüber nur auf dem Kelsen-Server nach Antworten, die Frag einen Anwalt bisher gesammelte hatte. Kelsen-Macher Aragón, der vom Microsoft Ventures Accelerator finanziell unterstützt wurde, räumte dies am vergangenen Dienstag vor Gericht in Berlin ein und bestätigte dies gegenüber deutsche-startups.de abermals. Aragón verweist dabei auf den Beta-Status von Kelsen und den Umstand, das alle Quellen angegeben waren. Wobei es ja gar nicht darum geht, ob nun Quellen angegeben waren. Zumal diese Hinweise recht klein waren.

Seit Monaten entstand in Zusammenhang mit Kelsen der Eindruck, dass die Plattform ein funktionierendes “Wolfram Alpha der Rechtsbranche” (Zitat: Aragón) ist. Zumal der Kelsen-Gründer im Gespräch mit dem Venturate Magazin bereits Anfang dieses Jahres sagte: “Wir haben Kelsen Beta Anfang Dezember im Rahmen der Microsoft Ventures Demo Night erfolgreich gelauncht. Das Feedback unserer User ist einheitlich positiv: so ein Tool hat wirklich noch gefehlt!”. Somit hat Aragón auch auf der Demo Night von Microsoft Ventures den anwesenden Investoren ein komplettes Luftschloss präsentiert, was in der Präsentation so nicht rüberkommt (siehe oben).

Von einem lernenden Algorithmus, der das Netz nach Rechtsfragen durchsucht, war Kelsen da aber noch ganz weit weg, wenn die Daten vom eigenen Server gezogen wurden. Da ist es dann auch egal, ob die Quelle angegeben ist. Gemopst ist gemopst! Im geschlossenen Raum, vor Investoren und anderen Mitstreitern mag diese Luftschloss-Praxis noch in Ordnung gehen, ins Netz stellen sollte man so einen Dummy aber nicht. Und ihn schon gar nicht sollte man einen solchen Alpha-Entwurf als funktionierendes System verkaufen.

Viel mehr als einen Prototypen von Kelsen gibt es bisher nicht, wie Aragón im Gespräch einräumt. Es fehle dem Unternehmen an Man-Power, Zeit und Geld, diesen zur Marktreife zu bringen. Ohnehin will sich Aragón, der auch Lexvisors gründete, nun eher auf das B2B-Segment fokussieren, weswegen es nicht schlimm sein, dass Kelsen nun offline sei. Das bisherige Konzept darf auch nicht mehr an den Start gehen, sonst wird es teuer für Kelsen. Und auch als “innovative Analysemethode” etc. darf Aragón Kelsen nur nicht mehr im Markt bewerben. So haben die Richter in Berlin entschieden.

Passend zum Thema: “Meine Sichtweise hatte sich geändert” – Sergio A. Aragón von Lexvisors

Foto: Symbol of law and justice in the empty courtroom, law and justice concept from Shutterstock

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.