“Viele Gründer bleiben auf den ersten zehn Metern stehen” – Prof. Dr. Günter Faltin im Interview

Eine wichtige Größe in der deutschen Gründerlandschaft ist Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität in Berlin und Initiator der legendären Teekampagne (www.teekampagne.de). Ende Oktober richtete er zum wiederholten Male den […]

Eine wichtige Größe in der deutschen Gründerlandschaft ist Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität in Berlin und Initiator der legendären Teekampagne (www.teekampagne.de). Ende Oktober richtete er zum wiederholten Male den Entrepreneurship Summit aus, dieses Mal unter der Fragestellung „Welche Ideen können uns helfen, 85 % der Ressourcen einzusparen?“ deutsche-startups.de sprach mit dem Gründungsexperten über die unverzichtbare Gründungseigenschaft „Beharrlichkeit“, die Sinnlosigkeit klassischer Businesspläne und darüber, dass Gründer mit der Zeit einfach besser aussehen als vorher.

Herr Faltin, Sie betreuen und begleiten seit über zehn Jahren Gründer. Was hat sich als die wichtigste Gründereigenschaft herausgestellt?
Ganz eindeutig: Beharrlichkeit. Ein Gründer muss seine Idee zum Ausreifen bringen, und das dauert manchmal Jahre. Viele haben tolle Anfangsideen und verlieben sich darin wie ein Erfinder in seine Erfindung. Daran klammern sie sich dann anstatt zu sagen: „Halt, das ist nur der erste Einfall! Es ist nur ein Indikator dafür, auf welchem Feld ich suchen will.“ Viele Gründer bleiben auf den ersten zehn Metern stehen anstatt die nächsten 90 zu gehen, die oft ganz schön anstrengend sind. Deshalb: Beharrlichkeit.

Steht und fällt eine tolle Geschäftsidee denn nicht mit diesem einen, genialen Einfall?
Nein. Eine Idee muss innovativ sein und auf mehr als nur einem einzigen Bein stehen.

Mit meditativen Spaziergängen kommt man in puncto Gründungsidee also nicht weiter. Wie dann?
Meine Erfahrungen beziehen sich auf den Bereich der konzept-kreativen Gründungen. Um die passende Gründungsidee zu finden kann man sehr systematisch vorgehen. Die erste Frage heißt: „Welchen Bereich will ich mir vornehmen?“ Was ärgert mich, was berührt oder bewegt mich? Das kann sogar etwas sein, wovon man fast noch keine Ahnung hat. Mich selbst hat bewegt, dass Darjeeling-Tee so unverhältnismäßig teuer ist – zehnmal teurer als wenn man ihn am Tor der Plantage kaufen würde. Ich hatte keine Ahnung, warum das so ist. Aus dieser Beobachtung entstand Jahre später die Teekampagne.

Wenn man für sich ein Feld gefunden hat und auch eine spezielle Sache, die einen bewegt oder die man verändern möchte: Wie geht es dann weiter?
Ich würde erst mal einen Schritt zurücktreten und die Sache systematisch von verschiedenen Sichtachsen aus betrachten. Konsequent vom Nutzen, von der Funktion her denken und nicht von den vorfindbaren Konventionen. Take a problem and turn it into opportunity!

Wie können solche Sichtachsen beispielsweise aussehen, was genau ist damit gemeint?
Nehmen Sie Raumausstattung als Beispiel. Statt gleich an Tische, Stühle, Schränke und anderes Mobiliar zu denken, würde ich versuchen, Sichtweisen auf das Thema zu legen, die einen offeneren Blick auf das Thema Raum eröffnen, als nur über das Design des Mobiliars nachzudenken. Solche Sichtachsen könnten sein: Wie hat sich die Raumausstattung historisch entwickelt? Wie könnten Räume aussehen, wenn man konsequent vom Nutzen ausgeht, statt vom konventionellen Angebot (Küche, Esszimmer, Arbeitsraum, Schlafzimmer)? Wie könnte man die Natur (Pflanzen, Tiere) radikaler in den Raum holen (über Blumentöpfe und den Käfigvogel hinaus)? Was könnte man mit modernen Werkstoffen erreichen (um Fußboden, Wände und Decken vielseitiger zu nutzen)? Diese Sichtachsen kann man systematisch abarbeiten, mit der Chance, auf innovativere Ideen zu stoßen als nur herkömmliche Möbelstücke neu zu denken.

Was ist, wenn man irgendwann eine Idee entwickelt hat, damit aber nicht mehr weiterkommt?
Was erfolgreiche Gründer ausmacht, ist vor allem ihre Beharrlichkeit. Henry Ford arbeitete 18 Jahre lang an seiner Idee und musste zwischendurch viele Niederlagen einstecken. Fast alle Zeitgenossen erklärten ihn für verrückt. Es geht darum, das Problem immer wieder neu zu betrachten und anzugehen Und oft ist es nicht gleich die erste Idee, die zum Erfolg führt. Eine Idee vom ersten Einfall bis zum fertigen Konzept auszuarbeiten dauert seine Zeit, es gibt Höhen und Tiefen, man wirft vielleicht sogar zwischendurch alles hin und fängt wieder neu an – bis irgendwann ein Konzept steht, das besser ist als die vorfindbare Praxis.

Thema fertiges Konzept: Hierzulande wird schnell nach dem Businessplan gefragt.
Der klassische Businessplan ist überholt. Viele schreiben ihn nur für die Bank. Als Drei-Jahres-Projektion ist er tatsächlich nur sinnvoll, weil Banken ihn einfordern. Oft verhindert er Flexibilität. Statistisch gesehen treffen 70 Prozent der Annahmen in der Praxis nicht zu. Der Businessplan hat nur insofern seine Berechtigung, als er hilft, das Problem tiefer zu durchdenken. Manchen Menschen fällt es aber leichter, die Gedanken im Kopf durchzuarbeiten, andere müssen sie dazu aufschreiben.

Der Businessplan ist also erstmal nicht so entscheidend – was dann?
Flexibel zu bleiben, also herauszufinden, was funktioniert. Bei der Teekampagne hatten wir den Versand von Tee anfangs gar nicht auf dem Radar. Fast über Nacht entwickelte sich der Versand aber zum wichtigsten Verkaufsinstrument – so wurden wir ein Versandunternehmen. Jeffrey Timmons, der „Erfinder“ des Businessplans betonte stets, Kunden hätten Vorrang vor dem Schreiben eines Businessplans und: „The business plan is obsolete the moment it leaves the printer.“ Im Kern bedeutet das, den „proof of concept“ zu erbringen.

Und wie sieht das perfekte Gründungsteam aus?
Arbeitsteilung ist extrem wichtig. Teams funktionieren dann, wenn jedes Mitglied seinen eigenen Bereich hat, sich die Mitglieder also ergänzen. Die Alternative dazu ist, erst einmal alleine zu gründen und sich entsprechende Komponenten von außen zu holen . Man sehe sich Steve Jobs an: Er war der Lead Entrepreneur, der Visionär, legte sich häufig mit den Leuten vom Tagesgeschäft an. Ideengeber sind meist nicht gut darin, zu organisieren, „Ordnung zu halten“. Beide Bereiche sind aber nötig. Letztlich haben beide Seiten recht und brauchen sich gegenseitig.

Sie sprechen von Entrepreneurship, nicht von Unternehmertum. Warum?
Grundsätzlich würde ich viel lieber einen deutschen Begriff verwenden, das Wort „Unternehmertum“ ist aber leider ein Begriff, der drei ganz unterschiedliche Komponenten beinhaltet: ein Konzept zu haben, das Unternehmen zu finanzieren und das Management zu übernehmen. Letztlich gehört der Begriff ins Museum, weil er vermittelt, der Unternehmer müsse ein Alleskönner sein. Was wir damit verbinden stammt aus der Vergangenheit. Heute sind wir eine Gesellschaft von hochentwickelter Arbeitsteilung, beim Thema Unternehmertum fallen wir aber ins letzte Jahrhundert zurück. Entrepreneurship ist ein viel präziserer Begriff. Er bedeutet: sich Neues ausdenken und dies umsetzen. Entrepreneurship ist inzwischen ein in allen Ländern gebräuchlicher Begriff, nur in Deutschland hat er sich noch nicht durchgesetzt.

Was reizt Sie ganz persönlich am Thema „Entrepreneurship“?
Ein Grund sind die vielen Erfahrungen, die ich mit Gründern gesammelt habe. Wer diese Spur aufnimmt, entwickelt sich persönlich sehr positiv. Learning by challenge! Entrepreneure stellen sich Problemen, sie werden mit der Zeit kommunikativer, überzeugender, optimistischer – und sehen sogar besser aus! Und selbst wenn es mit dem Unternehmen nicht klappt: Gründer gewinnen eine Lebenserfahrung, die sie aus dem üblichen Trott heraushebt und zu spannenden Menschen macht. Bei Selbstständigen ist es oft anders herum: Sie leiden unter der Last, Alleskönner sein zu müssen, sind oft überfordert. Innovative Unternehmensgründung ist eben etwas anderes als die klassische Selbstständigkeit. 
 
Was sind zur Zeit die spannendsten Projekte, die Sie begleiten?
Ebuero ist die faszinierendste Geschichte in meinem Umfeld: Ein bei der Gründung 22jähriger Student hat es geschafft, mit seiner Idee, das klassische Büro konsequent zu virtualisieren, die Deutsche Telekom als Marktführer für Bürodienstleistunge in Europa abzulösen und über 300 Mitarbeiter zu beschäftigen. Auch PaperC hat ein überzeugendes Konzept entwickelt und revolutioniert damit das Arbeiten mit wissenschaftlicher Literatur. Beide Start-ups sind „disruptive innovations“, genauso wie damals die Aldi-Brüder oder der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Günter Faltin (67) baute an der Freien Universität Berlin den Arbeitsbereich Entrepreneurship auf und gründete dort 1999 das „Labor für Entrepreneurship“. Als Beispielprojekt initiierte er die „Teekampagne“, die mittlerweile der weltweit größte Importeur für Darjeeling-Tee ist. Faltin unterstützt als Business Angel und Coach zudem zahlreiche Start-ups und ist Autor des Buches „Kopf schlägt Kapital“.

Yvonne Ortmann

Seit Mai 2009 schreibt Yvonne für deutsche-startups.de Gründerportraits, Start-up-Geschichten und mehr – ihre besondere Begeisterung gilt Geschäftsideen mit gesellschaftlich-sozialer Relevanz. Sie tummelt sich auch im Ausland – immer auf der Suche nach spannenden Gründerpersönlichkeiten und Geschäftsideen.