Über Streitkultur – Kolumne von Thomas Clark

An uns liegt es nicht, sollte Sky Deutschland mal Pleite gehen, wir sind seit fast fünf Jahren Premium-Abonnenten. Das Abo war mein Einstandsgeschenk an meine amerikanische Frau Margaret, als wir Ende 2006 von […]

An uns liegt es nicht, sollte Sky Deutschland mal Pleite gehen, wir sind seit fast fünf Jahren Premium-Abonnenten. Das Abo war mein Einstandsgeschenk an meine amerikanische Frau Margaret, als wir Ende 2006 von New York nach Hamburg gezogen sind, denn auf Sky laufen fast alle Filme und Serien im Zweikanalton. (Margaret spricht zwar perfekt Deutsch, doch wer einmal OF gewohnt ist, will dabei auch bleiben.)

Durch Pay-TV kam ich schon früh in den Genuss der US-Kultserie „Mad Men“. Einige von Euch kennen sie bestimmt, sie spielt im New York der 60er Jahre und gibt einen perfekt inszenierten Einblick in die Goldgräberzeiten amerikanischer Werbeagenturen. Ich schaue die Episoden zwar nicht gezielt an, doch wenn ich beim Zappen darauf stoße, bleibe ich fast immer dran. Dafür gibt es viele Gründe, aber einen wesentlichen: Don Draper. Was für ein Typ! Er sieht blendend aus, bleibt nach außen immer cool und hat damit enormen beruflichen Erfolg. Durch seine Art und Aura gewinnt er zahlreiche prominente Kunden, für die er eine erfolgreiche Kampagne nach der anderen kreiert. Er ist der Star der Agentur Sterling-Cooper. Er ist auch mein Star.

Wenn ich diese Kunstfigur auf unserem TV-Apparat sehe, ertappe ich mich immer wieder bei Gedanken wie „Wow, so möchte ich auch sein“. Ein erfolgreicher Geschäftsmann als geheimnisvoller Gentleman. Wortkarg, aber messerscharf. Durchtrainiert, aber stets im feinen Zwirn. Natürlich hat auch Draper seine Probleme, die er mit Whiskey und Weibern zu vergessen versucht. Doch selbst in seinen inneren Kämpfen hat er etwas Edles. Der Mann kann einfach alles – außer… Außer streiten.

Streiten, das kann Draper gar nicht. Das beginnt schon zu Hause. Wenn seine bildhübsche Frau einmal diskutieren will, windet er sich, weicht aus, schweigt. Gegenüber seinen Kollegen wird der aufstrebende Manager sowieso nie emotional, trotz der vielen Intrigen. Sein Erfolg ist, dass er stets die „Contenance“ bewahrt. Erst beim Schreiben dieses Postings ist mir bewusst geworden, wie weit entfernt ein solch „unstreitbarer“ Charakter von unternehmerischem Erfolg ist. Ein Werbefachmann, der nicht tagelang über Sujets diskutiert? Der mit seinem Perfektionismus nicht ständig alle Kreativen antreibt? Dessen Passion nicht vielen den Nerv tötet? Vergesst es! So wie Draper in „Mad Men“ auftritt, hätte er keinen einzigen Pitch um einen Werbeetat gewonnen. Da kann er noch so schön sein, der Gute.

Je länger ich die Gründerszene beobachte, umso sicherer bin ich mir, dass man als nonchalanter Unberührbarer nicht weit kommt beim Versuch, ein Unternehmen aufzubauen. Was mir allerdings auch aufgefallen ist: Viele erfolgreiche Gründer und Unternehmer wollen gerade so ein erhabenes Image transportieren. Sie wollen in der Öffentlichkeit oder bei Partys gerne als Don Drapers wahrgenommen werden. Das führt dazu, dass die Außenwelt denkt: Mit so einer Art kommt man also am besten zum Erfolg.

Das passt auch zum Bild, das die Medien vorgeben in Bezug auf den idealen Unternehmer-Typus: Visionär soll er sein und mit seinem Charisma die Schar seiner Mitstreiter zur Umsetzung seiner Vision führen. Langes Diskutieren oder gar mühsames Streiten passen da nicht rein. Freilich, es darf schon regelmäßig Meetings geben, in denen alle ihre Meinung sagen können. Aber solch „basisdemokratische Übungen“ dienen eher dazu, die Leute „mitzunehmen“ anstatt den Kurs zu ändern. Ein schlichtes Motivations-Instrument eben; schließlich weiß eine gute Führungsperson schon, wie sie die Sache umsichtig in die richtigen Bahnen lenkt. Natürlich gibt es auch streitsüchtige Persönlichkeiten unter den Unternehmer-Helden unserer Zeit. Der heute zurückgetretene Steve Jobs soll so einer gewesen sein, genial in der Sache, grausam im Sozialen. Vielleicht musste das so sein, um Apple vor dem Ertrinken zu retten, so mutmaßen einige. Eine richtige Streitkultur hat so einer wie er aber auch nicht. Solchen Typen geht es eher darum, Anweisungen und Befehle in die Köpfe der anderen zu hämmern. Das Fazit aus all diesen Klischees: Der „gute“ Gründer führt seine Schäfchen behutsam ins Neuland unternehmerischen Schaffens, der „böse“ tritt sie permanent. Wohin der Weg geht, wissen allerdings beide vorab, jedenfalls geben sie es vor. Denn wenn sie mal den Weitblick verloren haben, machen sie das mit sich selbst aus, unbemerkt von den anderen.

Die Realität sieht anders aus. Tatsächlich verliert jeder auch noch so erfolgreiche Gründer auf dem Pfad des Unternehmensaufbaus regelmäßig die Orientierung, im Kleinen wie im Großen. Und genauso regelmäßig braucht er die Diskussion oder gar den Streit als Wegweiser aus der Orientierungslosigkeit. Nicht den höflichen Meinungsaustausch mit kodierten Floskeln, nicht die typischen Mails mit „Was haltet ihr davon“? und „Ich finde, wir sollten mal überlegen“, sondern ungefilterter Meinungsaustausch jenseits sensibler Befindlichkeiten.

Wie lässt sich so eine Diskussions- und Streitkultur in einem Star-tup produktiv aufbauen? Sie muss vorerst von den Gründern selbst gelebt werden. Teams diskutieren und streiten dann am besten, wenn es keinen Grund mehr gibt, sich profilieren zu müssen. Das ist der Grund, warum einige der besten Start-ups der letzten Jahre von Menschen gegründet wurden, die enge Freunde waren. Die Interhyp (www.interhyp.de) ist ein gutes Beispiel dafür: Robert Haselsteiner und Marcus Woldsdorf waren Kollegen bei Goldman Sachs, als sie gemeinsam beschlossen, die lukrative Investmentbank zu verlassen und aktiv nach einer skalierbaren Geschäftsidee zu suchen. Dass das Duo in eindrucksvoller Geschwindigkeit und gegen starke Konkurrenz den größten Hypothekenvermittler Deutschlands hochzog – die Interhyp gehört ohne Zweifel zu den fünf erfolgreichsten Gründungen der letzten 15 Jahre -, hat meines Erachtens viel mit der Freundschaft der beiden zu tun.

Duos und Trios sind die häufigsten Konstellationen von Führungsteams, die eine gute Streit- und Diskussionskultur untereinander aufbauen konnten. Es kann aber auch in einem größeren Kreis gelingen, wie man an SAP sehen kann: Europas größter Softwarekonzern ist von fünf IBM-Mitarbeitern gegründet worden. Ähnlich groß soll der „Inner Circle“ von United Internet und 1&1 sein, der seit Jahren erfolgreich agiert.

Gründer müssen streiten können, untereinander, aber auch mit Mitarbeitern. Wie weit man den Kreis dieser Streitgenossen ziehen kann, ohne ins Chaos zu stürzen? Meist viel weiter als man denkt, denn Wichtigtuer und Querulanten haben nichts mit Streitkultur zu tun, ihr Gequatsche kann sofort im Keim erstickt werden. Bei allen anderen bringt ungefilterte Meinung oft viel Gutes hervor.

Gründer, vergesst Draper. Der taugt höchstens als gut betuchter Adeliger. Als Unternehmer wäre er durchgefallen.

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Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.