Usability – was Start-ups selbst können! – Gastbeitrag von Patrick Roelofs von eparo, Teil 2

In der letzten Woche zeigte der Experte Patrick Roelofs, Gründer und Geschäftsführer der User Experience Agentur eparo, in Teil 1 auf, dass sich das User Centered Design (kurz: UCD) grob in drei Phasen […]

In der letzten Woche zeigte der Experte Patrick Roelofs, Gründer und Geschäftsführer der User Experience Agentur eparo, in Teil 1 auf, dass sich das User Centered Design (kurz: UCD) grob in drei Phasen gliedert. Mit dem heutigen Beitrag wirft er einen genaueren Blick auf die ersten beiden Phasen des Prozesses: Analyse und Design.

Auch während dieser Serie gibt es wieder die Möglichkeit, unserem Experten Fragen zu stellen, die bereits zum jetzigen Zeitpunkt entweder in den Kommentaren hinterlassen oder per E-Mail an Christina Cassala geschickt werden können.

Die Analysephase

In der Analysephase werden Daten über das Verhalten, die Erwartungen und Gewohnheiten der potentiellen Nutzergruppe(n) gesammelt. Außerdem verfolgt die Analysephase auch das Ziel, die konkreten geschäftlichen Anforderungen (so genannte Business Requirements) zu identifizieren und priorisieren, um sie später mit den Nutzeranforderungen in Einklang bringen zu können.

Die Business Requirements werden in der klassischen User Centered Design Methodologie leider viel zu häufig vernachlässigt. Eine ausschließliche Fokussierung auf den Nutzer wird es bei der Entwicklung kommerzieller Webapplikationen selten geben, da immer auch die Monetarisierung ein wichtiger Aspekt sein wird. Vielmehr geht es im praktischen User Centered Design darum, die Business Requirements anwenderfreundlich umzusetzen.

Die Analysephase muss gut geplant und die Ziele klar fomuliert sein. Es bietet sich an, die Ziele im Team, eventuell mit externer Hilfe, zu erarbeiten.

Ziele dieser Phase können sein:
• Erwartungen der Nutzer im Kontext unserer Webapplikation überprüfen
• Mögliche konzeptionelle “Showstopper” identifizieren
• Konzeptidee auf einfache Verständlichkeit überprüfen

Geringer Aufwand, große Hilfe

Wer sich über die eigenen Ziele bewusst wird, kann daraus eine Menge für den weiteren Prozess ableiten. Als gute Arbeitshilfe um diese festzuhalten und zu sortieren, haben sich Post-Its bewährt, die an eine große Wand geklebt und dort sortiert werden können. Vorteil: Übersichtliche Ziel-Cluster können gebildet und im Anschluss gut priorisiert werden.

Für die Priorisierung empfehlen sich Klebepunkte aus dem Bürofachmarkt. Die Teilnehmer eines Ziel-Workshops können eine definierte Anzahl der Punkte den jeweiligen Zielen zuordnen. Diejenigen, die die meisten Markierungen erhalten haben, werden fortan in der Planung berücksichtigt.

Prioritäten setzen

Ist die Zielsetzungen klar, geht es an den Feinschliff. Zwei Dinge sind zu tun, um relevante Aspekte berücksichtigen zu können:

1. Die konkreten Fragen auf Basis der Zielsetzungen zu formulieren
2. Eine geeignete Methode für die definierten Fragen auswählen

Insbesondere für Punkt 1 bietet sich ebenfalls eine Workshop-Situation an. Dort können dann anhand von Aufgaben die konkreten Fragen erarbeitet werden. Eine Aufgabe könnte lauten: “Welche spezifischen Aspekte der Nutzergewohnheiten sollen abgefragt werden und wie lauten die konkreten Fragen dazu?”

Die Erfahrung zeigt: Die Anzahl der potentiell relevanten Fragen geht rasch über die verfügbare Zeit der Analysephase hinaus. Daher empfiehlt es sich erneut, Prioritäten zu setzen, um nur die wichtigsten Fragen in die Analysephase einzubeziehen.

Qualitative versus quantitative Methoden

Die empirische Forschung bedient sich entweder quantitativer oder qualitativer Methoden, um an wichtige Nutzerinformationen zu kommen. Qualitative Methoden, beispielsweise Einzelinterviews oder Gruppendiskussionen, erscheinen für Start-ups geeigneter. Sie ermöglichen es, Nutzer direkt zu befragen und bei Bedarf in die Tiefe zu bohren. Diese Möglichkeiten bieten die meisten quantitativen Methoden, etwa Umfragen mit geschlossenen Fragen, nicht.

Die Herausforderung bei qualitativen Methoden besteht darin, Fragen so gezielt und wertfrei zu formulieren, dass die Testpersonen offen, ehrlich und neutral antworten können. Ein nicht ganz leichtes Unterfangen, wenn der Interviewer gleichzeitig der “geistige Vater” der Webbapplikation ist. Kritische Äußerungen zu hören, ist dann umso schwieriger.

Die richtige Methode: Einzelinterview oder Gruppendiskussion?

Zur Abfrage von Nutzererwartungen oder zur Überprüfung konzeptioneller Aspekte bietet sich in den meisten Fällen das Einzelinterview an. In der 1:1 Beziehung zwischen Interviewer und Testperson ist es wesentlich einfacher, tiefergehende Fragen zu stellen. Für ungeübte Interviewer sogar umso mehr, da in einer Gruppendiskussion mit bis zu 8 Testpersonen gearbeitet wird.

Um jedoch mit einer Nutzergruppe konzeptionelle Ideen weiterzuentwickeln oder zu überprüfen, sind Gruppendiskussionen das Mittel der Wahl. Mit ein bisschen Geschick und einem guten Diskussionsleitfaden kann eine Gruppe in zwei Stunden sehr gute Ergebnisse produzieren. Allerdings sind Gruppendiskussionen meist kostenintensiver als Einzelinterviews, die oft schon in kleineren Stichproben brauchbare “Insights” liefern. Das liegt daran, dass bei Gruppendiskussionn gleich mehrere durchgeführt werden sollten, um Verfälschungen der Ergebnisse aufgrund der entstehenden Gruppendynamik auszuschließen.

Wichtig zu wissen ist: Mit qualitativen Methoden wird man in der Regel keine repräsentativen Daten generieren können. Eines ist aber doch sicher: Wenige Daten sind deutlich besser, als überhaupt keine Daten, um “Eckpfeiler” für konzeptionelle Entscheidungen zu erhalten.

Für beide Methoden muss im Vorfeld in jedem Fall ein detaillierter Interview- oder Diskussionsleitfaden erstellt werden – dann können die Interviews beginnen. Wichtig: Für den Fall, dass eine Testperson vom Interview abspringt, sollte immer mindestens eine Ersatztestperson zur Verfügung stehen! Apropos…

Auch mit wenig Geld Testpersonen gewinnen

Wer kein Budget hat um sich Testpersonen einzukaufen, kann im Social Network Zeitalter über XING, LinkedIn oder Facebook passende Teilnehmer für ein Interview rekrutieren. Die dort angegebenen Profile sind meist so präzise, dass man durchaus passende Kandidaten aus der relevanten Zielgruppe identifizieren kann. Der Bekannte eines Bekannten könnte durchaus interessiert sein, Teil der Entwicklung eines neuen revolutionären Webservices zu werden.

Wireframes als Starthilfe

Für den Beginn des Konzeptionsprozesses empfiehlt es sich mit so genannten Wireframes zu arbeiten. Das sind schematische User Interface Modelle, die die Inhalte und Funktionen der Webapplikationen abbilden, ohne grafische Aspekte oder das Corporate Design zu berücksichtigen.

Am Anfang ist es nicht so wichtig, über Farben und Formen zu diskutieren. Vielmehr steht die Definition grundsätzlicher Funktionsweisen der Webapplikation auf Basis der Prozesse und Interaktionsmöglichkeiten im Vordergrund. Steve Jobs soll einmal gesagt haben: “Design is not just what it looks like and feels like, Design is how it works.”

Mit Wireframes wird zunächst das “How it works” definiert. Mit diesen schematischen User Interfaces können ohne Probleme erste Usability Tests durchgeführt werden (dazu mehr in Teil 3).

Die Ergebnisse des Tests können dann erneut in die Wireframes einfließen und getestet werden. Solange, bis die Ergebnisse zufrieden stellend sind. Erst dann sollten Wireframes in ein echtes Layout überführt werden, um mit deren Hilfe erneut ein Usability Test durchzuführen.

Frühzeitig an alle Funktionalitäten denken

Es ist übrigens ratsam, sich frühzeitig über den vollen Umfang aller Funktionalitäten Gedanken zu machen. Das Fehlen einer “Inhalts- und Funktionalitäten Roadmap” führt nicht selten dazu, dass das erste User Interface zwar perfekt für die Betaphase geeignet ist, aber hinterher das Fragezeichen groß ist, wo all die anderen 200 Funktionen untergebracht werden sollen.

Die Benutzerfreundlichkeit leidet erheblich, wenn plötzlich wichtige Funktionen an den verbleibenden freien Stellen positioniert werden. Hat man also eine gute Übersicht über die zukünftigen Ausbaustufen in Form der Inhalte und Funktionen der Webapplikation und ein erstes visuelles Konzept in Form von Wireframes, kann das Start-up relativ unkompliziert dazu übergehen, diese ersten Arbeitsergebnisse mit echten Usern zu testen.

In der kommenden Woche beschäftigt sich Teil 3 daher näher mit dem Ablauf eines qualitativen Usability Tests und welche Aspekte dabei besonders wichtig sein können.

Zur Person:
Patrick Roelofs (33) ist Gründer und Managing Partner der User Experience Agentur eparo GmbH in Hamburg. Dort entwickelt er nutzerzentrierte Produktkonzepte für Webservices, Web 2.0 Plattformen und mobile Applikationen. Zu den Kunden von eparo gehören internationale Konzerne genauso wie auch kleine, innovative Start-ups. Vor der Firmengründung leitete Patrick Roelofs den Fachbereich Konzeption bei Tribal DDB und war als Informationsarchitekt bei Proximity Germany tätig. Studiert hat Patrick das Fach Multimedia Arts am SAE Technology College in Hamburg und Australien. Seit kurzem unterrichtet er das Fach Digitale Kommunikation an der HTK in Hamburg.

Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.