Gastbeitrag von Mounir Laggoune

Smart Mobility – Zeit der Stand-alone-Lösungen ist vorbei

Vernetzte Mobilität, Connected Mobility, Smart Mobility – es gibt viele Ideen zum Thema: die digitale Vernetzung verwandter und angrenzender Lebensbereiche in der Wirtschaft wie im Alltagsleben. Im Bereich Mobilität steckt die Digitalisierung nach wie vor noch in den Kinderschuhen.
Smart Mobility – Zeit der Stand-alone-Lösungen ist vorbei
Dienstag, 28. Juni 2016VonChristina Cassala

Vernetzte Mobilität, Connected Mobility, Smart Mobility – es gibt viele Ideen zum Thema: die digitale Vernetzung verwandter und angrenzender Lebensbereiche in der Wirtschaft wie im Alltagsleben. Was mit der Fernsteuerung von Licht und Heizung im eigenen Haus oder mit dem berühmten Kühlschrank anfängt, der Bescheid gibt, wenn er leer ist, soll bei der Mobilität nicht halt machen. Künftig wird es möglich sein, dass die Bedürfnisse der Kunden bereits vor Antritt ihrer Reise vollautomatisiert erfüllt werden können, wie der Espresso am Platz des ICE, die vorher bestellten Leihräder im Ferienhaus oder Fahrkarten, die dem Schaffner nicht mehr vorgezeigt werden müssen, weil das Smartphone alles – inklusive der Bezahlung – erledigt hat.

Was für die einen eine Wunschvorstellung ist, macht anderen Angst. Die totale Vernetzung, so fürchten sie, führe zum „gläsernen Menschen“ und die Privatsphäre werde abgeschafft, denn alle persönlichen Daten werden frei zugänglich sein. Und tatsächlich ist es wichtig, beim Thema Vernetzung die Balance zwischen Datenschutz und den Vorteilen zu finden.

Infrastruktur schaffen

Vor allem aber muss zunächst die Voraussetzung geschaffen werden, solche Zukunftsvisionen überhaupt denken zu können. Im Bereich Mobilität steckt die Digitalisierung nach wie vor noch in den Kinderschuhen. Während heute bereits 80 Prozent der Flugtickets online gebucht werden, sind es bei den Bahnfahrkarten gerade einmal 30 Prozent. Das hat nicht zuletzt geschichtliche Gründe: Der Markt der Bahnunternehmen wird nach wie vor von nationalen Anbietern dominiert. Ihre Vertriebssysteme sind historisch gewachsen und wurden so entwickelt, dass sie die Anforderungen des traditionellen Kerngeschäfts so gut wie möglich erfüllen. Deshalb wurde der stationäre Vertrieb bevorzugt.

In Deutschland kommt die Herausforderung der Verkehrsverbünde hinzu: Noch gibt es kein einheitliches Ticketsystem für den Nahverkehr, sodass die Vernetzung der Angebote im Regional- und Nahverkehr online kaum buchbar ist. Wer internationale Strecken buchen will, kämpft damit, dass Verbindungen nur dann online erhältlich sind, wenn der Anbieter sie entweder selbst oder in Kooperation mit einem Partner anbietet. Die Folge: Reisende wählen das Flugzeug, nutzen den Fernbus oder gleich den eigenen PKW.

Grenzen aufheben

Die Grenzen aufzuheben, die bei der Onlinebuchung von Bahntickets bis heute bestehen, ist ein wichtiger Schritt und ein zentraler Baustein bei der Digitalisierung des öffentlichen Personenverkehrs, aber noch lange nicht das Ende dieses Prozesses. Digitalisierung soll auch bedeuten, Reisenden schnell Informationen zur Verfügung stellen zu können, die den Reiseverlauf angenehmer machen, wie Gleisänderungen oder geänderte Wagenreihung.

Diese Informationen gibt es zum Teil bereits, doch sind sie bislang zu selten verknüpfbar. Mit dem Aufbau eines Open-Data-Portals hat die Deutsche Bahn bereits begonnen, denn: Je mehr Daten die Anbieter zur Verfügung stellen, desto umfangreicher lässt sich das Informationsangebot gestalten. Hierin liegt eine Menge Potenzial.

Wie kann die Bahn gegenüber dem Auto attraktiver gemacht werden?

Der öffentliche Nahverkehr in Deutschland ist noch weit entfernt davon, ein gemeinsames E-Ticketsystem zu haben. Wer aber in der Lage ist, an jedem Ort in Deutschland, mit der von zu Hause gewohnten App oder Website Tickets für den öffentlichen Nahverkehr vor Ort zu buchen, wird mit viel größerer Wahrscheinlichkeit auch im Urlaub oder bei der Geschäftsreise das Angebot des Nahverkehrs nutzen.

Bewegung hingegen gibt es bei Bahnunternehmen bei Thema Carsharing. Es muss das Ziel sein, unterschiedliche Bereiche der Mobilität so zu vernetzen, dass der Reisende ein möglichst lückenloses Angebot vorfindet.

Die Zeit der Stand-alone-Lösungen ist vorbei

Künftig müssen weitere technische Voraussetzungen geschaffen werden. APIs spielen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, die Vernetzung von Anbietern und Onlineservices zu fördern. Wer beispielsweise einen Car-Sharing-Service aufbaut, sollte schon bei der Entwicklung darauf achten, dass sich das Angebot leicht verknüpfen lässt. Wer Vernetzung ernst meint, muss sie von Beginn an in seine Angebote einbauen und sich von Insellösungen verabschieden.

Die Schiene kann hier zum Katalysator werden, kommt ihr doch im Mix der Verkehrsmittel eine wesentliche Brückenfunktion, etwa in ihrer Verbindung von Fern- und Nahverkehr, zu.

IoT längst keine Vision mehr

Datenaustausch heißt nicht Tracking. Dennoch lässt sich das Thema beliebig weiterdenken. Warum sollten sich die ausgetauschten Daten nicht auch zur Verkehrsoptimierung nutzen lassen? Das Internet of Things ist dabei, aus der Phase purer Vision herauszutreten. Die Vernetzung von Verkehrsmitteln, Anbietern und Infrastrukturen bietet gerade für den Schienenverkehr ein riesiges Potenzial, Verkehrsverbindungen optimaler und kundenfreundlicher zu gestalten.

Dabei kommt dem Thema Künstliche Intelligenz (KI) eine entscheidende Rolle zu. „Selbst denkende“ Systeme können Verkehrsflüsse optimieren und Serviceangebote immer weiter verbessern – bis hin zum Punkt, an dem die Künstliche Intelligenz die Wünsche des Reisenden besser kennt als er selbst. Es ist dabei aber nötig, dem Nutzer die Wahl zu lassen. Wer seine Daten nutzen lassen will, um etwa seinen Reisekomfort erhöhen zu können, sollte in der Lage sein, das zu tun – wer das nicht will, natürlich ebenso. Die Zeiten des „One size fits all“ werden mit fortschreitender Digitalisierung der Vergangenheit angehören. Vernetzte Mobilität bedeutet eben auch, dem Reisenden genau das zu bieten, was er möchte – beim Reisekomfort und Serviceangebot oder eben im Bereich des Datenschutzes.

Über den Autor:
Mounir Laggoune ist Country Manager Deutschland von Captain Train, dem europaweiten Portal für Bahntickets. Er kümmert sich um die Entwicklung im deutschen Markt und die strategischen Partnerschaften. Captain Train ermöglicht den Kauf von Bahntickets für 20 Länder und 15 Bahnunternehmen, darunter die führenden Bahnunternehmen in Deutschland, Frankreich und Italien. Seit März 2016 gehört Captain Train zur Trainline Gruppe.

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Foto: Interior of Gare de Paris-Est (Gare de l’Est, Eastern railway station) train station, Kiev.Victor / Shutterstock.com from Shutterstock

Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.