Startup Challenges

Frameworks und Methoden, die Gründer kennen sollten

Gastbeitrag von Wolfgang Wopperer-Beholz: Die Revolution 'Internet' ist vorbei, die Früchte für Entrepreneure hängen höher. Jetzt heißt es zu lernen, wie man 2016 als Gründer erfolgreich sein kann. Dabei helfen neue Frameworks und Methoden, die zwei Jahrzehnte Erfahrung destillieren.
Frameworks und Methoden, die Gründer kennen sollten
Dienstag, 10. Mai 2016VonElke Fleing

Nach 25 Jahren World Wide Web, 12 Jahren ‘Web 2.0’, 3 Jahren Unicorn-Fieber und dem jüngsten Einbruch des Finanzierungsmarkts für Startups ist klar: Das Internet ist in seine nach-revolutionäre Phase eingetreten. Mit dem Smartphone hat es sein „natürliches“ Device gefunden, der Markt hat sich rund um ein paar große Player konsolidiert, und für Gründer sind die low hanging fruits geerntet.

So wie die Industrielle Revolution seinerzeit Autokonzerne und Industriegiganten hervorgebracht hat, sind die Digitalkonzerne und Informationsgiganten Google, Amazon, Facebook & Co. die Erben der Digitalen Revolution. Damit sind sie aber auch Beispiele für den Geschäftsmodelltyp, der die digitale Wirtschaft dauerhaft prägen wird: die Plattform.

In einer Plattform-Ökonomie fungieren Plattformen als Aggregatoren von Konsumenten und Produzenten, nutzen Netzwerkeffekte, um auf beiden Seiten aus viel immer noch mehr zu machen und koppeln sich so vom Rest des Marktes praktisch uneinholbar ab.

Google ist dies für die Suche gelungen, Facebook für soziale Vernetzung. Für Unterkünfte scheint es AirBnB zu gelingen, für Autos Uber, und für Arbeitsplätze arbeitet WeWork gerade dran.

So heißt für ein Startup heute die Alternative: einen Markt finden, der noch keine Plattform hat; eine Nische in einem Plattform-Ökosystem besetzen; oder mit Google, Facebook & Co. in neuen Themen wie Künstlicher Intelligenz und Virtual Reality um die Führerschaft in den nächsten Technologien (und Revolutionen) ringen.

Jeder Gründer entscheidet sich mindestens implizit für eine der Optionen, oft ohne die Implikationen seiner Entscheidung zu kennen. Deshalb lautet das wichtigste Gebot der Stunde: Verstehe deinen Kontext und den möglichen Platz deiner Idee darin so gut wie möglich – denn nur dann kannst du die Erfolgschancen und ihre Bedingungen einschätzen.

Dafür gibt es (zum Glück) hilfreiche theoretische Frameworks und empirische Modelle. Zwei Beispiele sind:

  • Die Aggregation Theory von Ben Thompson, die das Entstehen und Funktionieren von Plattformen erklärt und Implikationen für viele wichtige Branchen explizit macht.
  • Das Emergent Layers-Modell von Alex Danco. In ihm geht es um zukunftsfähige Geschäftsmodelle, die
    aus der Wechselbeziehung von Ressourcen-Knappheit beseitigenden Technologien und Kundenbedürfnissen entstehen.

Solche Frameworks verarbeiten über 20 Jahre Geschäftsmodell-Entwicklung und heben nicht nur die Diskussion über den Status Quo auf ein neues Niveau, sondern auch die Entscheidungskompetenz, die sich Gründer aneignen können.

Unterhalb der Geschäftsmodell-Ebene, in der Konzeption und Entwicklung von Produkten, hat sich ebenfalls einiges getan, seit Design Thinking und Lean Startup auf den Plan getreten sind.

Wenn es etwa darum geht, eine Value Proposition mit Potenzial zu entdecken und zu entwickeln, ist das Jobs-to-be-Done-Modell enorm hilfreich: Kunden ‘engagieren’ Produkte, weil diese einen bestimmten Job für sie erledigen – dieses Bild hilft, das Ergebnis zu fokussieren, das ein Produkt für den Kunden bringen muss.

Kunden müssen für die ‘Neueinstellung’ ihre aktuellen Lösungen ‘entlassen’ – das macht deutlich, wie groß der Widerstand sein kann, auf den ein neues Produkt trifft, und wie viel besser seine Leistung sein muss, soll es überzeugen. So werden zwei Kernanforderungen an Produktinnovation methodisch abgebildet.

neue-methoden-job-story

Die JTBD-Methode lässt sich auch für den Entwicklungsalltag herunterbrechen: Statt der gewohnten User Stories in der Produktentwicklung Jobs Stories zu verwenden, hilft Produktmanagern, Designern und Entwicklern dabei, bei jedem einzelnen Feature

  • die Perspektive des Nutzers einzunehmen,
  • Ergebnis und Nutzen für diesen deutlich zu machen,
  • nicht über Implementierungen, sondern über Probleme und Lösungen zu reden.

Statt der gewohnten Form “Als [Persona] möchte ich [Aktion], um zu [Motivation]” sind Jobs Stories folgendermaßen aufgebaut: “Wenn [Ausgangssituation], möchte ich [Motivation], so dass [erwartetes Ergebnis].” Schon die kleine Fokusverschiebung, die darin enthalten ist, verbessert die Qualität von Produktdesign und -umsetzung erheblich.

Die Abkehr von Personas als Aufhänger für die Diskussion von Design-Entscheidungen ist auch dadurch motiviert, dass Produkte und Features heute so schnell getetest werden können, dass Empathie als Empirie-Ersatz zunehmend an Bedeutung verliert – wenn man denn das Handwerk der Hypothesenprüfung ernst nimmt und nicht nur mit Schlagwörtern wie ‘ist validiert’ hantiert.

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Wie schnell auch grundlegende Produktentscheidungen realisiert und getestet werden können, zeigt kaum eine Methode momentan so klar wie Sprint von Google Ventures. In nur fünf Tagen findet, gestaltet und validiert ein Team echte Problemlösungen in komplexen Kontexten, begleitet von einem Sprint Facilitator:

“On Monday, you’ll unpack the problem. On Tuesday, you’ll sketch competing solutions on paper. On Wednesday, you’ll argue and decide how to turn your ideas into a testable hypothesis. On Thursday, you’ll hammer out a high-fidelity prototype. And on Friday, you’ll test it with real live humans.”

Die Methode basiert auf Prinzipien und Erfahrungen aus Design Thinking, Lean Startup und ähnlichen Ansätzen, ist in ihrer Kompaktheit, Dichte und Nachvollziehbarkeit aber etwas gänzlich Neues.

Die Macher beschreiben sie als “‘greatest hits’ of business strategy, innovation, behavorial science, design, and more – packaged into a step-by-step process that any team can use.”

Der Fokus auf Bündeln, Ausbuchstabieren und Nachvollziehbarmachen von ‘best practices’ findet sich auch in einer Reihe weiterer Themengebiete – nicht zuletzt in Marketing und Vertrieb.

Zuerst hat es sich in den letzten Jahren eingebürgert, von diesem Bereich im Startup-Umfeld schlicht als ‘Growth’, Wachstum zu sprechen – Paul Graham lässt grüßen.

Nach dem Hype um das ‘Growth Hacking’ und den damit verbundenen Best-Practice-Sammlungen haben sich inzwischen einige Frameworks etabliert, mit denen Startups Marketing, Vertrieb und damit ‘Growth’ systematisch planen, messen und effektiv steuern können.

Neben diesen pragmatischen ‘Pirate Metrics’ stehen mittlerweile auch höchst ausgefeilte und systematische Ansätze, die sich sogar eines wissenschaftlichen Anspruchs befleißigen: The Scientific Marketing Strategy Behind Exponential Growth

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Auch wenn solche Claims hoch gegriffen sind: Die Methoden und Frameworks, die sich in erfolgreichen Startups, Acceleratoren und Ökosystemen entwickelt haben, zeichnen sich heute durch eine enorme Reife und Differenziertheit aus. Allein in Sam Altman’s ‘Startup Playbook’ steckt so viel Wissen, wie vor zehn Jahren kaum insgesamt für Gründer verfügbar war.

Das entspricht zum einen dem Stand von Technologie- und Marktentwicklung – und sollte also nicht überraschen.

Zum anderen bedeutet es für den einzelnen Gründer nicht nur eine üppige Fundgrube verfügbaren Wissens, sondern auch eine immense Anforderung an das eigene Niveau: Jeder kann von diesem frei verfügbaren Wissen profitieren und sein Startup oder Produkt damit besser machen – deshalb muss sich auch jeder ernsthaft damit befassen, will er konkurrenzfähig bleiben.

Mit der Ära der low hanging fruits ist auch die des glücklichen Gründerdilettanten zu Ende.

Zur Person
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Wolfgang Wopperer-Beholz ist Co-Founder von mindmatters und vomCoworking Space betahaus Hamburg. Er berät und begleitet Startups, Acceleratoren und etablierte Unternehmen bei der Entwicklung digitaler Produkte und bei der Einführung kollaborativer Arbeitsmethoden und Prozesse. Zuletzt hat er mit dem Product Field ein Werkzeug zur Arbeit an Produktinnovationen mitentwickelt.

Bisher erschienen in der Serie Startup Challenges:

Ohne die richtige Motivation ist alles nichts

Kreativität: So kommt man auf richtig gute Ideen

Product Thinking mit dem Product Field – so geht es!

Product Field: So funktioniert die Validierung

Rockt eure Produkt-Optimierung mit dem Product Field

Das Experiment Board hilft: Findet Euer Produkt überhaupt Kunden?

Customer Development: Und was soll ich die Kunden fragen?!

Prototyping: Fake it ’til you make it

Die Mutter aller Canvases: Der Business Model Canvas

Business Model Canvas: 27 praktische Fallbeispiele

Value Proposition Design: So etabliert man eine Love Brand

Endlich ein Canvas für Plattform-Geschäftsmodelle

So knackt man das Henne-Ei-Problem bei Plattform-Businesses

Ein exzellenter Elevator Pitch öffnet alle wichtigen Türen

Eine coole Canvas macht noch kein erfolgreiches Startup

Bild oben: Shutterstock, Startup

Elke Fleing

Elke Fleing aus Hamburg liefert Texte aller Art, redaktionellen Content und Kommunikations-Konzepte. Sie gibt Seminare, hält Vorträge und coacht Unternehmen. Bei deutsche-startups.de widmet sie sich vor allem Themen und Tools, die der Erfolgs-Maximierung von Unternehmen dienen.