Kai Brökelmeier im Interview

“Im Ruhrgebiet hast du mehr die Macher”

"Das Leben im Revier hat sich über die letzten 30 Jahre massiv verändert, jedoch hat die Region noch mit vielen Vorurteilen aus der Zechen- und Hochöfenzeit zu kämpfen. Im Ruhrgebiet hast du mehr die Macher und weniger die Visionisten", sagt Kai Brökelmeier von virtualnights.
“Im Ruhrgebiet hast du mehr die Macher”
Freitag, 26. Februar 2016VonAlexander Hüsing

Das Ruhrgebiet ist mehr als ein Lebensraum, für die Menschen zwischen Bochum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen ist das Ruhrgebiet auch ein Lebensgefühl. Auch Start-ups erblühen im Pott, das bald komplett ohne Zechen auskommen muss, inzwischen vermehrt.

In unserem Themenschwerpunkt Ruhrgebiet beschäftigen wir uns ausgiebig mit Start-ups im schönen Revier – siehe auch “Ist das Ruhrgebiet die nächste Start-up-Hochburg?” und “10 % aller deutschen Start-ups sind in Rhein-Ruhr Zuhause“.

“Die Szenen im Ruhrgebiet sind noch überschaubar”

Im Interview mit deutsche-start-ups spricht Kai Brökelmeier, Mitgründer der Party-Community virtualnights, über Infrakstruktur, Vorurteile und Universitäten.

Wenn es um Start-ups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für das Ruhrgebiet als Start-up-Standort?
Das Ruhrgebiet ist mit rund 5,1 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 4.435 Quadratkilometern die größte Agglomeration Deutschlands und die fünftgrößte Europas. So steht es auf Wikipedia geschrieben und somit hat die Region 1,5 Millionen mehr Einwohner als Berlin. Dortmund, Essen, Duisburg, Bochum usw. liegen soweit auseinander wie die Stadtteile in Berlin und sind eng miteinander vernetzt. Dazu kommt die Nähe zu den Städten wie Düsseldorf oder Köln, die man aus dem Revier in 20 bzw. 40 Minuten erreichen kann.

Das Ruhrgebiet ist aber keine Einheit. Funktioniert der Austausch zwischen Gründer in Essen, Bochum und Dortmund?
Im Essener Unperfekthaus finden regelmäßig Barcamps statt, Prof. Tobias Kollmann führt mit seinen Botschaftern unter anderem Ibrahim Evsan, Thomas Bachem die Digitale Wirtschaft NRW, eine tolle Initiative, aber auch mit stärkerem Focus auf das Rheinland, hier hängt das Ruhrgebiet noch etwas. Vielleicht auch mal eine Chance für Unternehmen der Region wie RWE, EON, Thyssen Krupp oder Materna dieses Feld zu nutzen und aktiv zu unterstützen.

Was zeichnet das Ruhrgebiet sonst aus?
Potentielle Zielgruppen oder Käufergruppen sind somit im hohen Maße vorhanden. Dazu kommt die gute Infrakstruktur im Bereich Ausbildung und Universitäten, was den Zugriff auf Mitarbeiter begünstigt. Der Wettbewerb um gute Mitarbeiter ist auch nicht so hoch wie z.B. in der Hauptstadt und die Mieten sind im Vergleich schon recht günstig. Das Leben im Revier hat sich über die letzten 30 Jahre massiv verändert, jedoch hat die Region noch mit vielen Vorurteilen aus der Zechen- und Hochöfenzeit zu kämpfen. Im Ruhrgebiet hast du mehr die Macher und weniger die Visionisten.

Ist denn eine potenzielle Start-up-Laufbahn schon in den Köpfen von jungen Absolventen angekommen – oder gehen die lieber noch in Konzerne in der Region oder wandern aus?
Gründerwettbewerbe gibt es in der Zwischenzeit ja schon eine ganze Menge, die auf das Thema aufmerksam machen und auch TV-Shows wie “Die Höhle der Löwen” sorgen sicher auch für ein gesteigertes Interesse eigenständig aktiv zu werden. Vielleicht ist der Ruhrgebietsabsolvent jedoch noch etwas zu konservativ und schlägt vermehrt die Konzernroute ein.

Was macht speziell den besonderen Reiz der Startup-Szene in Essen aus?
Die Szenen im Ruhrgebiet sind noch überschaubar, das muss man schon noch sagen. Aber zum Beispiel Randolf Jorberg, Gulli.com-Gründer und SEO-Evangelist) ist über seinen OMPott recht engagiert, um die Szene besser zu vernetzen. Die Gründer sind da, aber es fehlen in der Tat noch die coolen Veganer-Restaurants um sich zu treffen.

Ist denn die Currywurst nicht mehr das wichtigste Grundnahrungsmittel im Ruhrgebiet?
Vielleicht etwas aus der Mode gekommen, aber als Symbol finde ich die Currywurst noch sehr stark, ebenso wie die alten Zechengelände, die in der Zwischenzeit auch teilweise schon zu Gründerzentren ausgebaut werden. Wenn man sieht was im ganzen Land passiert, die Onlinemarketing Rockstars in Hamburg, die Bits & Bretzels in München, die Dmexco in Köln, vielleicht ist die Zeit bald gekommen für ein Event im Ruhrgebiet. Die Kulissen dafür sind vorhanden und eine gute Wurst würde es geben.

Was ist im Ruhrgebiet einfacher als in Berlin – und umgekehrt?
In Berlin hast du natürlich einen anderen Drive, die Stadt lebt mehr und dieser Spirit ist sicher nicht schlecht, wenn du gründest. Der Austausch mit anderen kann einen beflügeln und dich rascher auf neue Ideen bringen. Auf der anderen Seite hast du im Ruhrgebiet mehr Ruhe, die Ablenkung ist nicht so groß und die Gefahr der Defokussierung. Gut ist, wenn man beides haben kann. Regelmäßig ein paar Tage Berlin für die Inspiration und dann die Ruhe und Zeit um die Dinge auf den Boden zu bringen.

Was fehlt im Ruhrgebiet noch?
Eine verbreiterte A40 und ein gemeinsamer Außenauftritt, denn die Städte für sich genommen haben nicht soviel Power, wie eine Stadt mit über fünf Millionen Einwohnern.

Passend zum Thema: “Start-ups aus dem Ruhrgebiet, die jeder kennen sollte” und “Ruhrgebiet = ‘persönlicher und nicht so oberflächlich’

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.